Nachwuchswissenschaftlerin erhält Marie Andeßner Preis für außergewöhnliche Flechtenforschung in Kirgistan
Anna Götz von der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) hat als eine der ersten Botanikerinnen in dem hochalpinen Gebiet des UNESCO Nationalparks Sary Chelek in der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgistan Flechtenproben genommen und neue Arten identifiziert. Der Nationalpark Sary Chelek liegt im Norden des asiatischen „Himmelsgebirges“ (Tian Shan) und ist geprägt durch gigantische Bergstürze. Die zeitlich unterschiedlichen Ablagerungen in dieser Gegend ermöglichen es, die Veränderungen der Artenzusammensetzung und die komplexen Netzwerkdynamiken von Flechten perfekt zu erforschen.
Vor kurzem wurde Anna Götz für ihre Untersuchungen mit dem Marie Andeßner Preis für herausragende Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlerinnen ausgezeichnet.
„Ich wollte gleich zu Beginn meines Biologiestudiums unbedingt irgendwo hin, wo extreme Bedingungen herrschen und mich mit einem Organismus beschäftigen, der in hochalpinen Lebensräumen existiert. So bin ich auf die Flechten gekommen, die auch dort noch gedeihen, wo sonst nichts mehr wächst“, sagt die in den Berchtesgadener Alpen aufgewachsene Doktorandin Anna Götz zu ihrer Motivation, ausgerechnet Kirgistan für ihre Feldforschung ausgewählt zu haben und ergänzt „Mein Ziel war es, Wissenschaft zu machen, wie man sie sich vorstellt: Neues in Gebieten zu erforschen, die man nicht kennt.“
Kirgistan liegt im Hochgebirge des Tian Shan („Himmelsgebirge“). Über 90 Prozent von Kirgistan liegen oberhalb von 1500 Metern Meereshöhe. Und was ist interessant an Flechten?
„Flechten sind faszinierende Doppelwesen, symbiotische Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen und Algen. Sie besiedeln als Pionierlebewesen unwirtliche und extreme Standorte und sind so Wegbereiter für andere Organismen. Sie gelten zudem als wichtige Indikatoren für Umweltverschmutzung, da sie sehr sensibel auf Veränderungen der Luftgüte reagieren.“
Die Reise nach Kirgistan kam für Anna Götz im September 2019 durch die Unterstützung der Geomorphologen der PLUS – der damaligen Masterstudentin Katrin Langenwalter und deren Betreuer Andreas Lang – sowie durch Jens Mingram vom GFZ Geoforschungszentrum Potsdam zustande.
„Man legt sich im Kopf alles zurecht, aber dann kommt man hin, und alles ist anders. Auf der Karte schaut alles anders aus als in der Natur, auch das Wetter ist anders als gedacht. Und man muss schauen, dass man seine Proben zusammenkriegt,“ sagt die 27-jährige Dissertantin, die als Projektmitarbeiterin am Fachbereich Umwelt und Biodiversität der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) beschäftigt ist. Die Forschungen zu den auf Stein wachsenden Flechten in Kirgistan hat sie im Rahmen ihrer Bachelor- und Masterarbeit durchgeführt.
Große Herausforderungen bei der Expedition im September 2019 waren für Anna Götz und ihre Kollegin Katrin Langenwalter (die für ihre Masterarbeit dort geomorphologische Daten zur zeitlichen Datierung des Bergsturzes sammelte) die feuchtheißen Bedingungen mit unerwarteten Temperaturen um die 30 Grad Celsius. Dazu der Druck, Proben zu nehmen und die schwere Zugänglichkeit der Gebiete. Die Forscherinnen mussten sich durch eine üppige, teils meterhohe, vielfach stachelige Vegetation auf die kahlen Anhöhen durchkämpfen, um an die Flechten auf den in der prallen Sonne gelegenen Steinen zu kommen.
„Ich hatte den Gradienten des Bergsturzes als Grundlage für meine Probennahmen und habe mir dementsprechend verschiedene Gebiete ausgesucht und dort von den Steinen alles an Flechten heruntergenommen, was ich gefunden habe. Wobei „heruntergenommen“ heißt, dass ich es mit Hammer und Meißel heruntergeschlagen habe. Das ist extreme harte körperliche Arbeit, weil es sich zum Teil um endolithische Flechten handelt, also solche, die in das Gestein eingewachsen sind. Dadurch, dass ich viel klettere, bin ich von mir gewohnt, fit zu sein, aber ich musste dann doch oftmals die Hand wechseln. Es ist Arbeit wie von einem Steinmetz.“
Innerhalb von zwei Wochen hat Anna Götz so 200 Proben genommen, davon konnten einige als neue Arten identifiziert werden. „Es hat sich gezeigt, dass es eine große Vielfalt an saxicolen Flechten am Erdrutsch Sary Chelek gibt. Sary Chelek ist eines der größten Bergsturz-Gebiete im 2.400 Meter langen und bis über 7.400 Meter hohen Tian Shan Hochgebirge, das sich von Kasachstan über Kirgistan bis China erstreckt. Durch die Bergstürze hat sich in Sary Chelek ein Damm gebildet. Die zeitlich unterschiedlichen Ablagerungen dort stellen den perfekten Bereich dar, um die Veränderung der Artenzusammensetzung von Flechten mit Massenbewegungsprozessen zu verknüpfen,“ so Anna Götz.
Wissenschaftlich betreut wurde die Nachwuchswissenschaftlerin von der etablierten Salzburger Lichenologin (Flechtenforscherin) Ulrike Ruprecht, die ihre Flechtenforschungen an der PLUS in der Gruppe um den inzwischen emeritierten Lichenologen Roman Türk begann.
„Der Beitrag von Anna Götz ist für die Flechtenforschung sehr wertvoll. Sie ist eine der ersten, die im kirgisischen Naturreservat Sary Chelek Flechtenproben genommen, charakterisiert und identifiziert hat. Bisher ist dazu sehr wenig publiziert, und wenn dann nur auf Russisch“, streicht Ulrike Ruprecht die Bedeutung der Arbeit von Anna Götz hervor und ergänzt: „Es handelt sich bei den hauptsächlich gefundenen Exemplaren um eine taxonomisch äußerst schwer zu bestimmende Gruppe (Megasporaceae). Vor allem durch die Unterstützung des Flechtenforschers Alexander Pankow von der Universität in St. Petersburg sind wir draufgekommen, dass wir viele neue Arten gefunden haben.“
In Kürze sollen die Arbeiten publiziert werden.
Die nach der Salzburger Reiseschriftstellerin benannten Marie Andeßner Preise vergibt die Paris Lodron Universität Salzburg seit 2004 für hervorragende Abschlussarbeiten an Nachwuchswissenschaftlerinnen.
Kontakt: