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Wie Schüler besser Sprachen lernen. Linguistik und Sprachunterricht

Warum ist Grammatikunterricht vor dem 14. Lebensjahr weitgehend erfolglos? Welchen Nutzen haben die Neuen Medien für das Fremdsprachenlernen? Wie verarbeiten mehrsprachig aufwachsende Kinder die unterschiedlichen Sprachsysteme? Welche Einstellungen haben Schüler und Lehrer zu nicht-deutschen Sprachen im Schulalltag?

Am Freitag, 14. Oktober präsentieren Linguisten an der Universität Salzburg Ergebnisse aus ihrer Forschung, die für die Schulpraxis von Relevanz sind. Die Tagung „Was weiß die Linguistik über Sprachenlernen – was braucht die Schule?“ ist der Auftakt einer neuartigen Fortbildungsreihe der Universität Salzburg.

Der Fremdsprachenunterricht unterliegt methodischen Trends. War in den 1970er Jahren das Pauken von Grammatikstrukturen gang und gäbe, dominierte danach der sogenannte kommunikative Unterricht, wo es darum geht, die Sprache zu gebrauchen, ohne viel Anleitung. Beides entspricht nicht den aktuellen Befunden der Linguistik über Sprachentwicklung, Spracherwerb und Sprachförderung von Schulkindern, kritisiert der kognitive Linguist Hubert Haider, Professor für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg. Er hält am Freitag, 14. Oktober 2016 bei der Tagung „Was weiß die Linguistik über Sprachenlernen – was braucht die Schule? Forschungsbasierte Fortbildung für Sprachlehrpersonen in Österreich“ den Hauptvortrag.

„Man darf nicht die Lehrer/innen kritisieren, aber man muss Kritik daran üben, dass die Aus- und Fortbildung im Sprachenbereich weit hinter dem Stand der Wissenschaft liegt. Das ist nicht ein Problem von Salzburg oder Österreich, das gilt für den ganzen deutschsprachigen Raum“ sagt Haider und fügt hinzu: „Lehrer/innen sind in der bedauernswerten Situation, ohne evidenzbasierte, wissenschaftlich fundierte Methoden Sprachunterricht nach wechselnden didaktischen Konzepten gestalten zu müssen. Doch weder der alte Grammatikunterricht noch der neuere kommunikative Ansatz führten zum Ziel. Die Spracherwerbsforschung findet zwar effektive Faktoren für Spracherwerb, aber es mangelt an der Transformation der Grundlagenforschung über Anwendungsforschung und Methodenentwicklung in die Schulpraxis.“

Um das zu ändern und den direkten Austausch zwischen Wissenschaft und Schule anzustoßen, hat Dr. Ulrike Greiner, Direktorin der School of Education der Universität Salzburg, die aktuelle Tagung initiiert. Organisiert wird sie von Mag. Christine Neuner von der School of Education. Die Tagung ist als Auftakt zu einer längerfristigen Veranstaltungsreihe konzipiert. „Ziel der Veranstaltung ist es, einerseits aktuelle Forschungsergebnisse, die relevant für Lernprozesse sind, Lehrkräften vorzustellen und andererseits Forschern zu ermöglichen, mehr über die realen Sprachlernprozesse an Schulen zu erfahren. Das geschieht zum wechselseitigen Nutzen und vor allem zum Nutzen für die Schüler,“ sagt Greiner. Aus dem Kontakt der Lehrpersonen mit Forschern könnten innovative Projekte für die Schule entstehen, hofft Greiner. Ein besonderer Schwerpunkt gilt auch den Sprachlehrpersonen an berufsbildenden Schulen.

