Veranstaltungsrückblick: Volkslied und Tracht – ein problematisches Vermächtnis
Den Auftakt der Zeitgeschichte goes public Reihe im Sommersemester 2024 bildete eine Kooperationsveranstaltung mit dem Bereich europäische Regionalgeschichte. Mag. Hieronymus Bitschnau, Historiker, und Dr. Wolfgang Dreier-Andres, Musikwissenschaftler, präsentierten ihre Forschungsergebnisse unter dem Titel „Volkslied und Tracht – ein problematisches Vermächtnis?“ im Rahmen dieses Ereignisses.
Bitschnau und Dreier-Andres beleuchteten die Geschichte des österreichischen Brauchtums, insbesondere die Veränderungen von Tracht und Volkslied im Kontext des aufkommenden Nationalismus zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus. Sie stützen sich dabei unter anderem auf neue Archivfunde aus dem Salzburger Volkskulturarchiv unterstützten ihre Erkenntnisse.
Die beiden Experten zeigten auf, wie die Tracht im 19. Jahrhundert neu erfunden wurde, um Gruppen zu identifizieren und eine „Wir gegen die Anderen“-Mentalität zu schaffen. Diese Instrumentalisierung setzte sich bis in die Moderne fort, wo eine Entwicklung zu einer inklusiveren Mode erst in den 2000ern erkennbar wird. Ähnlich war es beim Volkslied, das von einem alltäglichen Gebrauchslied zu einer exklusiven Form der Performance wurde, mit klaren Regeln für Akteure und Inhalte.
Prominente Persönlichkeiten, darunter der Gründer des Salzburger Adventsingens Tobi Reiser und der Trachtenpfleger Kuno Brandauer, trugen diese Veränderungen und Instrumentalisierung des Brauchtums auch nach dem Ende der NS-Herrschaft.
Bitschnau und Dreier-Andres plädierten für einen reflexiven Umgang mit diesem dunklen, kaum beachteten Erbe. In der anschließenden Diskussionsrunde wurden die Ergebnisse der Untersuchungen mit aktuellen Entwicklungen des Brauchtums in Verbindung gebracht, darunter Modernisierung, der oft kontrovers diskutierte „Heimat“-Begriff und neue Debatten wie jene über eine vermeintliche „Leitkultur“. Die Veranstaltung wurde durch zahlreiche Fragen und Diskussionsbeiträge aus dem Publikum bereichert und war somit ein rundum gelungener und spannender Abend.