Zusätzliches Sprachenlernen im mittleren Lebensalter
Additional Language Learning in Midlife by Lifestyle Migrants
Projektförderung:
Early Career Seed Money Förderprogramm von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) – interne Vergabe durch die Universität Salzburg
Projektlaufzeit:
März 2024 – Februar 2026
Projektleitung:
Dr. Mason A. Wirtz
Über das Projekt:
Das MIDLIFE Projekt analysiert (1) den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache durch Migrant:innen im mittleren Lebensalter (d.h. zwischen ca. 40 und 60 Jahren) und (2) auf welche Weise Zweitsprachlernende in der Lebensmitte vom Spracherwerb in Österreich sozialpsychologisch etwa im Hinblick auf das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit profitieren. Erstaunliche 88% der bisherigen internationalen Studien zum Thema Zweitsprachentwicklung im Erwachsenenalter fokussieren das Sprachenlernen durch Universitätsstudent:innen – d. h. durch eine Stichprobe, die sich typischerweise aus jungen, gebildeten Erwachsenen aus der Mittel- bis Oberschicht zusammensetzt. Warum ist das ein Problem?
Warum wir spezifisch das mittlere Lebensalter untersuchen:
Das mittleren Lebensalter – „the afternoon of life“ (Jung, 1933: 109) – wird im Vergleich zu allen anderen Abschnitten des Lebensverlaufs disziplinübergreifend, von den kognitiven Neurowissenschaften über die Psychologie bis hin zur Soziologie, noch am stärksten vernachlässigt. Dies ist insofern bedauerlich, als die mittleren Jahre einen gewissen ‚Scheideweg‘ verschiedener altersbedingter Prozesse darstellen. Unser erworbenes Weltwissen steigt weiterhin in dieser Lebensphase während aber unsere kognitiven Fähigkeiten (z.B. das Arbeitsgedächtnis) einem Rückgang unterworfen sind. Ebenfalls ist die Lebensmitte psychosozial einzigartig, sodass affektive und psychologische Zustände besonders stark von kontextuellen Faktoren wie beruflichen und familiären Verpflichtungen beeinflusst werden. Auch die Kontrollierbarkeit des eigenen Lebens, die junge und ältere Erwachsene genießen, nimmt in der Lebensmitte aufgrund der umfangreichen Anforderungen und Verpflichtungen drastisch ab.
Nun stellt man sich vor, dass man in dieser Lebensphase etwa aufgrund wirtschaftlicher und politischer Unruhe im Heimatland in ein neues Land umsiedeln und sich dabei dem Erlernen einer neuen Sprache zum Zwecke des alltäglichen Überlebens widmen muss. Und dies vor dem Hintergrund einer Forschungslandschaft, die aufgrund mangelnder Erkenntnisse zu ebendiesen erwachsenen Lerner:innen keine empirisch fundierte Hilfestellung in Hinblick darauf anbieten kann, wie solch eine Zielgruppe einer zusätzlichen Sprache neben den zuvor skizzierten psychosozialen und altersbedingten Herausforderungen mächtig werden kann.
Ziel und Nutzen des Projekts MIDLIFE:
Das MIDLIFE Projekt ist international das erste, welches das Sprachenlernen durch Migrant:innen in der Lebensmitte explizit in den Fokus rückt. Verfolgt werden zwei übergeordnete Ziele: Erstens sollen sozioaffektive, kontextuelle, migrations- und erfahrungsbedingte Faktoren identifiziert werden, die den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache im mittleren Lebensalter begünstigen oder auch hemmen können. Zweitens wird untersucht, inwieweit, auf welche Weise und vor allem wann Zweitsprachlernende in der Lebensmitte vom Spracherwerb psychosozial profitieren, insbesondere was die Lebenszufriedenheit in Österreich wie auch das generelle und berufliche Wohlbefinden anbelangt.
Praktisch gesehen existiert ein beträchtlicher Markt für Studien zur Zweitsprachentwicklung durch reife Migrant:innen. Allein in Österreich stellen rund 44% der Migrant:innen der ersten Generation Erwachsene mittleren Lebensalters dar. So bildet diese Gruppe eine der größten Migrant:innengruppen in der österreichischen Sprachlehr- und Sprachlernlandschaft, sie bleibt jedoch gleichzeitig eine der am stärksten von der Forschung vernachlässigten. Die Ergebnisse des MIDLIFE Projekts sollen also aus vielerlei Gründen für ein breites akademisches Publikum und für die Gesellschaft allgemein von Interesse sein. Beispielsweise werden ausschließlich Zweitsprachlernende in der Lebensmitte fokussiert, die erst im Migrationskontext mit dem Erlernen des Deutschen beginnen. Dadurch können kritische Herausforderungen identifiziert werden, denen neu angekommene Migrant:innen mittleren Alters in den frühen Phasen des Zweitspracherwerbs gegenüberstehen. Solche Erkenntnisse sind von entscheidender Bedeutung etwa für die Planung von Bildungsmaßnahmen in der Erwachsenenbildung, spezifisch im Hinblick auf die Gestaltung eines individualisierten Sprachtrainings, das der Heterogenität reifer Lerner:innen Rechnung trägt.
Schließlich soll das Projekt dazu beitragen, die Lebensqualität von Zweitsprachlernenden in der Lebensmitte zu verbessern: Die steigende Lebenserwartung in Kombination mit zunehmender internationaler Mobilität führt dazu, dass immer mehr Menschen in kulturell westlich geprägten Gesellschaften leben, arbeiten, Familien gründen und in einem Umfeld in den Ruhestand gehen, in der ihre Erstsprache nicht die dominante ist. Dabei stoßen Migrant:innen ohne ausreichende Sprachkenntnisse der Mehrheitssprache(n) im Alltag auf mannigfaltige Schwierigkeiten etwa bei der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, der Sicherung einer rechtlicher Vertretung, der Teilnahme an Elterngesprächen in Schulen und der sozialen Integration in die Gesellschaft im Allgemeinen – und dies in einer Lebensphase, in der man meist neben beruflichen Verpflichtungen auch Rollen wie Elternschaft und Pflege von weiteren Familienangehörigen zutage treten. Erste Erkenntnisse zum Entwicklungsprozess einer Zweitsprache in diesem Lebensabschnitt sind also dringend notwendig, um im Zielsprachenland die soziale Isolation reifer Erwachsener verhindern und dabei sprachliche Flexibilität, Selbstwertgefühl und Autonomie fördern zu können.