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MI 3. JUNI: ONLINE VORTRAG DER RINGVORLESUNG „Figurationen des Übergangs – Übergänge zwischen Kunst und Leben“

Programm

ABSTRACT
In den 1960er Jahren werden im Zuge der sozialen und kulturellen Revolten die bestehenden Lebensmodelle der Nachkriegszeit radikal in Frage gestellt. Auch in den Künsten wird im Rückgriff auf die historischen Avantgarden verstärkt nach kollektiven Arbeitsweisen gesucht, in denen Kunst und Leben in Einklang gebracht werden sollen. Paradigmatisch für diese Entwicklung steht das 1966 gegründete und kollektiv organisierte Action-Theater in München, dessen Kernensemble im Mai 1968 von Rainer-Werner Fassbinder für seine eigene Arbeit abgeworben und in antiteater umbenannt wurde. Die Gruppe realisierte in nur zwei Jahren elf Theaterprojekte und ebenso viele Filme, die den Grundstein für den späteren Weltruhm Fassbinders legten. Bereits 1970 scheiterte das Theaterexperiment von zusammen Leben und Arbeiten im Kollektiv an den unüberwindbaren Konflikten innerhalb der Gruppe und nicht zuletzt auch an der autoritären Position Fassbinders. Um diesem ‚Scheitern‘ auf die Schliche zu kommen befragt der Vortrag zum einen die Dokumente und künstlerischen Selbstreflexionen, die uns aus dem Umfeld der ‚Fassbinderfamilie‘ überliefert sind und zum anderen formuliert er einen kritischen Einwand gegenüber dem Organisationsmodell des antiteaters, das sich zu einseitig am bürgerlich-patriarchalen Familienmodell orientiert hat. Ein knapper Ausblick auf das Gegenwartstheater zeigt, dass sich im Anschluss an die queer-feministische Kritik der letzten Jahrzehnte kollektive Arbeitsweisen entwickelt haben, die auf freundschaftliche Kollaboration und temporäre Allianzen setzen, anstatt auf ein gemeinschaftliches allumfassendes Lebensmodell.  
Frank Max Müller ist Dozent für Dramaturgie und Theatertheorie am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum. Er studierte angewandte Theaterwissenschaft an der JLU Giessen und war als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Performance Studies der Universität Hamburg und am Studiengang Choreographie und Performance an der JLU Gießen tätig. Sein Interesse gilt der gesellschaftlichen Funktion von Theater und der Verschränkung von Theorie und künstlerischer Praxis.

RINGVORLESUNG „Figurationen des Übergangs – Übergänge zwischen Kunst und Leben“, SoSe 2020
Seit die Künste auf ihrer Autonomie beharren, stellt sich die Frage nach der Beziehung von „Kunst“ und „Leben“. Bis in die Gegenwart werden Debatten geführt, ob das Werk des/der Künstler*in von seinem/ihrem „Leben“ – ihren Taten, Ansichten, Verfehlungen – getrennt betrachtet werden kann, soll oder muss (aktuell: der Streit um den Literaturnobelpreis 2019). Andererseits kritisiert – nach Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“ (1974) – die künstlerische Avantgarde die bürgerliche Institution Kunst und strebt die „Überführung von Kunst in Lebenspraxis“ an.
Zu diesen klassischen Fragestellungen kommt in jüngerer Zeit eine weitere: Nicht nur ist jeweils auszuhandeln, was „Kunst“ ist, auch das „Leben“ ist eine problematische Kategorie zwischen Biologie, Ökonomie und Gesellschaft, die sich heute wissenspoetologisch und wissenschaftshistorisch befragen lassen muss. Dieses Spannungsfeld möchte die Ringvorlesung – die erste in einer Reihe, die sich den „Figurationen des Übergangs“ widmet – ausloten. Die einzelnen Beiträge versuchen, paradigmatisch Stationen der Problematik Kunst/Leben im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen; sie reichen von der Frage des Realismus in den Künsten über die künstlerische Auseinandersetzung mit den Topoi der Lebenswissenschaften bis zur „Fruchtbarkeit“ im mehrfachen Sinn.  

KONZEPTION UND LV-LEITUNG: Hildegard Fraueneder, Werner Michler
ORT / ZEIT: Mittwoch, 11. MÄRZ – 17. JUNI 2020, MI 17:00 – 18:30 UHR
BILDNACHWEIS: Compagnie Clarance: Voyage au cœur d’un tableau (Gustave Caillebotte: Les raboteurs de parquet (1875), 2013

Mag. Silvia Amberger

Programmbereichsreferentin

Wissenschaft & Kunst / PB Figurationen des Übergangs

Bergstr. 12a, 5020 Salzburg

Tel: +43-662-8044-2377

E-Mail an Mag. Silvia Amberger