Die Macht der Unterschiede: Warum Geschlechterforschung unsere Perspektiven erweitert
Einleitung
Eine Professur für Geschlechterforschung war seit Dekaden ein Desideratum des Interdisziplinären Expert:innen-Rates in Gender Studies (IER) und des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKG) der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS). Während fast alle Universitäten Österreichs mindestens eine Genderprofessur eingerichtet hatten, wurde die relevante Passage in der Satzung unserer Hochschule erst mit der Einrichtung der ersten Gender-Professur des Salzburger Hochschulraums in 2020 umgesetzt.
Die Professur für Politik und Geschlecht, Diversität und Gleichheit am Fachbereich Politikwissenschaft der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät stellt die erste Professur im Salzburger Hochschulraum und ein klares Alleinstellungsmerkmal dar, das die PLUS von anderen Universitäten in der internationalen wissenschaftlichen Landschaft unterscheidet. Sie ist weltweit die erste Professur für Politik und Geschlecht, die quantitative Methoden in Verbindung mit einem explizit intersektionellen Ansatz anwendet. Die Salzburger Gender-Professur vertritt theoretisch fundierte, empirisch rigorose, sowie problem- und lösungsorientierte Geschlechterforschung mit dem Ziel einen Beitrag zur Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft und die Demokratie zu leisten. Diesem Ziel widmet sich das Team der Genderprofessur unter anderem in zwei großen Forschungsprojekten, die durch eine Anschubfinanzierung des Landes Salzburg und zwei große EU-Förderungen ermöglicht wurden.
Die Forschungsprojekte im Fokus: Gleichstellung & Demokratie
Das Forschungsprojekt Push*Back*Lash (Anti-Gender Backlash and Democratic Pushback; HORIZON-CL2-2021-DEMOCRACY-01- 03) untersucht: Warum gibt es in vielen europäischen Demokratien einen „Anti-Gender Backlash“, der versucht, Fortschritte in der Gleichstellung von Frauen rückgängig zu machen? Welche Auswirkungen hat der Backlash auf die Demokratiequalität in der Europäischen Union und Drittstaaten? Und wie lässt sich diesem Prozess wirksam begegnen? Das Salzburger Team koordiniert ein internationales Konsortium von 11 Partnern, welches Phänomene wie Hassreden in sozialen Medien, gleichstellungsfeindliche Debatten in politischen Parteien und Parlamenten sowie die Einstellung der Bürger:innen zu Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit untersucht.
Ein zweites Forschungsprojekt, ActEU (Activating European citizens’ trust in times of crises and polarization; HORIZON-CL2-2022-DEMOCRACY-01-08), ist auch eng mit diesen Fragen der (un-)gleichen Partizipation und Repräsentation verbunden und beforscht sie in Verbindung zu Vertrauen in die Politik. Das Ziel dieses Projekts ist es zu verstehen, wie die Demokratie das Vertrauen der Bürger:innen in Zeiten der Polarisierung zurückgewinnen kann. In diesem Rahmen untersucht das Salzburger Team, wie sich die Qualität der Repräsentation von Frauen und marginalisierten Gruppen in politischen Institutionen auf ihr Vertrauen in diese Institutionen auswirkt.
Diversität und interdisziplinäre Expertise für eine inklusive und demokratische Gesellschaft
Um diese Forschungsfragen vollumfänglich bearbeiten zu können, bedarf es Wissen aus verschiedenen Disziplinen und dessen Verknüpfung. Das Salzburger Team wird diesen Ansprüchen gerecht, denn es vereint unterschiedliche inhaltliche Expertisen, methodische Herangehensweisen und kulturelle Erfahrungen.
Interdisziplinarität. Indem wir Wissen aus verschiedenen Disziplinen, wie der Politikwissenschaft, der Soziologie, den Post-Socialist Studies, den Wirtschaftswissenschaften und der Sozialpsychologie einbringen, können wir „über den Tellerrand“ traditioneller Disziplinen hinauszudenken. Dies führt zu innovativen Lösungen und verändert die Perspektiven auf die von uns erforschten Fragen.
Multimethodenkompetenz. Die große Bandbreite an methodischen Kenntnissen erlaubt es unserem Team, verschiedenste Fragestellungen der Geschlechterforschung zu bearbeiten, ohne an methodische Grenzen zu stoßen. Quantitative (Umfragedatenanalyse; quantitative Textanalyse; Machine Learning) und qualitative Methoden (Interviews, Textanalyse, Fokusgruppenanalyse) werden nach Bedarf zusammengeführt (Mixed Methods) und ergänzen sich gegenseitig.
