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Psychologin für lösungsorientierte Studie zu Bildungserfolg und Migrationshintergrund ausgezeichnet

05. Mai 2022

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Die Psychologin Haliemah Mocevic von der Paris Lodron Universität Salzburg zeigt in ihrer Dissertation auf, dass Lehrpersonen im Schulalltag mit kleinen, gezielten Interventionen zum Bildungserfolg von benachteiligten Jugendlichen beitragen und so Chancenungleichheiten verringern können. Für die höchst praxisrelevante Arbeit wird die bereits mehrfach ausgezeichnete Nachwuchswissenschaftlerin nun mit dem Young Investigators Award der Paris Lodron Universität Salzburg 2021 prämiert.

Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund sind deutlich häufiger in geringer qualifizierten Schulzweigen zu finden, erbringen im Durchschnitt schlechtereLeistungen bei standardisierten Tests und verlassen die Schule öfter ohne Abschluss als Kinder der Mehrheitsgesellschaft. Die dahinterliegenden strukturellen Probleme sind vielfach Thema in der Forschung, aber praktikable Lösungsvorschläge, was – durchaus auch wohlwollende – Lehrpersonen für mehr Bildungsgleichheit tun können, sind rar.

Das hat Haliemah Mocevic, die als Senior Scientist an der Universität Salzburg zu Bildungsthemen im Schnittbereich zwischen Psychologie, Erziehungswissenschaft und Interkulturalität forscht, selber u.a. während der Flüchtlingskrise 2015 hautnah erlebt. „Ich habe damals an der Pädagogischen Hochschule Salzburg als Assistentin in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen gearbeitet und wurde von der Schulpsychologie – auch weil ich Arabisch spreche – unterstützend im Schulbereich zur Beratung und Diagnostik herangezogen. Dabei habe ich aus verschiedenen Perspektiven Einblicke in diverse Schulen bekommen. So bin ich dem Thema gleichzeitig in der Theorie und Praxis begegnet. Es gab viele Fragen zu Bildungserfolg und Minderheitenzugehörigkeit und ich erkannte einen großen Bedarf an praktikablen Lösungen aus der Psychologie, um den Bildungserfolg von Schülern mit Migrationshintergrund zu fördern. Das war ein Anstoß, um mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen.“

Eine Sonderauswertung der PISA-Daten von 2015 hat gezeigt, dass Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund oft sehr hohe Bildungsaspirationen formulieren. Dass sie de facto aber häufig scheitern, kann u.a. an subtilen psychischen Barrieren liegen, die die Schulleistung einschränken. Darauf weisen Forschungen hin. Studien aus dem angloamerikanischen Raum, die die Rolle der Identität in den Vordergrund rücken, belegen, dass kleine Interventionen, die die Sichtweise auf sich selbst, die Situation oder andere Menschen ändern, oft die Effekte langfristiger Trainings (wie z.B. Sprachförderung) übertreffen und Bildungsdisparitäten nachhaltig verringern können. (Psychologen sprechen hier von „Wise Interventions“ bzw. „Weisen Interventionen“.)

Negative Stereotype als selbsterfüllende Prophezeiung

Dieser Ansatz, der mit kleinen gezielten Interventionen auf das eigene Identitätskonzept einwirkt, baut im Wesentlichen auf zwei psychologischen Theorien auf, die Haliemah Mocevic ihrer Arbeit zugrunde gelegt hat.

Der erste theoretische Grundpfeiler ist das Phänomen der „Bedrohung durch negative Stereotype“ (engl. „Stereotype Threat“). Damit gemeint ist die Angst von Mitgliedern einer sozialen Gruppe, ihr Verhalten könnte ein negatives Stereotyp gegen diese Gruppe bestätigen. Dadurch kann es, so die Theorie, zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung kommen, wenn nämlich diese Angst erst recht das Verhalten im Sinne des Vorurteils beeinflusst. „In den USA herrschen zum Beispiel Stereotype vor, die afro-amerikanischen Hintergrund mit mangelnder Intelligenz verknüpfen. Forscher fanden bestätigt, dass schwarze College-Studierende in schwierigen Prüfungssituationen tatsächlich schlechter abschnitten, wenn in der Prüfungssituation die rassistischen Stereotype gezielt aktiviert wurden,“ so Mocevic. „Weit verbreitete Vorurteile können demnach eine Stressquelle darstellen, die die Leistungsfähigkeit in der Schule einschränkt.“

Der zweite Pfeiler ist die Theorie der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse („Basic Psychological Needs Theory“). Diese Theorie besagt, dass das Gefühl der sozialen Eingebundenheit, Kompetenz und Autonomie positive Effekte im Lehr-Lerngeschehen hat. Umgekehrt heißt das, wer sich nicht eingebunden und kompetent fühlt, hat ungünstigere Lernvoraussetzungen.

An diese Forschungen anknüpfend hat Haliemah Mocevic als erste Wissenschaftlerin für Österreich in einer empirischen Arbeit untersucht, inwieweit Schüler und Schülerinnen nach dem Übergang in die Sekundarstufe 2 mit kleinen Interventionen, die das Selbstkonzept betreffen, leistungseinschränkende psychologische Barrieren überwinden können. Konkret: Ob die Vorinformationen, die Schüler*innen vor einem Test erhalten, einen bedeutsamen Unterschied machen.

