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Das Problem der „artgerechten Tierhaltung“

Informationen zum praxisorientierten Umgang mit der Tierhaltungs-Problematik im Biologieunterricht


Eine Begriffsklärung

Sowohl in der Literatur als auch in den Medien und den gesetzlichen Bestimmungen zur Tierhaltung werden zunehmend die Begriffe „artgerecht“ und „tiergerecht“ nebeneinander verwendet. Dabei ist es wichtig zu wissen, worum es bei diesen Begriffen denn wirklich geht. Völlig „artgerecht“ kann ein Tier nur in seinem natürlichen Lebensraum leben, also unter den Bedingungen, an die sich die Art in Körperbau, Physiologie und Verhalten im Laufe der Evolution angepasst hat.

Von Art zu Art ist die Flexibilität im Umgang mit abweichenden Umweltbedingungen ganz unterschiedlich. Es gibt Arten, die dabei sehr flexibel (anpassungsfähig) sind (Universalisten) und andere, die relativ starr (wenig anpassungsfähig) an konstante Umweltbedingungen gebunden sind (Spezialisten). Davon abhängig ist dann natürlich auch ihre Eignung für die Haltung in Menschenobhut.
Der Begriff „tiergerecht„, der bei der „Haltung in Gefangenschaft“ eigentlich zutreffender ist, bezieht sich auf die einzelnen gehaltenen Individuen, denen man die Haltungsbedingungen so gestalten will (muss), dass sie physisch und psychisch gesund sind und bleiben. Das kann natürlich nur dann funktionieren, wenn man die artgemäßen Bedürfnisse der Tiere kennt. Der Gesetzgeber unterscheidet auf Grundlage solcher Überlegungen folglich auch zwischen der Artenschutzgesetzgebung, bei der es im wesentlichen um den Schutz der Arten vor der Ausrottung geht, und der Tierschutzgesetzgebung, bei der es um den Schutz der in Menschenobhut befindlichen Tier-Individuen geht.

Einige grundsätzliche Gedanken zu Haus-, Heim- und Schultierhaltungen

Die Haltung von Heimtieren hat in unserer Freizeitgesellschaft eine zunehmend große Bedeutung. Meerschweinchen, Goldhamster, Wellensittiche, Aquarienfische, Reptilien und Insekten gehören heute zum Standartangebot des Zoohandels. Hunde und Katzen als Tiere mit Familienanschluss, Tiere in Aquarien und Terrarien, die zusätzlich auch zur Raumdekoration dienen, sind vor allem im städtischen Bereich weit verbreitet. Sehr viele Kinder haben irgendwann einmal ein Heim- oder Haustier gepflegt und viele Jugendliche und Erwachsene beschäftigen sich als „Liebhaber“ auch weiterhin mit der Tierhaltung. Die hohen und weiter wachsenden Umsatzahlen des Zoofachhandels sprechen eine eindeutige Sprache. In Deutschland z.B. werden 7,9 Mio Katzen, 5,3 Mio Hunde, 6,6 Mio Kleintiere und 3,4 Mio Ziervögel gehalten, es gibt 2,1 Mio Aquarien, 2,3 Mio Gartenteiche, und 0,42 Mio Terrarien. In mehr als einem Drittel aller Haushalte gehört die Tierhaltung also zum Familienalltag (Zahlen aus 2007, Quelle: IVH).
Die Gefahr ist groß, dass durch die damit verbundene Kommerzialisierung im Bereich des Tierhandels und der Tierhaltung, Tiere nur noch als „Freizeitartikel“, die man jederzeit leicht ersetzen kann, ge- und behandelt werden. Das Bewusstsein dafür, dass man es mit „Naturwesen“ zu tun hat, die genau wie wir ein Recht auf die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse haben und nicht nur zur Befriedigung der unsrigen dienen dürfen, geht auf diesem Wege leicht verloren. Eine gute Übung, um das zu erfahren, sind Besuche in Zoogeschäften und das Anhören von Verkaufsgesprächen.

„Weil also die Tierhaltung zu unserer Alltagskultur gehört, ist es eine ganz wichtige Aufgabe des Biologieunterrichts, sich mit den aktuellen Problemen dieses Themenbereiches auseinanderzusetzen.“

Tierhaltung ist immer damit verbunden, dass das Tier aus seiner natürlichen Umwelt entfernt wird oder sie zumindest nicht frei wählen kann. Mit dem Begriff „artgerechte Tierhaltung“ kann dann also immer nur eine möglichst große Annäherung an die Lebensbedingungen in der natürlichen Umwelt gemeint sein.
Das prinzipielle Problem der Tierhaltung ist der „Interessen“-Gegensatz, der in Mensch-Tier-Beziehungen immer auftritt, jedoch häufig und gerade auch von Tierliebhabern übersehen wird. Dieser Konflikt besteht zwischen der Neugier und dem Wissensdrang sowie dem Kontaktbedürfnis des Menschen auf der einen Seite und dem schon erwähnten Anspruch sowie dem inzwischen bei uns auch gesetzlich verbrieften Recht des Tieres auf eine artgemäße Umwelt auf der anderen. Aufgrund seiner intellektuellen Überlegenheit hat der Mensch die Macht, Tiere in seine Nähe und Obhut zu „zwingen“. Jeder, der das tut, muss für sich selbst – natürlich im Rahmen der jeweiligen gesellschaftlichen d.h. vor allem auch gesetzlichen Vorgaben – entscheiden, wie weit er bereit ist, in die Lebenswelt eines Tieres einzugreifen, um seine Neugier oder sein Kontaktbedürfnis bzw. in der Wissenschaft auch allgemeine gesellschaftlich postulierte Bedürfnisse zu befriedigen. Im Wesentlichen ist die Entscheidung für eine bestimmte Art der Tierhaltung also ein ethisches Problem.
Für mich persönlich gibt es nur einen Weg zum „guten“ Tierhalter. Dieser „richtige“ Weg kann immer nur über eine möglichst genaue Kenntnis der natürlichen Bedürfnisse der Lebewesen führen, sowie über eine verantwortungsbewusste, pflegerische Einstellung. Die gepflegten Tiere und Pflanzen sollten als „Mitlebewesen“ in einer gemeinsamen Umwelt gesehen werden.

Bevor man also Lebewesen in seine Obhut nimmt, sollte man Wissen erwerben und sein Gewissen erforschen

Ich möchte hier eine praktikable Möglichkeit vorstellen, mit der man einigermaßen zuverlässig die essentiellen Bedürfnisse einer Tierart herausfinden und so für eine möglichst art- oder besser tiergerechte Haltung sorgen kann.
Mit Hilfe einer Auflistung der wichtigsten Funktionskreise des Verhaltens, man könnte auch sagen der Bedürnisfelder der Tierart kann man eine Prüf-Liste erstellen und an Hand dieser Liste nachprüfen, wie viel man über die natürliche Lebensweise der Art und die damit verbundenen Bedürfnisse weiß und wo es gilt, Lücken zu füllen.
Der folgende Vorschlag für solch eine Liste soll helfen festzustellen, ob und wie bei der Haltung und Pflege einer Tierart deren artgemäße Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Sie macht gleichzeitig auch deutlich, dass man auf jeden Fall ein ausreichendes Wissen über Lebensweise und Biologie der Tiere erwerben sollte, bevor (!!) man diese Tiere hält.


Impressum
Fotos und Inhalt stammen von Klaus Kalas (School of Education, Didaktik der Naturwissenschaften, Universität Salzburg)