Vielseitigkeit. Unsere Teammitglieder stammen aus der ganzen Welt, darunter aus den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Kroatien, Griechenland, Italien, Deutschland und Österreich. Diese Vielfalt ermöglicht es uns, verschiedene Perspektiven, Bildungs- und Forschungstraditionen zu nutzen, Synergien zu schaffen und verschiedene Erfahrungen auf Forschung und Lehre gewinnbringend zu übertragen. Die internationale Zusammensetzung des Teams und dessen interkulturelle Kompetenz erlaubt es uns, verschiedene Erfahrungen und Perspektiven auf Forschung und Lehre gewinnbringend zu verbinden und so innovative Antworten auf fortdauernde Probleme auszuloten.
Exzellenz. Nationale und internationale Auszeichnungen und Preise zeugen von der Qualität von Forschung und Lehre des Salzbuger Teams Politk & Geschlecht, Diversität & Gleichheit. So haben Teammitglieder unter anderem folgende Preise erhalten: 2023 Käthe Leichter Preis der AK Wien (Lefkofridi); 2023 Greek International Women Awards/Kategorie Rechts-und Politikwissenschaften (Lefkofridi); APSA Women, Gender & Politics Research Section Small Grants Program (Ceron); European University Institute Early Stage Reasearch Grant (Ceron); Institute for Civically Engaged Research Fellowship (Ceron); Brandeis University Women’s Studies Research Center Dissertation Year Scholar and Florida International University Dissertation Year Fellowship (Beloshitzkaya); Manifesto Research Project Conference Participation Grant (Beloshitzkaya); PROM Program Scholarship (Beloshitzkaya); European Varela Award (Ramstetter); Erika-Weinzierl-Preis (Ramstetter); Jacki-Briggs Prize for best paper in Politics & Gender of the Journal Politics (Zwiener-Collins); Fellowship of the Postdoc network ‘The young ZIF’ (Zwiener-Collins).
Forschungsgeleitete Lehre. Wir sind davon überzeugt, dass Studierende durch die Arbeit an praxisnahen Aufgaben und Projekten Fähigkeiten erlernen sollten, die sie auf dem internationalen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig machen. Dies spiegelt sich in vielen unserer Kursangebote wider, die für Studierende aller Fakultäten und Studiengänge relevant sind.
GDE-Team Salzburg
- LEFKOFRIDI Zoe, Univ.-Prof. Mag. Dr. MA MAIS
- ZWIENER-COLLINS Nadine, MSc PhD – Postdoc (Land Salzburg)
- RAMSTETTER Lena, Dr. – Senior Scientist (Land Salzburg)
- BELOSHITZKAYA Vera, Dr. – Postdoctoral Researcher (Horizon Europe)
- CERON, Matilde, Dr., Postdoctoral Researcher (Horizon Europe)
- SOKIC Nikolina, Mag. – GDE Administrative Officer
GDE-Studienergänzung – Koordination der fakultätsübergreifenden Gender-Lehre
Die Salzburger Geschlechterforschung sieht aber neben der wissenschaftlichen Relevanz vor allem die Dringlichkeit, komplexe Problemstellungen und mögliche Antworten Studierenden und interessierten Bürger:innen zugänglich zu machen. Um diesem Bildungsauftrag nachzukommen, bietet das von der Professur und vom Interdisziplinären Expert:innenrat (IER) koordinierte fakultätsübergreifende „Gender, Diversity, and Equality“ (GDE)- Lehrangebot Studierenden aller Studienrichtungen die Möglichkeit, sich ein interdisziplinäres Verständnis für das Zusammenspiel von Geschlecht, Macht und Ungleichheit anzueignen. Studierende gewinnen nicht nur theoretische und empirische Einblicke in die Herausforderungen sowie die Konsequenzen von Geschlechtergerechtigkeit, Chancengleichheit und Inklusion, sondern auch praktisches Wissen, das hilft Gleichstellung und Diversität zu erkennen bzw. im beruflichen Leben zu fördern. Das Engagement der Professur für Geschlechterforschung wird von den Studierenden überaus positiv wahrgenommen: So kann die von der Professur organisierte Ringvorlesung „Gender, Diversity & Equality“ mehr als 300 Teilnehmer:innen begeistern.
