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Populismus. Kampfbegriff oder Gefahr für die Demokratie?

Ist der Populismus eine Gefahr für die Demokratie? Sollten unsere verfassungsrechtlichen Institutionen zum Schutz vor Populismus nachgeschärft werden?

Was ist davon zu halten, wenn populistisch gegen Populisten vorgegangen wird? Könnte sich die Demokratie durch den Populismus selber abschaffen? Über diese und ähnliche Themen diskutiert bei einem Workshop am Donnerstag, 1. Juni 2017 an der Universität Salzburg der vielzitierte Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller von der renommierten Universität Princeton mit Top-Jungwissenschaftlern aus aller Welt. Veranstalter des Workshops „Die populistische Krise der pluralistischen Demokratie“ ist der Salzburger Rechtsphilosoph Stephan Kirste mit seinem Team.

„Heute ist die Macht an das Volk zurückgegeben worden.“ Diesen Satz sprach Donald Trump bei seiner Amtseinführung am 20. Jänner 2017. “Wir sind das Volk. Wer seid Ihr?“ schleuderte der türkische Präsident Erdogan nach dem Putsch seinen Kritikern entgegen. Diese Sätze sind Lehrbeispiele dafür, worum es im Populismus geht: Die Polarisierung zwischen „wir“ und „ihr“. Wobei für Populisten klar ist: „Wir“ und nur wir repräsentieren das Volk, das „einfache Volk“.

Populismus ist geprägt von der Ablehnung der Machteliten. Wobei nicht jeder, der Eliten kritisiert, ein Populist ist. Ansonsten stünde jede Kritik an den Mächtigen unter Populismusverdacht. Bei den Populisten verbindet sich der antielitäre Gestus typischerweise mit einem antipluralistischen Alleinvertretungsanspruch, analysieren Wissenschaftler. Und in diesem Alleinvertretungsanspruch liegt die große Gefahr für die Demokratie, sagt der Rechtsphilosoph Professor Stephan Kirste von der Universität Salzburg und schließt sich damit der Kernthese Jan-Werner Müllers an.

„Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn der Populismus einen bestimmten Platz in der Demokratie hat, das ist gut so, es ist wie das Salz in der Suppe. Höchst bedenklich ist aber der Alleinvertretungsanspruch der Populisten. Sind sie erst einmal an der Macht, ändern sie oft die Verfassung, um den Alleinvertretungsanspruch zu zementieren. Viktor Orban hat das getan, genauso wie vor kurzem Erdogan“. Und Kirste ergänzt: „Ich sehe die Zunahme des Populismus quasi als Fiebermesser für gesellschaftliche Prozesse in der Demokratie, bei denen etwas schiefläuft.“

Fakt ist: Der Begriff Populismus wird inflationär gebraucht. Wer wird heute nicht alles als Populist beschimpft. Vielleicht ist ein Populist einfach nur ein populärer Konkurrent, dessen Programm man nicht mag, wie der deutsch-britische Publizist Ralf Dahrendorf einmal meinte?

Klarheit und Schärfe in den vielzitierten Begriff brachte vor kurzem mit seinem erfolgreichen Essay „Was ist Populismus?“ der deutsche Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller, der als Professor an der Universität Princeton lehrt, einer der ältesten und renommiertesten Hochschulen in den USA. Müller wird beim Workshop in Salzburg am 1. Juni 2017 bei der Eröffnung um 9.30 Uhr die Keynote-Session halten und seine Thesen anschließend mit Top-Nachwuchswissenschaftlern unter anderem aus Oxford, Cambridge, Washington, New York/ Moskau oder Göttingen diskutieren.

Müller grenzt seine Theorie von gängigen Erklärungsversuchen ab, wonach besonders die Modernisierungsverlierer anfällig für Populismus sind. Das sei ein „herablassender Gestus liberaler Eliten“, der den Populismus nur verstärke. Populismus sei nicht so sehr das Anliegen bestimmter sozialer Schichten, sondern vielmehr eine ganz bestimmte Politikvorstellung, die sich vor allem im Alleinvertretungsanspruch ausdrücke. Solange Populisten nicht gegen Minderheiten hetzen, rät Müller zu Gelassenheit. Man sollte sie nicht automatisch ausgrenzen, sondern sich mit ihnen auseinandersetzen, im Sinne der pluralistischen Grundsätze der liberalen Demokratie.

„Was unseren Workshop auszeichnet ist, dass Jungwissenschaftler aus verschiedensten Ländern und Fachrichtungen sehr unterschiedliche Perspektiven auf das Thema ‚Populismus und Demokratiekrise’ richten. Es wird eine spannende Diskussion mit Jan-Werner Müller werden“, sagt die Salzburger Nachwuchsrechtsphilosophin Kristin Albrecht aus dem Team von Stephan Kirste. Zu den internationalen Jungwissenschaftlern kommen noch Studierende der Universität Salzburg hinzu, die in einem Seminar von Dr. Norbert Paulo eigens auf den Workshop vorbereitet wurden. Die Salzburger Rechtsphilosophie sendet ein starkes Signal: Es kommt auf den Nachwuchs an.

Für Rechtsphilosophen stehen die verfassungsrechtlichen Implikationen des Populismus im Zentrum des Interesses. „Etablierte Demokratien wie die USA, die Niederlande, Deutschland, Österreich etc. sehe ich nicht durch den Populismus bedroht. Die verfassungsrechtlichen Institutionen sind hier stark genug. Nach dem Motto: Populismen vergehen, Verfassungen bestehen. Aber in jüngeren Demokratien sollten die Verfassungen zum Schutz vor dem Alleinvertretungsanspruch von Populisten gegebenenfalls nachjustiert werden. Die Verfassungen sollten die offene Diskussion über Ressentiments zwar zulassen, aber nicht zum Spielball von populistischen Bestrebungen werden können. Darüber werden wir im Workshop diskutieren“, sagt Kirste.

Kirste datiert das Erstarken des Populismus in Europa mit der Wahl Viktor Orbans zum ungarischen Ministerpräsidenten im Jahr 2010. Den Sieg Alexander van der Bellens in Österreich sowie den Sieg Manuel Macrons in Frankreich hält Kirste zwar für wichtige antipopulistische Signale, im Niedergang befinde sich der Populismus aber derzeit nicht.

Veranstaltung: „The Populist Crisis of Pluralist Democracy“. (In der Reihe: Salzburger Workshops in Rechts- und Sozialphilosophie“). Workshop am 1. Juni 2017, Universität Salzburg, Churfürststraße 1, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Raum 210. Sprache: Englisch. Organisation: Kristin Albrecht, Stephan Kirste, Hanna Maria Kreuzbauer und Norbert Paulo. https://www.uni-salzburg.at/index.php?id=206876