Tagungsthema

Zum Tagungsthema:
Der demokratische Rechtsstaat ist eine prägende zivilisatorische Errungenschaft. Während das freiheitlich-liberale, „westliche“ politische System vor knapp 30 Jahren noch als „das Ende der Geschichte“ ausgerufen und als End- und Höhepunkt der menschlichen Entwicklung gedeutet wurde, weist uns das junge 21. Jahrhundert auf die Fragilität dieser Errungenschaft hin. Wir erleben, wie sich demokratische Rechtsstaaten zu illiberalen Staaten rückentwickeln, demokratische Grundprinzipien in Frage gestellt und rechtsstaatliche Grundpfeiler angesägt werden. Mitten in Europa zeigen Ungarn und Polen, aber auch Rumänien und die Slowakei, dass der demokratische Rechtsstaat vorschnell als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Exemplarisch können für mit dem Aufstieg antidemokratischer Strömungen zusammenhängende Krisenerscheinungen Angst, Identitätskrisen, eine politisch motivierte Personalpolitik, ausufernde Korruption und die Aushebelung der verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit der Gerichte sowie von Grund- und Menschenrechten angeführt werden. Der identitätsstiftende Kern des rechtsstaatlichen Prinzips, namentlich die Bindung der Politik an das Recht, sieht sich fortdauernder Belastung ausgesetzt. Es ist von eminenter Bedeutung, diese Krise des demokratischen Rechtsstaates im 21. Jahrhundert zu analysieren und potentielle Antworten zu finden. Denn die Krise ist keineswegs auf Europa beschränkt. Weltweite Entwicklungen, wie beispielsweise in den USA, zeugen von der globalen Tragweite dieses Phänomens. Wie kann diesen Angriffen auf den demokratischen Rechtsstaat begegnet werden? Stehen uns internationale oder supranationale Mittel zur Bewältigung dieser Krisensituation zur Verfügung? Wie können Antworten aussehen, wenn doch der freiheitliche Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er um seiner Freiheitlichkeit willen nicht (mehr) selbst garantieren kann? Willkommen sind Beiträge, welche sich mit der historischen Dimension dieser Thematik auseinandersetzen. Gegenwartsanalysen, die auf konkrete Auswirkungen und zeitnah drohende Konsequenzen des angeführten Phänomens eingehen, sind ebenso begrüßenswert wie das Wagnis eines Ausblicks in die Zukunft. In methodischer Hinsicht freuen wir uns sowohl über empirische Zugänge als auch analytische Perspektiven, insofern diese über rein dogmatische Analysen hinausgehen. Inhaltlich interessieren uns besonders Beiträge, welche die angebliche Krise vor dem Hintergrund der Verbindung von Rechtsstaat und Demokratie, der Gleichursprünglichkeit von Volkssouveränität und Menschenrechten adressieren. Oder gibt es Demokratie ohne Rechtsstaat oder WWW.UNI-SALZBURG.AT/JFR2019 den Rechtsstaat ohne Demokratie? Genauso willkommen sind kritische Beiträge, welche die hier diagnostizierte Krise in Frage stellen. So leben wir doch in den sichersten Zeiten, die die Menschheit je erlebt hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Aufkommen autoritativer Tendenzen (lediglich) Ausdruck eines Kontroll- und Legitimitätsdefizits im Sinne bloßer Teilkrisen, nicht jedoch Beleg für eine demokratische Gesamtkrise ist. Beiträge, die ein rigides Demokratieverständnis ablehnen und die Flexibilität sowie die Beständigkeit der Demokratie betonen, eignen sich insofern ebenfalls zur Einreichung. Abweichend davon kann ebenso thematisiert werden, ob Demokratie ohne Krise überhaupt denkbar und Demokratie insofern untrennbar mit Krise verbunden ist. Und wenn das der Fall ist, wie verhält es sich diesbezüglich mit dem Rechtsstaat?

Anregungen für potentielle Themen
GLOBALISIERUNG:
Ort demokratischer Entscheidungsprozesse rückt zunehmend in die Ferne; Herrschaft der freien, deregulierten Märkte und einzelner Unternehmen; Transnationale Gerechtigkeit; Globale Zivil-/Weltgesellschaft und Öffentlichkeit; Individualismus und Nationalismus; Rolle der EU – Brandstifter oder -bekämpfer der Krise?; Zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft – Braucht es andere Herrschaftsformen, um der zunehmenden Komplexität gerecht zu werden?

GEWALTENTEILUNG:
Diskreditierung der Parlamente; zunehmende Exekutivlastigkeit; Schwächung der Integrität der (Verfassungs-)Gerichte; Aushöhlung demokratischer Institutionen; Legitimität; Verflechtung (zentraler) Funktions- und Entscheidungsträger; Die Rolle der Medien als vierte Gewalt?; neue Partizipationsformen.

GRUNDLEGENDE FRAGEN:
Begriff des demokratischen Rechtsstaats; Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat; Gleichursprünglichkeit von Volkssouveränität und Grundrechten; Krisenbegriff; Welche Mittel darf der Bürger einsetzen, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen? Liegt die Grenze beim gewaltfreien Widerstand, zivilen Ungehorsam oder darf ein Staat, der seinen Bürgern keine Bürgerrechte mehr gewährt, sogar durch eine gewaltsame Revolution abgeschafft werden?
UNSICHERHEIT IM UND SCHWÄCHEN DES DEMOKRATISCHEN RECHTSSTAAT(S): Einfluss des digitalen Wandels; globale Öffentlichkeit; Rechtssetzung durch Privatrechtsakteure; Klimawandel; Korruption; Populismus; Terrorismus; Kollektive Sicherheit und individuelle Freiheitsrechte; Inklusion und Exklusion aus dem demokratischen Rechtsstaat; Attacken auf unabhängige Journalisten; Fake News; Postdemokratie.