Die Geschlechterforscher:innen der Zukunft
Zudem setzt sich die Genderprofessur gezielt für die Förderung wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich der interdisziplinären Geschlechterforschung ein. Mit der Verleihung des von Stadt und Land Salzburg geförderten und seit 2023 von der Professur koordinierten Erika-Weinzierl-Preises und -Stipendiums werden seit 2002 Pionierinnenarbeiten unterstützt und sichtbar gemacht. Im Rahmen universitärer Nachwuchsförderung führt die Professur zudem Workshops im Rahmen der Doctoral School Gendered Body Politics, oder auch im Rahmen des vom VWGÖ (Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs) zur Verbesserung der Gleichstellung, Diversität und Inklusion finanzierten Ideenwettbewerbs (Push*for*more: Navigating and Defying Gender Bias in Teaching, Research & Job Market).
Zudem setzt die von der Professur neu gegründete ÖGPW (Österreichische Gesellschaft für Politikwissenschaft) – Sektion Gender and Politics diese Bemühungen auf nationaler Ebene fort und versucht, ein nationales Netzwerk aus Forschenden im Bereich Gender und Politik aufzubauen und dieses international anzubinden. Besonderes Interesse gilt dabei der Vernetzung von Jungwissenschaftler:innen und Studierenden aus allen Universitätsstandorten.
Warum Geschlechterforschung? Ausblick und gesellschaftliche Relevanz
In den ersten drei Jahren ihres Bestehens verzeichnete die Professur für Politik und Geschlecht, Diversität und Gleichheit am Standort Salzburg eine weitreichende Anerkennung. Um Geschlechterforschung jedoch nachhaltig in Salzburg zu verankern, bedarf es einer kontinuierlichen institutionellen Unterstützung der breit gefächerten Aufgabenbereiche dieser Professur. Die Gründung eines Geschlechterforschungszentrums, wäre ein Schritt in diese Richtung. Indem das Zentrum die Zusammenarbeit von Wissenschafter:innen im Bereich Geschlecht und Diversität über Disziplinen- und Fakultätsgrenzen hinweg stärkt, würden der Wirkungs- und Handlungsspielraum von Geschlechterforschung wachsen; die Relevanz von Gleichstellungsfragen für Demokratie in Salzburg und Österreich deutlicher sichtbar werden; und die Perspektiven auf Mitbestimmung und Teilhabe im politischen Raum vielfältiger.
Aber warum brauchen wir überhaupt Geschlechterforschung? Warum ist es für Bund, Land und Stadt von Interesse, Geschlechterforschung zu fördern? Und welche Auswirkungen hat Geschlechterforschung auf unsere Wissenschaft, unsere Demokratie und das tägliche Leben? Am Tag der Geschlechterforschung bietet sich die die ideale Gelegenheit, einen Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung der Geschlechterforschung und deren Institutionalisierung in Form der ersten Salzburger Genderprofessur zu werfen und die Entwicklungen einzuordnen.
Um eine geschlechtergerechte, diverse Gesellschaft zu schaffen, in der verschiedenste Stimmen Gehör finden und Einfluss auf Entscheidungen nehmen können, ist Geschlechterforschung unumgänglich. Nur wenn wir verstehen, wie sich Gruppenzugehörigkeiten (wie Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Herkunft) auf Wissensproduktion, gesellschaftspolitische Entscheidungen oder sozioökonomische Bedingungen auswirken, können wir Strategien entwickeln und umsetzen, die diese Ungleichgewichte korrigieren. Die letzten Jahrzehnte haben uns vor Augen geführt: wann immer Geschlecht als Variable ignoriert wird, ist Geschlechterungleichheit die Folge. Wenn Gender Biases nicht aufgedeckt werden, setzen sich Ungleichheiten und Diskriminierungspraktiken fort und gewinnen zunehmend an Selbstverständlichkeit und Strukturierungskraft.
So what? Geschlechtergerechtigkeit als Voraussetzung für Demokratie & Nachhaltigkeit
Indem Geschlechterforschung Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sichtbar macht, und Mechanismen, Ursachen und Folgen aufdeckt, fördert sie Geschlechtergleichheit. Dass diese ein zentrales Sustainable Development Goal der UN bildet, ist kein Zufall: denn Geschlechtergerechtigkeit ist keine optionale Ergänzung von Demokratie; sie ist das Fundament. Ohne die gleiche Repräsentation der Interessen aller Bevölkerungsteile bleibt Demokratie defizitär. Geschlechterungleichheiten in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens zu verstehen ist die Voraussetzung dafür, Maßnahmen zu entwickeln, um diesen Dysbalancen entgegenzuwirken. Indem sie genau hier wirkt, leistet Geschlechterforschung einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung und Stabilisierung von Demokratien – aus lokaler, regionaler und nationaler Ebene.