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Neue Sicherheit im alpinen Skirennsport

Spektakuläre Stürze und dramatische Verletzungen prägen vielfach das Bild des alpinen Skirennsports. Rund ein Drittel aller Athleten verletzen sich einmal pro Jahr. Nun hat der Internationale Skiverband (FIS) neue, sicherheitsrelevante Reglements beschlossen. Ausgearbeitet wurden sie von Sportwissenschaftlern der Universität Salzburg unter der Leitung von Erich Müller.

Fotos: © Universität Salzburg/Philippe Chevalier

Der Gasteiner Hans Grugger stürzte beim Training zur Weltcup-Abfahrt in Kitzbühel schwer und wurde mit einem Schädel-Hirn-Trauma in die Universitätsklinik Innsbruck eingeliefert. Der Abtenauer Matthias Lanzinger zog sich beim Super-G in Norwegen einen offenen Unterschenkelbruch zu. Dem Skirennfahrer musste der linke Unterschenkel amputiert werden. Die Liste schwerverletzter Spitzensportler, auch mit Todesfolge ließe sich mühelos fortsetzen. Enorme Sprungweiten, hohe Geschwindigkeit und extremes Gefälle sind die Ingredienzien für eine spektakuläre Strecke, vor allem in der Abfahrt. Die Verletzungsgefahr ist für die Athleten zu hoch geworden, befand die FIS und gab ein Projekt in Auftrag, dass sich mit der Reduktion der Risiken im alpinen Skisport beschäftigt.

Die fünf Hotspots

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Lawinenschneeforschung aus Davos, der Technischen Universität in Lausanne sowie der Universität Oslo erstellten die Salzburger Sportwissenschaftler ein Konzept. In einem ersten Schritt wurden Interviews mit den weltbesten Skirennläufern, Trainern,  Vertretern der Skiindustrie, Organisatoren von Skirennen, Medizinern und Verantwortlichen der FIS durchgeführt, um die wichtigsten Gefahrenquellen herauszuarbeiten. „Es kristallisierten sich fünf Hotspots heraus, die hauptverantwortlich für das hohe Verletzungsrisiko sind“, sagt Erich Müller, Leiter des Christian Doppler Labors für Biomechanics in Skiing an der Universität Salzburg. Und zwar das Material, also Skier, Bindung und Schuhe. Weiters die Schneeverhältnisse vor allem dann, wenn sie sich während des Rennens verändern. „Ein Skirennläufer, der auf eine  vereiste Rennstrecke eingestellt ist und plötzlich auf griffigen, aggressiven Kunstschnee fährt, ist einem erhöhten Risiko ausgesetzt, weil seine Skier schwerer kontrollierbar sind“, betont Müller. Das dritte Gefahrenpotential birgt die Geschwindigkeit an sich, die viel zu hoch geworden ist. Diese hängt mit den Skiern, der Pistenbeschaffenheit und der Kurssetzung zusammen. Hinzu kommt die konditionelle Verfassung der Athleten, die auf die enormen Kräfte nicht ausreichend vorbereitet sind. Auch der Terminkalender der Skirennen ist ein Risikofaktor: Wenn Athleten innerhalb kürzester Zeit von den USA nach Asien und dann wieder nach Europa reisen, leiden sie unter Jetlag und Übermüdung.

Aggressivität herausnehmen

In einer zweiten Phase analysierten die Wissenschaftler Abfahrtslauf, Super-G und Riesentorlauf mittels komplexer Messverfahren. Sie eruierten, wie groß die tatsächlichen Fahrgeschwindigkeiten sind, welche Kurvenfahrlinien gemacht werden und wie die Kurssetzung aussieht.  Vorläufer wurden bei Weltcup-Abfahrten mit modernster Technik und GPS-Sensoren am Körper auf die Strecke geschickt. Mit Hilfe von Beschleunigungssensoren und Kraftmessplatten, die im Skischuh fixiert wurden, konnten alle diese Parameter während der Rennen erhoben werden.

 „Dann haben wir uns gemeinsam mit der Skiindustrie überlegt, wie das Material verändert werden soll, um die Geschwindigkeit zu reduzieren“, sagt Müller. „Wir mussten die Aggressivität herausnehmen.“ In simulierten Skirennen wurden Prototypen ausprobiert und geschaut, inwieweit diese tatsächlich die Risikofaktoren minimieren können. Auch dazu waren sehr komplexe biomechanische Verfahren, vielfache Videoaufnahmen und Kraftanalysen notwendig. „Auf Basis dieser Ergebnisse haben wir dann Vorschläge gemacht, wie die neuen Skier aussehen könnten.“ Die Skier werden länger und schmäler und sind dadurch leichter zu kontrollieren. Der Skitaillierungsradius wird auch wesentlich größer sein. Dadurch können nicht so enge Kurven gefahren werden.

Entschleunigung im Skirennsport bei gleichbleibender Attraktivität

Die wissenschaftlichen Ergebnisse haben weltweit großes Echo hervorgerufen. Zum Teil entstand viel Nervosität, insbesondere bei jenen Skirennläufern und Skifirmen, die derzeit mit dem bestehenden Material zu den Besten gehören. Umgekehrt waren jene Athleten, die in den vergangenen Jahren mit Verletzungen zu kämpfen hatten, den Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Österreichische Spitzensportler wie Benni Raich haben die Prototypen probiert und deutliche Verbesserungen bemerkt. Die FIS hat nun beschlossen ab der Wintersaison 2012/13 die neuen Reglements anzuwenden. Sie gelten für Damen und Herren und werden für alle Disziplinen angepasst. Firmen und Athleten können sich nach der laufenden Saison darauf einstellen. Bereits in diesem Winter wird es bei der Präparierung der Pisten sowie bei der Kurssetzung deutliche Verbesserungen geben.

„Diese neuen Reglements werden sich jedoch nicht auf den Breitensport auswirken“, betont Erich Müller. Dort ist genau das Gegenteil der Fall. Die Sicherheit im Freizeitsport hat sich durch die Einführung der diversen Carving-Skisysteme deutlich verbessert. „Wir haben heute um 30% weniger Verletzungen als noch vor 10 Jahren“, so Müller. Im Gegensatz zum Rennsport ist das Skifahren für den Breitensport sehr viel sicherer geworden.