Ernst von Frisch, Leiter der Salzburger Studienbibliothek (heute Universitätsbibliothek), ließ um 1930 Klebebände, deren Kupferstiche und Handzeichnungen seiner Auffassung nach von Wolf Dietrich von Raitenau stammen, in der Albertina in Wien durch P. Meder zerlegen. Es handelt sich bei den Graphiken und Handzeichnungen um eine Landkartensammlung von über 120 Karten (Landkarten, Stadtansichten), die zwischen 1560 und 1580 angefertigt wurden.
Die Eingrenzung der Entstehungszeit der vorhandenen Karten in das 3. Viertel des 16. Jahrunderts und die Fülle des Materials sind an einem Ort wie Salzburg ungewöhnlich und zeugen von einem gezielten Interessen einer Einzelperson an Kartographie. Die Annahme, dass es sich bei dieser Person um Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau handelt, stammt von Ernst von Frisch und lässt sich an den Graphiken selbst nicht beweisen; es spricht jedoch vieles für die Annahme.
Die Kenntnis von Landkartengalerien in Italien, d.h. von gemalten Landkarten und Stadtansichten an den Wänden eines Repräsentationsraumes, lässt sich grundsätzlich so wohl für Wolf Dietrich von Raitenau als auch für seinen Cousin und Nachfolger Marcus Sitticus von Hohenems voraussetzen. Beide waren zu Studienzwecken in Rom, beide wurden vom Onkel, Kardinal Marcus Sitticus von Hohenems, gefördert. Papst Pius IV. (1559-1565), Großonkel beider Salzburger Erzbischöfe, stattete im Vatikan bereits ein Zimmer mit Landkarten aus, die bedeutendste Landkartengalerie des Vatikans stammt noch von dem mit Kardinal Marcus Sitticus von Hohenems eng befreundeten Papst Gregor XIII. (1572-1585). Eine wohl nicht unbedeutende Sammlung von Landkarten seien es Bücher oder Einzelblätter darf auch in Schloss Hohenems in Vorarlberg vorausgesetzt werden, denn Jakob Hannibal von Hohenems schickte nachweislich in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts aus Flandern Landkarten an seine Frau Hortensia Borromeo nach Schloss Hohenems. Auf Schloss Hohenems waren diese Landkarten auf Grund der engen familiären Bindungen der Raitenauer und der Hohenemser damit für beide Familien zugänglich. Theoretisch wäre es demnach möglich, dass der Gebäudetrakt, in dem sich in der Salzburger Residenz der Landkartensaal befindet, von Wolf Dietrich errichtet, die Landkartengalerie selbst jedoch erst von seinem Nachfolger Marcus Sitticus in Auftrag gegeben wurde. Die Jahreszahl der Fertigstellung des Gebäudes während der Regierungszeit des Hohenemsers ließe diesen Schluss zu. Ohne ein eingehendes Quellenstudium der Archivalien zu Wolf Dietrichs Salzburger Regierungszeit durchzuführen, sprich jedoch viel dafür, sowohl die Anschaffung des Landkarten-Graphikbestandes in der Universitätsbibliothek Salzburg als auch die Anlage des Landkartensaales Wolf Dietrich zuzuschreiben.
Die kartographischen Graphikbestände stammen vorwiegend aus dem Zeitraum 1560-1580 und wurden zu einem großen Teil in Italien bzw. in den Niederlanden gedruckt. Für Wolf Dietrich von Raitenau ist die Verwendung von Kartenvorlagen des 3. Viertels des 16. Jahrhunderts für seinen Landkartensaal nicht ungewöhnlich. Für seinen Nachfolger Marcus Sitticus, der erst 1612 zum Salzburger Erzbischof gewählt wurde, wäre die Verwendung eines Landkartenmaterials, das bereits über 30 Jahre alt war, schon aus Prestigegründen eher nicht denkbar.
Roswitha Juffinger