Studie mit 500 AHS – Schülern

An der Erhebung, die im Februar/März 2020 erfolgte, nahmen 467 Schülerinnen und Schüler aus 21 Klassen der 9. und 10. Schulstufe an 5 Gymnasien in Österreich teil. Die Untersuchung fand in je einer Unterrichtseinheit statt, die Schüler sollten mathematische und sprachliche Aufgaben lösen. Haliemah Mocevic hatte dafür einen mehrteiligen Fragebogen ausgearbeitet. Die Instruktionen waren unterschiedlich formuliert: In der einen Bedingung wurden Stereotype aktiviert, in der anderen nicht. Die Stereotyp-Instruktion lautete: „Da Leistungstests oft bei Auswahlsituationen z.B. bei Jobs oder Aufnahmeverfahren an Universitäten verwendet werden, untersuchen wir in der vorliegenden Studie, warum Schüler*innen unterschiedlicher Gruppen (mit/ohne Migrationshintergrund; Mädchen/Burschen) bei Denk-Aufgaben unterschiedliche Leistungen erbringen.“ In der Kontrollgruppe hieß es hingegen neutral: „In der vorliegenden Untersuchung interessiert uns, wie Schüler*innen an österreichischen Schulen mit Herausforderungen, die für den schulischen Alltag von Bedeutung sein können, umgehen.“

Zudem wurden in der ersten Gruppe demographische Daten wie des Migrationshintergrunds oder der Erstsprache bereits vor Beginn der Leistungserhebung abgefragt, in der Kontrollgruppe erst danach. Darüber hinaus gab es bei den Schülern – über die Bearbeitung verschiedener Fragebögen – auch noch eine Identitäts-Intervention: in der einen Gruppe wurde gezielt nur die Identität als Migrant*in adressiert, in der anderen Gruppe wurden vielfältige Identitätsmerkmale (Hobbies, Altersgruppe etc.) abgefragt und angesprochen.

Getestet wurde auch die Hypothese, ob die Frustration der psychologischen Grundbedürfnisse nach sozialer Eingebundenheit, Kompetenzerleben und Autonomie einen Effekt auf die Leistung hat.

“Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl der Stereotyp-Effekt als auch die Frustration von Grundbedürfnissen zu Leistungseinbußen bei Schüler*innen mit Migrationshintergrund beitragen“, resümiert Haliemah Mocevic und ergänzt. „Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Schüler*innengruppen von der Minimal-Intervention, also z.B. der Betonung ihrer multiplen Identität, profitieren.“

Als nächstes will Haliemah Mocevic nun konkrete Handlungsempfehlungen ableiten.

Und was hält sie von Alltagspsychologie auf dem Gebiet? „Mit der Alltagspsychologie wäre ich vorsichtig. Es geht da um sehr subtile Mechanismen. Daher ist es wichtig, dass man fundiertes psychologisches Wissen heranzieht. Ich möchte gerne dazu beitragen, dieses breiter zur Verfügung zu stellen. In der Lehrer*innen-Ausbildung ist ein Diversitäts-sensibler Zugang sehr wichtig, weil Lehrer*innen einen großen Einfluss darauf haben, Potential zu fördern oder zu verlieren.“

Haliemah Mocevic räumt ein, dass die Rahmenbedingungen für Lehrer*innen oft ungünstig sind, um die Schule zu einem Ort zu machen, der mehr Chancengleichheit eröffnet. „Da Menschen mit Migrationshintergrund einen wachsenden Bevölkerungsanteil ausmachen, wird es sowohl aus ökonomischen Gründen als auch im Sinne des Sozialgefüges zunehmend wichtiger, möglichst allen die Entfaltung ihrer Potentiale zu ermöglichen“, so die Psychologin.

Zur Person

Haliemah Mocevic hat an der Universität Salzburg Psychologie studiert und 2014 mit dem Master abgeschlossen. Danach war sie u.a. wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Salzburg. 2018 nahm sie an der PLUS ein Doktoratsstudium auf. Seit Oktober 2021 ist sie als Senior Scientist am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Salzburg beschäftigt. Darüber hinaus hat sie seit 2017 ein zweites berufliches Standbein als Klinische Psychologin & Gesundheitspsychologin und Coach in freier Praxis.

Die geborene Niederösterreicherin mit ägyptischen Wurzeln, die sechs Sprachen spricht, wurde schon mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Dissertationspreis für Migrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (2021) und dem AKWissenschaftspreis (2014). Haliemah Mocevic ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Titel der Dissertation: „Minderheitenzugehörigkeit und Bildungserfolg aus sozialpsychologischer Perspektive“

Fotonachweis: Kolarik

Kontakt:

Haliemah Mocevic, MA MSc
Senior Scientist
Fachbereich Erziehungswissenschaft
Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)
Erzabt-Klotz-Straße 1
5020 Salzburg
t.: + 43 (0) 662 8044-4204