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Größere Überlebenschance bei Krebs durch stärkere Aktivität des parasympathischen Nervensystems

Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind und bei denen die Aktivität des Parasympathikus generell hoch ist, haben eine deutlich größere Überlebenschance. Dies berichten Forschende der Universität Salzburg, der Universität Calgary (Kanada) und der Stanford Universität (USA) im angesehenen Fachblatt „Psychosomatic Medicine“. Der Parasympathikus ist der Teil des autonomen Nervensystems, der für die Erholungsfunktionen im Körper zuständig ist und der auch das Immunsystem günstig beeinflussen kann.

In Europa liegt die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben eine Krebsdiagnose zu erhalten, bei etwa 35 Prozent. Etwa jeder vierte Todesfall ist durch Krebs bedingt. Wissenschaftler suchen deshalb intensiv nach Mechanismen, die die Überlebenschancen bei Krebs verbessern können. Ein derartiges Regelwerk wurde vor einigen Jahren entdeckt. In Tierexperimenten fand man einen Zusammenhang  zwischen der Aktivität des Parasympathikus (auch „Vagusnerv“ genannt), dem Immunsystem und der Tumorentstehung. bzw. der Tumorausbreitung. Der Psychologe Universitätsprofessor Frank Wilhelm von der Universität Salzburg, der für die Messung der parasympathischen Aktivität der Patientinnen verantwortlich war und dabei von ihm neu entwickelte Analyseverfahren einsetzte,  erklärt das so: „Im Körper entstehen laufend Krebszellen. Sie werden normalerweise aber auch laufend vom Immunsystem in Schach gehalten. Ist der Parasympathikus, der die regenerativen Körperprozesse reguliert, zu wenig aktiv, werden Entzündungen, die häufig mit der Tumorbildung einhergehen, nicht ausreichend erkannt und eingedämmt. In der Folge kann sich ein Karzinom leichter ausbreiten. Umgekehrt sorgt eine hohe parasympathische Aktivität dafür, dass Tumorzellen besser in Schach gehalten werden, vermittelt wahrscheinlich über bestimmte entzündungshemmende Faktoren.“

Diese Erkenntnisse beschränkten sich bisher fast ausschließlich auf experimentelle Tierstudien. Die gerade veröffentlichte Studie hat nun erstmals die langfristigen Auswirkungen im klinischen Behandlungssetting untersucht. „Wir konnten bei Frauen mit wiederkehrendem oder sich ausbreitendem Brustkrebs zeigen, dass parasympathische Aktivierung ein wichtiger protektiver Faktor ist und zum längerfristigen Überleben beiträgt“, sagt Wilhelm. An der Langzeitstudie nahmen 87 Brustkrebspatientinnen teil.  Bei ihnen wurde zu Beginn mittels EKG  die sogenannte Herzratenvariabilität gemessen. Sie ist ein etablierter Indikator für die Aktivität des Parasympathikus. Eine hohe Herzratenvariabilität bedeutet eine hohe parasympathische Aktivität. Fünfzig der 87 Frauen verstarben im Laufe der Studie an Krebs. „In der Gruppe mit den niedrigen Werten  hatten nach sieben Jahren nur 21 Prozent überlebt. In der Gruppe mit den hohen Werten waren es hingegen 54 Prozent, also zwei bis drei Mal so viele. Eine hohe Parasympathikus-Aktivität stellt also offensichtlich einen bedeutenden gesundheitlichen Vorteil dar“ fasst Wilhelm zusammen.

Doch wovon hängt die Aktivität des Parasympathikus ab? Veranlagung, prä- und postnatale Prägungen und die Art der Emotions- und Stress-Regulation sind einige der bestimmenden Faktoren. Ein Zeichen von hohen Werten ist die Fähigkeit, sich nach Belastungen schnell entspannen zu können. Der Parasympathikus lässt sich aber auch trainieren, sagt Wilhelm „Durch sportliche Aktivität und den damit verbunden Aufbau körperlicher Fitness  kann man  die Aktivität des Parasympathikus erstaunlich gut steigern. Obwohl unsere Studie das nicht direkt untersucht hat, könnte man aus den Ergebnissen durchaus ableiten, dass viel Bewegung bei Brustkrebs und möglicherweise auch bei anderen Formen von Krebs die langfristigen Überlebenschancen im Rahmen der medizinischen Standardbehandlungen steigert.“  Auch Stressmanagement-Programme, Entspannungstechniken und Herzratenvariabilitäts-Biofeedback  könnten helfen, sagt Wilhelm. Darüber hinaus gäbe es auch Medikamente und operative Methoden zur Aktivierung des Parasympathikus, die in diesem Zusammenhang aber noch nicht hinreichend untersucht sind.

Wovor Frank Wilhelm allerdings warnt, ist die Schlussfolgerung, dass Stress ein direkter Krebsauslöser ist. „Dass Stress zu Krebs führt, kann man nicht sagen. Dazu ist die derzeitige Befundlage zu inhomogen. Für  eine Tumorentstehung sind immer sehr viele verschiedene Faktoren verantwortlich.“ Zusammen mit Biologen der Universität Salzburg sollen nun die zellulären Konsequenzen hoher parasympathischer Aktivität weiter untersucht werden.

Originalbeitrag: „Higher Vagal Activity as Related to Survival in Patients with Advanced Breast Cancer: An Analysis of Autonomic Dysregulation“, erschienen in: „Psychosomativ Medicine“, 16. April 2015:   http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25886831

Univ. Prof. Dr. Frank Wilhelm
Leiter Klinische Psychologie, Psychotherapie und Gesundheitspsychologie
Universität Salzburg
Hellbrunnerstraße 34
Tel: +43 66 /8044 5119

Foto: Frank Wilhelm | © Kolarik