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Mit neuer „fNIRS“ Methode dem kindlichen Gehirn bei der Sprachverarbeitung zuschauen

Wie verarbeiten zweisprachig aufwachsende Kinder die unterschiedlichen Sprachsysteme? Warum kann die für kognitive Prozesse generell sehr vorteilhafte Mehrsprachigkeit bei Kleinkindern vorübergehend zu Verzögerungen in der Sprachentwicklung führen? Was passiert genau im Gehirn, wenn Kinder mit sprachlichem Input konfrontiert werden?

Solchen Fragestellungen geht der Salzburger Psycho-/Neurolinguist Dietmar Roehm mit neurobiologischen Methoden nach. Mit der Technik der Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) lassen sich Sprachverarbeitungs-Prozesse nun auch bei Kindern in Echtzeit sehr gut sichtbar machen. Roehm und sein Team wollen mit ihrer Grundlagenforschung einen Beitrag zum besseren Verständnis der beim Sprachverstehen beteiligten Prozesse und zu daraus resultierenden Implikationen für einen optimierten Fremdsprachenunterricht leisten.

Sprache und Gehirn. Dass das eine aus dem anderen hervorgeht, ist klar. Wie es aber genau funktioniert, bleibt vielfach rätselhaft. Nicht überraschend bei den beiden hochkomplexen Systemen. Nun öffnet die Methode  der funktionellen Nah-Infrarot-Spektroskopie, kurz fNIRS, ein neues Fenster um Satzverarbeitungsmechanismen in Echtzeit sichtbar zu machen. Seit kurzem verfügt die Universität Salzburg über ein entsprechendes Gerät.

Der neurokognitive Sprachforscher Universitätsprofessor Dr. Dietmar Roehm Leiter der Forschungsgruppe „Neurobiologie der Sprache“ an der Universität Salzburg nennt die Vorteile der Methode: „Mit dem portablen und leicht handhabbaren fNIRS-Gerät können wir jetzt Untersuchungen zur Sprachverarbeitung machen, für die bisher eine aufwändige funktionelle Magnetresonanztomographie notwendig gewesen wäre. Diese kann man Kindern nur bedingt zumuten. Die Kleinen lediglich für Sprachforschungszwecke in die enge Magnetröhre zu legen ist ethisch nicht unproblematisch. Mit der Nah-Infrarot-Spektroskopie haben wir nun eine optimale Alternative.“ Bei der Nah-Infrarot-Spektroskopie werden – verankert in einer Haube – harmlose Lichtquellen über der Kopfhaut angebracht. Ein Teil des Lichts geht durch das biologische Gewebe durch, wie bei einer Taschenlampe die bei engem Kontakt durch die Hand rot durchschimmert. NIRS basiert auf dieser Lichtdurchlässigkeit des Gewebes und errechnet, vereinfacht gesagt, aus dem absorbierten bzw. gestreuten Licht die Sauerstoffsättigung im Blut und gibt so Hinweise auf die Aktivität verschiedener Hirnregionen.

Ein Schwerpunkt der Forschungen Dietmar Roehms, der vor seiner Tätigkeit in Salzburg unter anderem am Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaft in Leipzig im Team der Top-Neurolinguistin Ina Borkessel- Schlesewsky gearbeitet hat, besteht darin, gängige Theorien zum Sprachverstehen bzw. zur Sprachverarbeitung auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Lässt sich – basierend auf neurobiologischen Grundlagen – möglicherweise ein völlig neues Modell von Sprachverständnis etablieren? Etwa wenn es darum geht, was Menschen beim Sprechen, Zuhören oder Lesen gedanklich vorwegnehmen („prädizieren“) bevor selbiges seinen Ausdruck gefunden hat. Was fördert die Vorausschau? Was bremst sie? Bisher hat Roehm solche Fragestellungen, die auch für das Sprachenlernen von großer Bedeutung sind, bei Erwachsenen untersucht. Mit dem NIRS Gerät will er die Arbeiten erweitern und auf Kinder ausdehnen.

Geplant ist zum Beispiel eine Experimentreihe über das Sprachverstehen von Volksschulkindern. Ein gesellschaftspolitisch hochaktueller Aspekt, der Roehm besonders interessiert, ist die Mehrsprachigkeit. Wie wird sie im Gehirn repräsentiert? Welche Dynamiken gibt es auf der Mikroebene? Wie wirkt sich Sprachunterricht auf das Sprachenlernen aus? Um das herauszufinden, sollen Kinder die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen untersucht werden. Eine Zusammenarbeit mit der Salzburger Kollegin Tanja Angelovska vom Fachbereich Anglistik/Amerikanistik.

Dabei soll u.a. die NIRS Methode zum Einsatz kommen. „Es ist bekannt, dass zweisprachige Kinder in ihrer Sprachentwicklung meist leicht verzögert sind, weil sich zwei Systeme erst zueinander sortieren müssen. Die zeitliche Verzögerung wird jedoch später aufgeholt. Wir wollen mit der NIRS Methode die kognitiven Prozesse rund um die Mehrsprachigkeit besser verstehen. Generell gibt es viel Evidenz, dass Mehrsprachigkeit ein sehr positiver kognitiver Faktor ist, der sich zum Beispiel in einer erhöhten Merkleistung und in einem geringeren (verzögertem) Demenzrisiko äußert.“

Neben der guten Handhabbarkeit schätzt Roehm an der Nah-Infrarot-Spektroskopie vor allem auch die gute Kombinierbarkeit mit anderen Methoden wie dem EEG zur Hirnstrommessung oder der Messung der Augenbewegungen. „Man kann alle diese Methoden innerhalb eines Experiments miteinander verschalten und so die jeweiligen Signale miteinander korrelieren. Das führt zu sehr validen Ergebnissen. Was wir machen ist zwar Grundlagenforschung, aber mit einer potentiell hohen Relevanz für die Praxis. Etwa: Wie muss man Texte gestalten, dass sie gut lesbar sind. Oder was kann das Fremdsprachenlernen erleichtern? Wie muss fremdsprachlicher Input strukturiert werden, damit eine korrekte Form-Bedeutung Zuweisung geleistet werden kann?“

Univ.-Prof. Dr. Dietmar Roehm

Fachbereich Linguistik, Professur für Psycho-, Klinische- und Neurolinguistik

Universität Salzburg

Uni-Park Nonntal, Erzabt-Klotz-Straße 1, Zimmer 3.432 / 3. Stock

Tel: 0662-8044-4271

E-Mail an Univ.-Prof. Dr. Dietmar Roehm

Quelle: Universität Salzburg

© L. Caputo