Gesundheit-Apps auf Kassenkosten?
Der Sozialrechtler Johannes Warter von der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) hat in seinem neuen Buch „Gesundheits-Apps in der österreichischen Sozialversicherung“ (Manz-Verlag) ein gesellschaftspolitisch hoch aktuelles Thema aufgegriffen und rechtliche Fragen rund um mobile Gesundheits-Anwendungen beantwortet. Es geht dabei zum Beispiel darum, ob Gesundheits-Apps auf Kassenkosten vom Arzt verordnet werden können (wie dies etwa in Deutschland bereits möglich ist), wer für allfällige Gesundheitsschäden haftet oder ob es bestimmte Zulassungspflichten für Hersteller von Gesundheits-Apps gibt. Brisant ist das Thema auch deshalb, weil Im Rahmen der österreichischen Gesundheitsreform 2023 die Entwicklung und Regulierung digitaler Gesundheitsanwendungen und deren Verankerung in der Regelversorgung vereinbart wurde, allerdings ohne konkretere Ausführungen.
Die Gesundheitsversorgung in Österreich steht vor großen Herausforderungen – die Ausgaben steigen und Fachkräfte fehlen. Einen Beitrag zur Konsolidierung erhofft man sich (unter anderem) durch einen Ausbau telemedizinischer Behandlungsformen. Dazu zählt im weiteren Sinne auch die Versorgung mit Gesundheits-Apps. Die Erfassung und Verarbeitung gesundheitsrelevanter Daten durch Gesundheits-Apps ermöglichen vielfältige Anwendungen sowohl im privaten als auch im professionellen Bereich. Sie beschränken sich nicht auf die Krankenbehandlung, sondern betreffen auch die (Tele-)Rehabilitation oder den Pflegebereich. So verspricht etwa die Meine Tinnitus App eine Steigerung der Lebensqualität durch einen gelasseneren Umgang mit dem Tinnitus, die österreichische App SkinScreener wird von Ärzten zur digitalen Melanomerkennung eingesetzt, die App Invirto führt ein auf kognitiver Verhaltenstherapie beruhendes Expositionstraining mittels Virtual-Reality-Brille. Auch die österreichische Sozialversicherung arbeitet bereits erfolgreich an ersten Pilotprojekten, wie etwa dem Projekt „ HerzMobil Tirol“, bei dem Versicherte gesundheitsrelevante Daten aufzeichnen, um diese den Ärzt:innen sowie Pflegefachkräften zur telemedizinischen Kontrolle und Feedbackzusendung zu übermitteln.
„Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass sich im Bereich der Gesundheits-Apps mittlerweile ein riesiger Markt etabliert hat. Der weltweite Jahresumsatz von mobilen Gesundheits-Anwendungen betrug im Jahr 2021 laut Schätzungen von Statista 71 Milliarden US-Dollar und soll im Jahr 2028 auf 410 Milliarden US-Dollar steigen,“ sagt Johannes Warter vom Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Salzburg. Eine Vorreiterrolle bei der Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheits-Apps hat Deutschland übernommen, stellt Warter fest. „Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz vom 9. 12. 2019 wurde in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Anspruch auf Gesundheits-Apps auf Kassenkosten geschaffen (Gesundheits-Apps auf Rezept). In Österreich wurde im Rahmen der jüngsten Gesundheitsreform 2023 die Entwicklung und Regulierung digitaler Gesundheitsanwendungen und deren Verankerung in der Regelversorgung vereinbart, ohne aber konkretere Ausführungen zu beinhalten.“
Aus diesem Grund seien – so Warter – die ersten Erfahrungen aus Deutschland für Österreich besonders interessant, zumal diese durchaus gemischt ausgefallen sind. „Gleich an mehreren Stellen werden die deutschen Bestimmungen von Wissenschaft und Praxis kritisiert. Dies betrifft allen voran die geringen inhaltlichen Anforderungen an die Aufnahme in das Verzeichnis erstattungsfähiger Gesundheitsanwendungen. So ist für die Aufnahme in das Verzeichnis erstattungsfähiger Gesundheitsanwendungen nicht zwingend ein medizinischer Nutzen erforderlich, es genügt bereits eine patientenrelevante Struktur- oder Verfahrensverbesserung“.
Zudem können App-Hersteller und -Anbieter im ersten Jahr den von der Krankenversicherung zu erstattenden Preis frei bestimmen, kritisiert Warter. „Zwar gibt es die Möglichkeit für vergleichbare Gesundheitsanwendungen einheitliche Höchstbeträge festzusetzen, allerdings laufen diese Vorkehrungen ins Leere, wenn in einem bestimmten Segment bereits ein hohes Preisniveau besteht. Und genau das ist bei Gesundheits-Apps der Fall. Das Preisniveau bewegt sich zwischen 120 und 2.000 Euro,“ sagt Warter. Dieses „herstellerfreundliche Umfeld“ sei vor allem deshalb problematisch, weil es nicht Aufgabe der beitragsfinanzierten Versichertengemeinschaft ist, Anschubfinanzierungen und Wirtschaftsförderung von noch unerprobten Technologien aus Beitragsmitteln vorzunehmen.
Warter weist überdies darauf hin, dass in Deutschland niedergelassene Ärzt:innen bislang zurückhaltend waren, Gesundheits-Apps in der Versorgung zu nutzen. „Es lässt sich eine gewisse Skepsis in der Ärzteschaft bezüglich der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit von digitalen Gesundheitsanwendungen feststellen. Die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass die Versorgung der Versicherten mit digitalen Gesundheitsanwendungen zumindest bislang nicht die erhoffte Entlastung anderer Ausgabenbereiche brachte.“
In seiner Monographie beantwortet Johannes Warter zudem zahlreiche Rechtsfragen, vom Datenschutz bis zu den haftungsrechtlichen Aspekten. „Tritt bei den Patient:innen ein Schaden ein, so haften die Ärzt:innen nur dann, wenn sie einen Behandlungsfehler oder einen Aufklärungsfehler zu vertreten haben. Bei mangelhafter Funktionalität der App haftet grundsätzlich der App-Hersteller nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB, die aber ein Verschulden voraussetzen. Eine verschuldensunabhängige Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz kommt hingegen nicht in Betracht.
Kontakt
Univ.-Ass. Mag. Dr. Johannes Warter | Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Paris Lodron Universität Salzburg | Churfürststraße 1 | 5020 Salzburg | Austria | Telefon: +43 662 8044 3093 | E-Mail:
Quellenangabe Statista: The Insight Partners, Weltweiter Umsatz mit Mobile Health (mHealth) in den Jahren von 2017 bis 2028* (in Milliarden US-Dollar), in Statista, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/387489/umfrage/weltweiter-umsatz-mit-mobile-health-mhealth/ (20. 3. 2024).