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Open Letter zur Flüchtlingskrise von Academics Stand Against Poverty (ASAP)

Hier die deutsche Übersetzung des open letter:
London, 17. September 2015
Wir sind eine globale Gemeinschaft von Wissenschaftler mit den verschiedensten disziplinären sowie geographischen Hintergründen. Die momentane Flüchtlingssituation im Mittelmeerraum ist eine Krise die uns, vor allem im Hinblick auf das bisherige offizielle Krisenmanagement stark betroffen macht.
Wir müssen zwei dringliche moralische Aufgaben meistern: (1) Die Sicherheit und das Wohlergehen derer zu gewährleisten, die ihrer Heimat beraubt wurden; und (2) die systemischen Probleme auszumachen, die Menschen und Völker überhaupt dazu zwingen zu emigrieren – Migration sollte immer eine Wahl darstellen und keine Notwendigkeit. Dabei ist die erste Herausforderung momentan die dringlichere, die zweite jedoch ultimativ die wichtigere. Das Ziel der globalen Gemeinschaft sollte es sein, die Muster der Gewalt, Armut und ungleichen Entwicklung anzusprechen, die Menschen dazu zwingen ihre Heimat zu verlassen. Zusammenhänge müssen erkannt werden. Wir müssen uns eingestehen, dass diese Muster Eigenschaften eines internationalen Systems sind, das zum Großteil von einer kleinen Gruppe wohlhabender Staaten kreiert wurde, die – durch geopolitische Manöver, die Extrahierung von Ressourcen, Handel- und Finanzmechanismen – einen immensen materiellen Vorteil genießen. Die Opfer dieses Systems müssen geschützt werden und eine Reform desselben herbeigeführt werden. Dies beinhaltet, dass wir dafür arbeiten, Ressourcenkriege zu beenden, den illegale Fluss an Kapital aus Entwicklungsländern einzudämmen, Handelsregime fairer zu gestalten, nationale Souveränitäten zu achten und auf den Klimawandel zu reagieren.
Die momentane Krise birgt die monumentale Chance in sich, dass aus einer Tragödie ein positives globales Vermächtnis resultieren könnte. Durch das Chaos und die Massenvertreibungen des frühen 20. Jahrhunderts entstanden die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Flüchtlingskonvention mit ihrem Protokoll sowie eine Reihe anderer Strukturen mit dem Ziel, Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit für alle zu schaffen. Diese fundamentalen Errungenschaften werden heute – der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen geht davon aus, dass es niemals so viele vertriebene Personen gab wie heute – mehr denn je auf die Probe gestellt.
Daher ist genau jetzt der Zeitpunkt um unser globales Engagement für Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit zu be- und verstärken. Dieses kollektive und anhaltende Bestreben geht weit über eine kurzsichtige und territoriale Fokussierung auf Grenzkontrollen hinaus. Als eine vitale, internationale Gemeinschaft müssen wir neue Wege der Kooperation finden.
Gleichzeitig müssen wir aber auch unseren dringlichsten Verantwortlichkeiten nachkommen. Das Mitgefühl, mit dem Bürger und Kommunen auf die momentanen Massenbewegungen reagiert haben, übersteigt das der meisten Regierungen bei weitem. Wir fordern alle Regierungen, sowohl die in Europa und die der Golfstaaten als auch die geographisch weiter entfernten, dazu auf, denen Zuflucht zu gewähren, die sie benötigen. Ein schneller Zugang zu humanitärem Schutz (und die Unterstützung derer, die das Mittelmeer überqueren); die Möglichkeit zu arbeiten und einen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen; und die Registrierung von Neugeborenen vertriebener Familien, sind zu gewährleisten. Wir fordern nationale wie internationale Körperschaften dazu auf, zusätzliche Unterstützung von Flüchtlingen zu priorisieren (ohne dabei allerdings existierende Hilfen zu verringern) und zu gewährleisten, dass Bemühungen um „Schlepper zu bekämpfen“ nicht zu dem Versuch werden, Migration zu verhindern.
Es ist keine Lösung, Grenzen zu schließen um Menschen am Umsiedeln zu hindern. Forschungen haben bewiesen, dass, wenn man Individuen entlang ihrer Reise aufhält, dies lediglich ihre Situation noch prekärer werden lässt und sie dazu zwingt, neue Migrationsstrategien zu entwickeln. Was wir brauchen, sind regionale und internationale Instanzen, die sich dazu verpflichten, politisch zusammen zu arbeiten. So fordern wir bspw. die europäischen Staaten dazu auf, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um einen europaweiten, genuin humanitären Ansatz zu entwickeln und EU-Institutionen mit den Ressourcen und dem Mandat auszustatten, diese zu koordinieren, um die zu schützen, die momentan auf der Flucht sind und um solche Entwicklungen in der Zukunft zu verhindern. Denn nur eine globale Herangehensweise, die die systemischen Kräfte von Massenvertreibungen thematisiert, (einschließlich der Konflikte, der ungleichen Entwicklung, der allgemeinen Gewalt und der Verfolgung von Minderheiten) hat das Potential, ein positives Vermächtnis im Angesicht der größten Migrations-Herausforderung des 21. Jahrhunderts zu hinterlassen.
Dieser Brief wurde vom ASAP Global Board, den Chapters/Associate Chapters in Österreich, Chile, Deutschland, Griechenland, Indien, Irland, Oceanien, Portugal, Rumänien, Spanien, dem Vereinten Königreich und West Afrika unterschrieben.
Medienkontakt: Rachel Payne; +1 413 884 5469; rachel.r.payne (at) gmail.com
Academics Stand Against Poverty (ASAP) ist eine internationale Vereinigung, die Forschern wie Lehrenden dabei hilft, ihre Wirkung in der Armutsbekämpfung zu vergrößern. ASAPs übergreifende Ziele sind es, einen Beitrag zum Verschwinden akuter Armut zu leisten und sicherzustellen, dass Armutspolitik und Entwicklungsanstrengungen auf strikter empirischer und normativer Forschung basieren. ASAP stellt fest, dass Armut ein Prozess ist und keine statische Gegebenheit. ASAP will die Grundfaktoren von Armut sowohl in globalen als auch inländischen Sphären aufzeigen und verdeutlichen, dass einige dieser Faktoren Armut in wohlhabenden wie weniger wohlhabenden Ländern verschlimmern können. ASAPs Theorie des sozialen Wandels ist sowohl auf Institutionen als auch auf Normen fokussiert. Inspiriert durch die Erfolge engagierter Akademiker im Hinblick auf Bürgerrechte, den Krieg der USA in Vietnam, Apartheid und jüngst Genderungleichheiten und Gewalt, ist ASAP davon überzeugt, dass wir einen maßgeblichen Wandel im Blick auf Armut und armutsbetroffenen Menschen weltweit erreichen können.
Die englishe Version des open letter auf der Seite von ASAP Global (wo der Brief auch unterschrieben werden kann):
 http://academicsstand.org/2015/09/asap-writes-open-letter-on-migration/
Die deutsche Version als PDF.
Mehr Informationen zu ASAP Österreich: www.uni-salzburg.at/asap