Rudi Neureich

Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
1. Oktober 1998

A. Rudi Neureich möchte eine Eigentumswohnung kaufen. Der windige Immobilienhändler W offeriert ihm eine 70m2 Neubauwohnung um S 3.ooo.ooo,-, mit deren Bau in 3 Monaten begonnen werden soll. Auf den Plänen erscheint Rudi Neureich das angepriesene Wohnbauprojekt und die darin befindliche Wohnung bereits so schön, daß er sich sofort für den Kauf entscheidet. Die Bezahlung soll in der Form erfolgen, daß er gleich nach Abschluß des Kaufvertrages den gesamten Kaufpreis Rechtsanwalt T überweist, der das Geld als Treuhänder des Rudi Neureich verwaltet. Die Aufgabe des Treuhänders T besteht darin, der Baufirma, welche die Wohnung errichtet, je nach Baufortschritt einzelne Teilbeträge zu überweisen.
Die Baufirma befindet sich jedoch bereits in finanziellen Schwierigkeiten, da sie über wenig Eigenkapital verfügt und der Wohnungsverkauf nur schleppend vor sich geht. Dies führt dazu, daß sie die ausstehenden Rechnungen der Subunternehmer, deren sie sich für die Errichtung ihrer Bauwerke bedient, nicht mehr bezahlen kann. Der Prokurist der Baufirma bittet daher den Rechtsanwalt und Treuhänder T, ihm sofort den gesamten Betrag des anvertrauten Geldes zu überweisen, damit die offenen Rechnungen bezahlt und andere, knapp vor Abschluß stehende Bauvorhaben, rasch beendet werden können. Mit dem Bau der Wohnung des Rudi Neureich ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht begonnen worden.
Rechtsanwalt T lehnt dies ab und weist darauf hin, daß er als Treuhänder Gelder erst auszahlen dürfe, wenn ein entsprechender Baufortschritt belegt werden könne. Auch der wiederholte Hinweis des Prokuristen auf die dadurch zu befürchtenden Bauverzögerungen kann ihn nicht umstimmen. Unabhängig vom Prokuristen tritt auch Immobilienhändler W an T heran und bittet ihn, den übernommenen Kaufpreis vorzeitig weiterzuleiten. W hat ebenfalls von den Problemen der Baufirma erfahren und befürchtet nun, daß sonst alle Bauvorhaben stillstehen und er Probleme mit seinen Kunden bekommen würde. W weiß zwar, daß T dazu nicht befugt ist, doch glaubt er auf diese Weise einen Konkurs der Baufirma hinauszögern und erreichen zu können, daß zumindest alle von ihm bereits verkauften Wohnungen auch gebaut werden. Rechtsanwalt T läßt sich von W überreden und überweist dem Prokuristen die anvertrauten S 3.000.000,- des Rudi Neureich. Der Prokurist begleicht damit seine Schulden bei den Subunternehmern.
Ein halbes Jahr später meldet die Baufirma Konkurs an. Mit dem Bau der Wohnung des Rudi Neureich wurde noch nicht einmal begonnen.
Wie haben sich die Beteiligten strafbar gemacht?

B. Der angesehene Kulturkritiker E.Hanslick äußert in einem Zeitungsinterview: „Die Spielpläne der Festspiele in Buxtehude belegen deutlich, daß der derzeitige Intendant von Musik und Literatur nicht die Spur einer Ahnung hat und ausschließlich Künstler engagiert werden, die kein adäquates künstlerisches Niveau aufzuweisen haben. Der Verfall des künstlerischen Niveaus ist auch nicht verwunderlich, denn der Intendant ist ein reiner Plauderer, der Steuermillionen zum Fenster hinauswirft“.
Hat sich E.Hanslick mit dieser kritischen Äußerung strafbar gemacht?

C. Die naive A ist angeklagt wegen Diebstahls eines Fahrrades (§ 127 StGB). In der Hauptverhandlung kann sie das Gericht davon überzeugen, daß sie das Fahrrad nicht gestohlen, sondern um S 500,- von einem Ausländer gekauft habe, ohne zu wissen, daß es ein gestohlenes Fahrrad sei. Der Bezirksanwalt hält ihr vor, daß das Fahrrad S 3.000,- wert ist und sie im Hinblick auf den niedrigen Kaufpreis erkennen hätte können, daß es sich um ein gestohlenes Fahrrad gehandelt habe.
Der Richter möchte die Verhandlung rasch zu einem Ende bringen und gibt zu verstehen, daß diese Frage im Prinzip vollkommen unerheblich sei, denn wenn es kein Diebstahl ist, dann ist es eben Hehlerei. Er verurteilt A daher wegen § 164 StGB.
1. Ist diese Vorgangsweise korrekt? Wie könnte das Urteil bekämpft werden?
2. Um A einen Rechtsmittelverzicht schmackhaft zu machen, spricht der Richter eine „bedingte Strafnachsicht“ aus und erklärt die Kosten für uneinbringlich.
Was versteht man unter einer „bedingten Strafnachsicht“ und unter welchen Voraussetzungen ist eine solche Vorgangsweise zulässig? Wann dürfen Kosten für uneinbringlich erklärt werden?

D. Der ungarische Staatsbürger B verschuldet auf der Durchreise durch Österreich mit überhöhtem Tempo einen Verkehrsunfall, bei dem C leicht verletzt wird. Um B die Fortsetzung seiner Reise umgehend zu ermöglichen, wird er nach Aufnahme seiner Personalien und Abfassung des Unfallberichtes durch die Polizei sofort zum zuständigen Bezirksgericht gebracht, bei dem auch sogleich eine Verhandlung durchgeführt wird. Obwohl B der deutschen Sprache kaum mächtig ist und nicht weiß, wie ihm geschieht, wird aus Zeitgründen kein Dolmetscher beigezogen. Auch ein Bezirksanwalt ist so schnell nicht greifbar. Vom zuständigen Richter wird daher ein Rechtspraktikant mit der Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung betraut. Das Gericht stützt sich in seinem Urteil im wesentlichen auf den polizeilichen Unfallbericht.
1. Ist ein derartiges Schnellverfahren zulässig?
2. Wie könnte B das Urteil bekämpfen?