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Moderne Medikamente auf der Waage. Salzburger Biotechnologin erhält „Life Science Research Award 2018“

Ein Team um die Salzburger Jungforscherin Therese Wohlschlager hat einen Ansatz entwickelt, mit dem Biopharmazeutika einfacher und schneller als bisher charakterisiert und in der Folge kostengünstiger hergestellt werden können.

Biopharmazeutika sind sehr effektive Arzneistoffe, die vorwiegend in der Krebstherapie und zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen eingesetzt werden. Aufgrund des aufwändigen Entwicklungs- und Produktionsprozesses sind diese Medikamente sehr teuer und werden daher nur eingeschränkt angewendet. Die Salzburger Forschungsgruppe hat nun eine innovative Analysemethode entwickelt, die es erlaubt, die molekulare Vielfalt dieser Wirkstoffe darzustellen. Die Pharmaindustrie zeigt großes Interesse an den Forschungsergebnissen. Die Arbeiten wurden u.a. in dem biowissenschaftlichen Topjournal Nature Communications publiziert. Am Montag, den 17. September wird Therese Wohlschlager dafür den mit 3000 Euro dotierten Life Science Research Award  Austria 2018, den Sonderpreis für „Excellence & Societal Impact“,  von der  Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT) und dem Bundesministerium Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) erhalten.

Biopharmazeutika (auch Biologika oder therapeutische Proteine genannt) sind biotechnologisch hergestellte Arzneistoffe. Aufgrund ihrer spezifischen Wirkung, verbunden mit großer Effektivität und meist geringen Nebenwirkungen, haben sie viele Bereiche der Medizin revolutioniert. Biopharmazeutika werden hauptsächlich zur Behandlung von Krebs- und Autoimmunerkrankungen eingesetzt, eröffnen aber auch Therapiechancen für andere nicht zufriedenstellend behandelbare schwere Erkrankungen. Etliche Dutzend Biopharmaka sind derzeit auf dem Markt, zahlreiche in der Pipeline.

Im Unterschied zu den klassischen chemischen Wirkstoffen, die einfach aufgebaut sind (wie z.B. Aspirin) handelt es sich bei Biopharmazeutika um sehr komplexe Moleküle, die biosynthetisch produziert werden. Als Folge davon variieren unterschiedliche Produktionschargen in winzigen Details. Eines dieser Details sind die Zuckerstrukturen, die an den Proteinen anhaften. Im Fachjargon spricht man von Glykosylierung, wenn Zuckerketten (Glykane) an Proteine gebunden werden. So liegt die Mehrzahl der Proteine beim Menschen in glykosylierter Form vor. Auch Biopharmazeutika sind meist mit unterschiedlichen Zuckerketten modifiziert. Da diese Glykane eine wichtige Rolle für die Wirksamkeit des Medikaments spielen können, müssen die Varianten rigoros analysiert und charakterisiert werden. Dass dies nun noch genauer, schneller und kostengünstiger geht, dazu hat die Forschungsgruppe um Therese Wohlschlager einen innovativen Beitrag geleistet.

Unter der Leitung des Chemikers Professor Christian Huber wurde im Rahmen des Christian Doppler Labors für Biosimilar-Charakterisierung der Universität Salzburg eine spezielle Methode der Proteinanalyse entwickelt, die bisher nicht zugängliche molekulare Informationen liefert. Damit lässt sich das äußerst komplexe Muster verschiedener Molekül-Varianten – sogenannter Glykoformen – präzise aufklären. Dr. Therese Wohlschlager, die Erstautorin der Studie, beschäftigt sich schon lange Zeit mit dem Gebiet der Glykosylierung. Vor ihrer Tätigkeit als Postdoc in Salzburg (seit 2013) arbeitete die heute 36-jährige Wissenschaftlerin u.a. an der Griffith University in Australien und an der ETH Zürich im Bereich der Glykanforschung.

Worin besteht nun der Fortschritt der entwickelten Methode? „Bisher konnte man analysieren, welche Zuckerstrukturen in einem Protein vorkommen, aber nicht wie sie miteinander kombiniert sind. Man kannte die verschiedenen Puzzle-Steine, aber das Gesamtbild blieb verborgen. Genau das erhält man nun mit unserer Methode.“ Die Vorteile der Methode lassen sich sowohl auf die sehr teuren Originalprodukte als auch auf die günstigeren Nachahmerprodukte (Biosimilars) anwenden, betont die Nachwuchswissenschaftlerin.