Die Themen der Auftaktveranstaltung würden sich jedenfalls hervorragend dafür eignen, ist Greiner überzeugt, handelt es sich doch um Bereiche, die den Schulalltag wesentlich mitbestimmen, wie zum Beispiel die Frage nach dem Gebrauch des Dialekts in der Schule. Welche Vorstellungen haben Lehrer und Schüler von „korrektem Deutsch“ im Unterricht? Was wird als „angemessen“ erachtet, was wird toleriert? Solche Themen untersucht Stephan Elspaß, Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Salzburg. Bei der Tagung wird er etwa über Einstellungen zu Sprachnormen und sprachlicher Variation an Schulen in Österreich berichten. Dabei geht es nicht nur um Einstellungen zu nicht-deutschen Sprachen und regionalen Varietäten des Deutschen, sondern auch um den Begriff von geschriebenem und gesprochenem „Standarddeutsch“.

„Deutsch im mehrsprachigen Kontext“ ist ein Spezial-Forschungsfeld von Andrea Ender, Professorin für Germanistische Linguistik an der Universität Salzburg, über das sie bei der Tagung berichten wird. Durchschnittlich jeder fünfte Schüler in Österreich spricht neben Deutsch noch eine andere Sprache, wobei lokale Varietäten wie zum Beispiel der Salzburger oder Vorarlberger Dialekt nicht berücksichtigt sind. Da Bildungserfolg und Sprachbeherrschung eng miteinander verknüpft sind, ist die Frage, wie die sprachliche Entwicklung der Schüler unterstützt werden kann, von zentraler Bedeutung, auch in den Forschungen Enders.

Was bedeutet es, die sogenannte „Bildungssprache“ zu beherrschen und wie kann man schriftsprachliche Kompetenzen fördern, die in Schule und Alltag ständig gefordert werden? Darüber wird die Germanistin Dr. Irmtraud Kaiser bei der Tagung mit den Teilnehmern diskutieren. 

Dietmar Roehm, Professor für Psycho-, Neuro- & Klinische Linguistik wiederum wird neueste neurolinguistische Befunde zur Sprachverarbeitung vorstellen und über die Konsequenzen für das Sprachenlernen diskutieren. Wie verarbeiten zweisprachig aufwachsende Kinder die unterschiedlichen Sprachsysteme? Warum kann die für kognitive Prozesse generell sehr vorteilhafte Mehrsprachigkeit bei Kleinkindern vorübergehend zu Verzögerungen in der Sprachentwicklung führen? Mit der neuen Methode der funktionellen Nah-Infrarot-Spektroskopie (fNIRS) lassen sich erstmals Sprachverarbeitungsprozesse bei Kindern in Echtzeit sehr gut und leicht sichtbar machen. Seit kurzem verfügt Roehm über ein entsprechendes Gerät.

Weitere Themen der Tagung sind die Neuen Medien und Fremdsprachenlernern. Dabei wird Univ.-Prof. Dr. Matthias Heinz u.a. Nutzungsmöglichkeiten romanischsprachiger Online-Wörterbücher aufzeigen. Im Workshop „Multimodale Texte im Fremdsprachenunterricht“ wird Univ.-Prof. Dr. Hartmut Stöckl Anregungen zur Arbeit mit Genres wie Werbeanzeigen oder Infographik geben. Perspektiven beim Zweit- und Drittsprachenerwerb werden Ass.-Prof. Dr. Michael Rückl und Ass.-Prof. Dr. Tanja Angelovska aufzeigen.

Die Tagung findet im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und  in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig statt. Zielgruppen sind alle mit Sprachenlernen befassten Personen wie Elementarpädagogen (Sprachförderung im Kindergarten), Lehrkräfte oder Lehramtsstudierende, mit besonderer Berücksichtigung der Berufsbildung. Über 100 Lehrer/innen haben sich bereits angemeldet.

Veranstaltung: Fr, 14. Oktober 2016, Universität Salzburg, Unipark Nonntal, Erzabt-Klotz-Straße 1: „Was weiß die Linguistik über Sprachenlernen – was braucht die Schule? Forschungsbasierte Fortbildung für Sprachehrpersonen in Österreich“