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400PLUS Lectures: Gastvortrag von Jutta Allmendinger – „Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen.“

Die Geschlechterlücke

Die Lücke zwischen den Geschlechtern muss geschlossen werden, forderte die Soziologin Jutta Allmendinger in ihrem Gastvortrag im Rahmen der 400PLUS Lectures. Männer könnten dadurch gewinnen.

Die ursprünglichen Forschungsgegenstände von Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, waren die Themen Wohnen, Arbeit und Bildung. In allen drei Bereichen stellte die Soziologin soziale Ungleichheiten fest: zwischen Bildungsschichten, Herkunft, Geschlechtern. Als sie 1992 als erste Professorin an die Ludwig-Maximilians-Universität München berufen wurde, kam sie erstmals mit der Geschlechterforschung in Kontakt. Und sie dachte sich: „Da muss sich viel ändern!“ Im Rahmen der 400PLUS Lecture erläuterte Allmendinger in ihrem Gastvortrag, wie Geschlechtergerechtigkeit funktionieren könnte.

Die Pandemie hat ihrer Ansicht nach dazu geführt, dass es zu einer Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen gekommen ist. Während Männer sich im Home Office weiterhin konzentriert auf ihre Erwerbstätigkeit beschränken konnten, musste Frauen Arbeit und Kinderbetreuung jonglieren. „Wenn daher Männer in ihrem Unternehmen nach einer Home Office-Lösung bitten, wird ihnen das wesentlich lieber gewährt, weil der Arbeitgeber weiß, dass sie zuhause sehr produktiv sind“, sagt Allmendinger. Bitten Frauen darum, hieße es sehr schnell, dass sie sich auch um den Nachwuchs kümmern wollen und deshalb weniger produktiv sein könnten. Und die Corona-Jahre hätten auch gezeigt, dass sich beispielsweise Wissenschaftslerinnen zurückgezogen ihre Stunden weiter reduziert hätten. „Sie waren einfach am Ende ihrer Kräfte“, erklärt die Soziologin.

Am Wissenschaftszentrum Berlin hatte das Team rund um Allmendinger Erhebungen zu Initiativ-Bewerbungen gemacht. Es wurden jeweils Schreiben von Männern und Frauen verschickt, beide mit der Option einer Karenzzeit von zwei oder zehn Monaten. Danach führte die Forschungsgruppe Interviews mit den Personalverantwortlichen. Bei den Bewerbungen von Männern spielte es überhaupt keine Rolle, wie lange sie in Karenz gegangen waren. Jenen Frauen, die nur zwei Monate in Anspruch genommen hatten, wurde tendenziell übertriebener Ehrgeiz unterstellt und ihre Passfähigkeit in ein etwaiges Team abgesprochen.

Ungleichheit herrsche auch in der Entlohnung. Sie sprach von einer Lücke von 18 Prozent, die Frauen weniger aufs Konto überwiesen bekämen. Allmendinger kritisierte, dass man diese Erkenntnisse aufgrund des Stundenlohnes bekommen habe. Es wäre hingegen wünschenswert, das Wochen-, Jahres- oder Lebenseinkommen dafür heranzuziehen. Nichtsdestotrotz: Die Einkommenslücke ist immer noch zu groß. „Bis vor fünf Jahren hat sich der Heiratsmarkt für Frauen noch mehr gelohnt als der Arbeitsmarkt“, sagte die Soziologin. Denn die Witwenrente war vielfach höher als die eigene Pension. Die Zahlen stammten aus westdeutschen Erhebungen; in Ostdeutschland gebe es aufgrund von anderen Geschlechtervorstellungen keine Pensionsunterschiede.

Wie lassen sich also diese Lücken schließen? Allmendinger zeichnete zwei Szenarien. Passten sich Frauen den männlichen Arbeitsverläufen an, müsste von der öffentlichen Hand erheblich in die Infrastruktur für Kinder und Pflege investiert werden. Teilzeit-Arbeitsplätze müssten abgebaut, die Karenzzeit heruntergeschraubt und sonstige Betreuungsketten extrem forciert werden. PLUS: „Es würde einen massiven Rückgang der ehrenamtlichen Tätigkeiten geben“, sagt die Soziologin. Plan B sieht anders aus, nämlich eine Anpassung der männlichen an die weiblichen Arbeitsverläufe. Man sollte Anreizsysteme für Partnerschaftsmonate schaffen – in Österreich wäre das beispielsweise eine Babypause für Väter, die dafür Kinderbetreuungsgeld bekommen. Auch müssten Job Sharing- und Job Leadership-Programme ins Leben gerufen werden. „Meinen, aber auch jenen Erkenntnissen aus anderen Staaten gemäß würde durch eine 4-Tage-Woche für alle niemandem etwas weggenommen“, sagt Allmendinger. So würde auch das Bewusstsein gestärkt, dass ein Leben nicht nur aus Arbeit bestehe, sondern viel mehr umfasse. „Die Work-Life-Balance ist extrem wichtig.“ Dass Männer durch diese Art des Lebens an Lebensqualität gewinnen könnten, steht für die Soziologin fest. Sie unter Zwang dahin zu bringen, dass sie scheinbare Privilegien abgeben müssen, ist für Allmendinger der falsche Weg. „Wir haben Erkenntnisse, dass Karrieren sich nach oben entwickeln, wenn Menschen weniger und produktiver arbeiten. Das sollten wir vermitteln.“

400PLUS Lectures: Gastvortrag von Jutta Allmendinger 19. Mai 2022

Tamara Stangl, BA. MA. MA.

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Foto: © Paris Lodron Universität Salzburg | Soziologin Jutta Allmendinger mit Rektor Hendrik Lehnert