Salzburger Hochschulwochen: „Armut. Zu wenig in der Wohlstandsgesellschaft?“
Zum Thema Armut referierte Dr. Gottfried Schweiger vom Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Paris Lodron Universität Salzburg bei den Salzburger Hochschulwochen. Armut ist relativ. Armut ist nicht gleich Armut. Und auch die Frage, ob Armut ungerecht ist, kann nicht eindeutig geklärt werden, meint Experte Dr. Schweiger.
Die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle – das entspricht 60 Prozent des Median-Einkommens – beträgt 1.392 Euro monatlich für einen österreichischen Einpersonen-Haushalt. Diese Zahlen hat die Armutskonferenz im April 2023 veröffentlicht. Armut am Einkommen zu messen, ist allerdings nur eine Art und Weise, sie zu definieren. Das hat Dr. Gottfried Schweiger, Wissenschaftler am Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Paris Lodron-Universität Salzburg bei den Salzburger Hochschulwochen erläutert. Man müsse zwischen relativer und absoluter Armut unterscheiden, zwischen der Bedrohung der sozialen und der physischen Existenz. Während bei der relativen Armut die Gesellschaft eine wichtige Rolle spiele, geht es bei der absoluten Armut um das pure Überleben.
Wer es sich beispielsweise nicht leisten kann, seine Wohnung warm zu halten, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine Proteinalternative zu essen oder kein Auto besitzt sowie Miete, Kredite oder Hypotheken schuldig bleibt, kratzt an der Armutsgrenze. Die EU hat in den Gemeinschaftsstatistiken zu Einkommen und Lebensbedingungen 13 Kriterien definiert, die Armut greifbarer machen sollen. „In Geldgesellschaften wie unserer fällt vieles aus dem Fokus, das mit der Wohnsituation, den Bedürfnissen oder der Infrastruktur zu tun hat“, sagt Schweiger. Politische Interventionen, beispielsweise durch kostenfreien Zugang zu Kultur und Mobilität, können seiner Meinung nach Armut wirksam bekämpfen.
Unmittelbar damit verknüpft ist für Schweiger die Frage, ob Armut immer ungerecht ist oder ob sie in bestimmten Fällen durchaus als gerecht empfunden werden kann. Denn Ungerechtigkeit zieht unweigerlich die moralische Verpflichtung nach sich, helfen zu wollen oder zu müssen. Wählt jemand allerdings freiwillig die Armut, wird dieser Impuls unterdrückt. Allerdings sei bei der Frage nach der Autonomie eines Menschen unbedingt der Kontext zu beachten: „Wenn jemand beispielsweise keine Ausbildung machen möchte, um seine finanzielle Situation zu verbessern, kann das damit zusammenhängen, dass Bildung in seiner Familie einen untergeordneten Stellenwert hat.“ Und damit unattraktiv ist.
Der Staat als Verantwortungsträger hat die Fähigkeit, entsprechende Gesetze zu erlassen, um Armut zu beseitigen. „Er kann und sollte viel mehr umverteilen, denn Armut ist teuer. Sie effektiv und frühzeitig zu bekämpfen, dagegen günstig“, sagt Schweiger. Würde der Nationalrat beispielsweise das bedingungslose Grundeinkommen umsetzen, „käme das einer Eliminierung der Einkommensarmut gleich.“ Und durch seine Potenz könne der Staat durch Regeln und Gesetze andere dazu bringen, ihrer Verantwortung nachzukommen. Schweiger sprach sich beispielsweise dafür aus, dass der Staat die Zivilgesellschaft mehr fordern und fördern könnte, um Armut zu bekämpfen, etwa mit einem verpflichtenden sozialen Jahr. Dadurch könnten auch die Bürger:innen ihre Solidarität zeigen.
Text: Claudia Dabringer