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Wer wird zum Klimaflüchtling?

Langfristige Umweltveränderungen führen selten zu einer erhöhten Migration.

Der Klimawandel mit seinen negativen Folgen wie dem Anstieg des Meeresspiegels  oder der Austrocknung der Böden zwingt Millionen Menschen zur Migration. Für dieses vielfach beschriebene Szenario hat die Salzburger Politikwissenschaftlerin Gabriele Spilker nur sehr begrenzt eine empirische Bestätigung gefunden. Eine weltweit einzigartige Studie mit knapp 4.000 Menschen in fünf Entwicklungsländern hat ergeben, dass Menschen äußerst selten aufgrund langfristiger klimabedingter Umweltveränderungen ihre Heimat verlassen. Die meisten passen sich an die veränderten Verhältnisse an. Ausnahme sind plötzliche Extremwetterereignisse. Vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Weltklimakonfernz in Paris plädiert Spilker für mehr Adaptionsmaßnahmen in den vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern.

Hurricane Katrina in New Orleans (2005), die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan (2010), das Erdbeben von Haiti (2010), der Tsunami in Thailand (2004).  Millionen Menschen verlassen aufgrund von Klimakatastrophen vorübergehend oder dauerhaft ihre Heimat. Forscher schätzen, dass jährlich ungefähr 22 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden. Manche Studien gehen davon aus, dass sich die Zahl der Klimaflüchtlinge auf bis zu 200 Millionen erhöhen könnte. Verlässliche Zahlen gibt es aber nicht, sagt Gabriele Spilker, Assistenzprofessorin für internationale Politik an der Universität Salzburg. „Zahlreiche Studien thematisieren zwar den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration. Aber was bisher fehlte, waren robuste empirische  Daten. Die oft genannten Zahlen beruhen meist auf Schätzungen und Interpretationen. Zum Beispiel hat man im Sudan die Tatsache dass viele Menschen das Land verlassen im Nachhinein mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht. Die Leute selber wurden nicht gefragt“.

Genau diese Forschungslücke ist nun geschlossen. In einem Kooperationsprojekt mit Vally Koubi von der ETH Zürich (wo Spilker selbst bis 2014 an gearbeitet hat), mit Tobias Böhmelt von der University of Essex und mit Lena Schaffer von der Universität Konstanz wurde die bisher größte Umfrage mit Betroffenen zu Klimawandel und Migration durchgeführt. 3.700 Männer und Frauen aus Uganda, Kambodscha Vietnam, Nicaragua und Peru wurden nach den wahrgenommenen klimabedingten Umweltveränderungen befragt, sowie nach den eigenen Konsequenzen daraus. Kernergebnis: Klimabedingte Umweltveränderungen führen nicht zwangsläufig zu Migration. Im Gegenteil:  Wenn es die Möglichkeit gibt, sich anzupassen,  etwa an die Versalzung oder langsame Austrocknung der Böden, versuchen es die Menschen, so lang  es geht. Was die Menschen jedoch tatsächlich oft zur Klimaflucht treibt sind Extremwetterereignisse wie Hurrikane oder Fluten.

Das Ergebnis war für Spilker teilweise selbst überraschend: „Es wird uns ja oft gesagt,  dass die Klimaveränderungen Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertreiben und zu umweltbedingten Migranten machen, meistens innerhalb ihres eigenen Landes. Wir haben jedoch gesehen, dass die Mehrzahl bleibt. Weggehen ist nicht die erste Option, weil es finanziell und sozial sehr kostspielig ist.  Mein Appell daher: Wir sollten zwar einerseits einen entschlossenen Kampf gegen den Klimawandel führen, aber anderseits  den Menschen auch vermehrt Möglichkeiten bieten, die es ihnen erleichtern, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Technologien wie temperaturresistentes Saatgut oder modernes Wassermanagement könnten zum Beispiel hilfreich sein“.  Als ein posiitves Beispiel für verstärkte Maßnahmen zur Adaption an den Klimawandel („Climate resilience“) nennt Spilker ein 2014 gestartetes Pilotprojekt der Weltbank. In Haiti, der Dominikanischen Republik, Jamaica, Samoa, Tonga, Papua Neu Guinea und Saint Lucia investiert die Weltbank 1,2 Milliarden Dollar etwa in Küstenzonenmanagement oder Katastrophenfrühwarnsysteme.

Wer dennoch geht, trägt ein hohes Konfliktpotential

Es gibt ein Detailergebnis der Studie, das aus der Sicht Spilkers besonders zu denken geben sollte:  Bei den – prozentuell eher wenigen – Menschen, die wegen  langfristiger klimabedingter Umweltveränderungen ihrer Heimat schließlich doch den Rücken kehren, ist das Konfliktpotential im Ankunftsort hoch. Ein Erklärungsansatz dafür könnte nach Spilker darin zu finden sein, dass diese Klimaflüchtlinge nach langer Leidenszeit verbittert und aggressionsbereit sind („Grievance“- Hypothese). Es könnte umgekehrt aber auch daran liegen, dass  das Ankunftsland Klimaflucht nicht als hinreichenden Fluchtgrund akzeptiert und den Neuankömmlingen abweisend gegenübersteht.

Ein Problem bei Studien zu Klimawandel und Migration – dessen ist sich Gabriele Spilker bewusst- besteht darin, dass sich Klimaaspekte schwer von ökonomischen Aspekten trennen lassen. Die Wechselwirkungen sind nicht klar erfassbar. Umweltveränderungen beeinflussen natürlich immer auch wirtschaftliche Bedingungen. 

Prof. Dr. Gabriele Spilker | © Andreas Kolarik 

Dr. Gabriele Spilker
Assistenzprofessorin für Internationale Politik
Universität Salzburg
Rudolfskai 42
Tel. 0662 8044/6622

 

Prof. Dr. Gabriele Spilker. Foto: Andreas Kolarik, 04.12.15