Mit den Händen sprechen, mit den Augen hören. Auszeichnung für Forschungen zur Gebärdensprache
Die Gebärdensprache wird im Gehirn ähnlich verarbeitet wie die Lautsprache und ist dieser gleichwertig. Das ist ein Kernergebnis der Untersuchungen der Linguistin Julia Krebs von der Universität Salzburg.
Die Jungforscherin ist für ihre herausragende Dissertation zur neuronalen Verarbeitung und zur Grammatik der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) mit dem „Young Investigators Award“ der Universität Salzburg ausgezeichnet worden. Kenntnisse zur ÖGS-Grammatik sind essentiell für die Verbesserung der Bildungssituation tauber Kinder.
„Es ist eine Fehlannahme, dass die Gebärdensprache im Gehirn wie Bilder verarbeitet wird. Vielmehr sind bei der Verarbeitung der Gebärdensprache großteils dieselben typischen Sprachareale aktiv wie bei der Verarbeitung einer Lautsprache; und das ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Gebärdensprache eine vollwertige Sprache ist “, erklärt Julia Krebs aus der Forschungsgruppe „Neurobiologie der Sprache“ (Leitung Professor Dietmar Roehm). Die Gruppe ist in Österreich die einzige, die die neuronale Verarbeitung der Gebärdensprache erforscht. Schwerpunkt der Arbeit von Krebs sind systematische Untersuchungen zur Grammatik der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS).
„Ohne die Unterstützung der Gebärdensprachgemeinschaft wie dem Gehörlosenverband Salzburg könnten wir unsere Forschung nicht betreiben“, betont Krebs. Die Untersuchungen für die Dissertation wurden an Erwachsenen durchgeführt (mittels EEG-Verfahren und Verhaltensdaten). In einem weiteren Schritt startet nun ein Projekt mit Kindern.
Anders als in den USA, wo die Gebärdensprache seit den 1960er Jahren intensiv beforscht wird – eine Pionierin auf dem Gebiet ist die Linguistin Ronnie Wilbur, mit der die Salzburger eng kooperieren -, gibt es in Österreich noch wenig systematische Forschung zur Grammatik der Gebärdensprache, sagt Krebs.
„Die Gebärdensprache ist sehr komplex. Neben den Handbewegungen haben auch viele nicht-manuelle Komponenten wie die Mimik, die Mundgestik, die Kopf- und Körperhaltung, die Blickrichtung, die Augenbrauen und der ganze sogenannte Gebärdenraum eine essentielle sprachliche und vor allem grammatische Aussagekraft. Ein nach unten gerichtetes Kinn ist zum Beispiel der primäre Marker der in der Österreichischen Gebärdensprache eine Ja-/Nein-Frage markiert.“ Viele Gebärden sind stark flektiert, verschiedene sprachliche Informationen können durch eine einzige Gebärde präsentiert werden.
In ihrer Dissertation mit dem Titel „Neuronale Verarbeitung von Argument-Relationen in der Österreichischen Gebärdensprache“ hat die 29jährige Nachwuchswissenschaftlerin, die auch als Gebärdensprachdolmetscherin ausgebildet ist, zum Beispiel nachgewiesen, dass die Österreichische Gebärdensprache – wie die Lautsprache – eine eindeutige Subjektspräferenz bei der Verarbeitung lokal ambiger zweistelliger Argument-Strukturen aufweist. „Das unterstützt die Annahme, dass die Subjektspräferenz eine universale Verarbeitungsstrategie darstellt“.
In Österreich gibt es etwa 12.000 Gebärdensprachbenützer. Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist eine von weltweit rund 130 Gebärdensprachen. Lange Zeit galt sie als rudimentär, war verpönt und in Schulen zum Teil verboten. Obwohl sie in Österreich seit 2005 in der Verfassung ausdrücklich als eigenständige Sprache anerkannt ist, gibt es – so Krebs – etwa im Schulunterricht beträchtliche Mankos. ÖGS ist nicht die offizielle Unterrichtssprache in österreichischen Gehörlosenschulen. In der Regel haben taube Kinder kein Fach „Österreichische Gebärdensprache“, vergleichbar dem Fach „Deutsch“ für hörende Kinder. Der gesellschaftliche Nutzen ihrer Arbeit sei ihr sehr wichtig, betont, Krebs.
„Unsere Studien liefern nicht nur Hinweise darauf, ob und wie die Sprachmodalität die Sprachverarbeitung beeinflusst, sondern führen auch zu einem besseren Verständnis der Funktionsweise der Österreichischen Gebärdensprache und können so zur Verbesserung der Bildungssituation tauber Kinder beitragen.“ Und Krebs ergänzt: „Wenn die Österreichische Gebärdensprache zukünftig Unterrichtssprache sowie ein eigenes Unterrichtsfach in österreichischen Gehörlosenschulen werden soll, ist Wissen notwendig, um geeignete Lehr- und Lernmaterialien erstellen zu können.“
Übrigens, das Argument, dass Cochlea Implantate eine Alternative zur Gebärdensprache darstellen, lässt Krebs so nicht gelten. „Cochlea Implantate sind kein Allheilmittel. Oft können taube Kinder damit zwar Geräusche hören, aber nicht kommunizieren. Viele Linguisten meinen, es wäre wichtig, die Gebärdensprache zusätzlich anzubieten. Denn es ist problematisch, wenn Kinder keine Erstsprache ausbilden. Sprache ist ja essentiell für die kognitive Entwicklung und die Identitätsbildung.“ Und die Annahme, dass Gebärdensprache und Lautsprache interferieren, hätte sich schon vor langem als irrig herausgestellt. Im Gegenteil. Eine gut ausgebildete Gebärdensprache erleichtere den Lautspracherwerb.
Von 1. September bis Mitte Dezember 2017 wird Julia Krebs im Rahmen eines Forschungssemesters bei Ronnie Wilbur an der Purdue University in Indiana/USA wissenschaftlich tätig sein.