Die Technik, mit der man hochkomplexe Moleküle äußerst präzise analysieren kann, ist die Massenspektrometrie, eine Art sehr genaue Waage. Hier kam die spezielle Variante der „nativen Massenspektrometrie“ zum Einsatz, die Messungen bei wesentlich höherer Auflösung ermöglicht. „Vereinfacht gesagt konnten wir vorher Massenunterschiede in Kilogramm messen, jetzt messen wir einzelne Gramm,“ so Wohlschlager. Durch die so bestimmten Molekülmassen lassen sich Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des untersuchten Proteins ziehen.

Zur genauen Bestimmung der Proteinvarianten kombinierte Wohlschlager die native Massenspektrometrie mit dem Konzept der enzymatischen Zerlegung. „Der Ansatz ermöglicht es erstmals, in einem hochreinen Medikament das Vorhandensein einer Vielzahl von Proteinvarianten zu erfassen. Diese sogenannten Glykoformen unterscheiden sich in ihren Zuckerketten und sind produkt- und chargenspezifisch. Das Glykosylierungsmuster stellt gleichsam einen molekularen Fingerabdruck dar. Und die nunmehr vorliegenden molekularen Fingerabdrücke können ein sehr wertvolles Hilfsmittel bei der Entwicklung und Qualitätssicherung von Biopharmazeutika sein. Wir konnten zeigen, dass Wirkstoffe in Biopharmazeutika in bis zu hundert verschiedenen Varianten auftreten.“

Als überaus schwierig erwies sich in diesem Zusammenhang die Zuordnung spezifischer Molekülzusammensetzungen zu den gemessenen Massen. Die Berechnungen nahmen ursprünglich Monate in Anspruch. Ein vom Nachwuchswissenschaftler Dr. Wolfgang Skala speziell entwickeltes Computerprogramm ermöglicht nun eine umfassende Datenauswertung innerhalb von Tagen. „Dieses Programm berücksichtigt bereits bekannte Teilinformationen über vorhandene Zuckerketten und deren Bausteine. Dadurch kann es die Anzahl aller möglichen Molekülzusammensetzungen für jede gemessene Masse drastisch einschränken, typischerweise von vielen tausend auf einige wenige. Unter den verbleibenden Zusammensetzungen identifiziert das Programm außerdem die wahrscheinlichste Glykoform.“

Konkret hat das Forscherteam diese innovative Analysemethode an dem Biopharmazeutikum Etanercept angewendet. Das unter der Bezeichnung Enbrel® zugelassene Medikament wird zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen eingesetzt, wie zum Beispiel der rheumatoiden Arthritis oder der Psoriasis-Arthritis. „Unsere Methode könnte ganz allgemein bei der Entwicklung, Produktion und Qualitätssicherung von komplexen therapeutischen Proteinen zum Einsatz kommen und so einen Beitrag zur Herstellung effektiver und sicherer Medikamente leisten. Da die Methode nicht nur bei Originalprodukten einsetzbar ist, sondern auch bei den weitaus kostengünstigeren Nachahmerprodukten, könnten diese modernen Medikamente in Zukunft mehr Patienten als bisher zugänglich werden,“ resümiert Projektleiter Professor Christian Huber.

Die Studie wurde im Rahmen des Christian Doppler Labors für Biosimilar-Charakterisierung durchgeführt, das seit 2013 an der Universität Salzburg besteht. Die Initiative beruht auf einer Kollaboration mit dem Pharmaunternehmen Novartis und dem Technologie-Unternehmen Thermo Fisher Scientific.

Publikationen:  
Therese Wohlschlager, Kai Scheffler, Ines C. Forstenlehner, Wolfgang Skala, Stefan Senn, Eugen Damoc, Johann Holzmann & Christian G. Huber: „Native mass spectrometry combined with enzymatic dissection unravels glycoform heterogeneity of biopharmaceuticals“ In: Nature Communications, doi:10.1038/s41467-018-04061-7 (2018)

Wolfgang Skala, Therese Wohlschlager, Stefan Senn, Gabriel E. Huber and Christian G. Huber: „MoFi: A Software Tool for Annotating Glycoprotein Mass Spectra by Integrating Hybrid Data from the Intact Protein and Glycopeptide Level“ In: Analytical Chemistry, doi:10.1021/acs.analchem.8b00019 (2018)  

Foto: v.l.n.r. Professor Christian Huber, Dr. Therese Wohlschlager und Dr. Wolfgang Skala | © Kolarik

 

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Foto: v.l.n.r. Professor Christian Huber, Dr. Therese Wohlschlager und Dr. Wolfgang Skala. Fotonachweis: Kolarik