Kunst oder nicht Kunst …?
Diplomprüfung aus Strafrecht und Strafprozessrecht
(30.September 2005)
Kunst oder nicht Kunst
.?.
A.
Durch generöse öffentliche Förderungen animiert und inspiriert ringt sich der international anerkannte Aktionskünstler Hermann Klecks zur Schaffung einer neuen Skulptur durch, welche auf einem öffentlichen Platz, unmittelbar vor dem Portal einer Kirche aufgestellt wird. Als Otto Fromm bei seinem täglichen Gang zum Morgengebet dieses Gebilde erblickt, welches sich dem phantasievollen Betrachter als abstrakte Darstellung nackter Weiblichkeit zu erkennen gibt, ist er entsetzt. Umgehend beschafft er sich schwarze Lackfarbe und schüttet diese über die Skulptur, um die weibliche Blöße zu bedecken. Unmittelbar darauf ist die Polizei vor Ort. Als Otto Fromm merkt, dass die Polizisten ihn wie einen Verbrecher behandeln, bittet er sie mehrmals inständig, die Sache zu vergessen und die Anzeige fallen zu lassen, denn er habe es ja nur im Auftrag des Herrn getan. Unbeeindruckt setzen die Polizisten jedoch ihre Amtshandlung fort.
Einige Wochen später steht Otto Fromm vor Gericht. Auf Befragen durch Richter Bruno Binsenweis gibt Hermann Klecks als Opfer der Tat zu Protokoll, dass es sein aktionistisches künstlerisches Ziel sei, zu provozieren. Erst durch Aktionen, wie jene des Angeklagten Otto Fromm würde seine Skulptur endgültig fertig gestellt. Er beabsichtige daher keineswegs, die schwarze Farbe von seinem Kunstwerk entfernen zu lassen. Richter Bruno Binsenweis zeigt sich über den Strafantrag der StA erstaunt, da ein solcher künstlerischer Dreck wohl nicht schützenswert sei. Seiner Meinung nach ist es nicht schwer, den künstlerischen Gehalt eines Werkes zu quantifizieren und zu entscheiden, ob dieses einen strafrechtlichen Schutz verdiene oder nicht. Kunst sei nämlich ganz und gar keine Geschmacksache. Die Vermessenheit des Richters versetzt selbst den autoritätsgläubigen Künstler Hermann Klecks in Staunen. Es ist bereits Freitagmittag und die Verhandlung wird daher vertagt.
Richter Bruno Binsenweis muss nämlich auch noch seine ehrenamtliche Stellung als Vorsitzender der Lawinenkommission seines Heimatortes wahrnehmen und über die Freigabe einiger exponierter Abfahrtspisten entscheiden. Richter Bruno Binsenweis ist kein guter Schifahrer und seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Lawinenkunde sind sehr dürftig. Dennoch fühlt er sich selbst hinreichend qualifiziert für das Amt, da er immerhin einen viertägigen Kurs in Lawinenkunde besucht hat, bei dem in Form von Vorträgen das theoretische Grundwissen vermittelt wurde und er als Richter dazu prädestiniert sei, Theorie in Praxis umzusetzen. Als am Wochenende auf einer von der Lawinenkommission freigegebenen Piste eine Lawine abgeht und dabei drei Schifahrer zu Tode kommen, greifen sich Experten auf dem Gebiet der Lawinenkunde an den Kopf und halten es für verantwortungslos, dass man bei den gegebenen Witterungs-, Schnee- und Geländeverhältnissen die gegenständliche Piste zum Schifahren freigegeben hat. Richter Bruno Binsenweis beharrt jedoch darauf, dass er seine Entscheidung nach bestem richterlichen Wissen und Gewissen getroffen habe und sich daher keiner Schuld bewusst sei.
Beurteilen Sie die Strafbarkeit der beteiligten Personen.
B.
A hat mit seinem Auto einen Passanten, der unerwartet die Straße überqueren wollte, niedergestoßen. Der Passant wird schwer verletzt. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass A zwar am Unfall kein Verschulden treffe, er jedoch einfach weitergefahren sei und sich erst eine Stunde später bei der Polizei gemeldet habe. Der StA sieht darin eine Fahrerflucht und dehnt das Verfahren auch auf dieses Faktum aus. A beantragt hierauf die Einvernahme seines Arbeitgebers, zum Beweis dafür, dass er zum Unfallzeitpunkt beruflich unter hohem Zeitdruck stand und daher nicht stehen blieb.
Das Gericht lehnt den Beweisantrag ab und verurteilt A wegen § 88 Abs 4 StGB. Auf die Fahrerflucht geht der Richter nicht näher ein, da die Strafe, welche wegen § 88 Abs 4 StGB verhängt wurde, bereits sehr hoch sei.
1. Welche Fehler hat das Gericht gemacht, und welche Rechtsmittelmöglichkeiten haben Beschuldigter und StA?
2. a) Das Gericht verhängt eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen und erteilt die Weisung
zur Absolvierung eines Fahrtechnikkurses. Ist dies zulässig?
b) Scheint diese Verurteilung in der Strafregisterbescheinigung, welche A seinem
zukünftigen Arbeitgeber vorlegen muss, auf?
3. a) Der Richter spricht dem verletzten Passanten ein weit überhöhtes Schmerzengeld
zu. Welche Bekämpfungsmöglichkeiten hat A?
b) Wie wirkt sich das Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens auf den
Schmerzengeldzuspruch aus?
c) Ist ein Zivilgericht an die Feststellungen eines Strafgerichtes gebunden?