Früher Fremdsprachenunterricht ist kein Garant für späteren Lernerfolg. Forschung dazu wird prämiert
Die Anglistikprofessorin Simone Pfenninger von der Universität Salzburg hat in ihrer Langzeitstudie gezeigt, dass ein früher Fremdsprachenunterricht – so wie er derzeit in Europa durchgeführt wird – kaum Vorteile bringt. Für ihre Forschungen über die Rolle des Alters zu Lernbeginn einer Fremdsprache wird Pfenninger nun mit dem renommierten Preis der Conrad-Ferdinand-Meyer-Stiftung ausgezeichnet. Die Ehrung findet am 19. Jänner 2018 in Zürich statt. Die Preissumme beträgt 20.000 Franken.
In einer Langzeitstudie mit dem Titel „Beyond Age Effects“ hat Simone Pfenninger an über 800 Zürcher Gymnasiasten untersucht, inwiefern das Alter zu Lernbeginn einer Fremdsprache – konkret ging es um Englisch – die Entwicklung der Fremdsprachenkenntnisse beeinflusst. Das Thema ist insofern von großer Relevanz, weil es seit den 1990er Jahren in Europa den bildungspolitischen Trend gibt, mit dem Fremdsprachenunterricht bereits in der Volksschule zu beginnen.
Die Resultate der 2008 in Zürich gestarteten und 2017 in Salzburg abgeschlossenen Studie zeigen, dass die Situation im schulischen Kontext anders ist als beim natürlichen Zweitsprachenerwerb. So wie der Fremdsprachenunterricht momentan in Europa durchgeführt wird, haben Früh-Lernende keine besseren Voraussetzungen ein weit fortgeschrittenes zweitsprachliches Niveau zu erreichen, weder in Bezug auf die Lerngeschwindigkeit noch auf das Niveau am Ende der obligatorischen Schulzeit.
Die Schüler und Schülerinnen wurden in vier Gruppen eingeteilt: 1. Einsprachige Kinder, 2. Von Geburt an zweisprachige Kinder, 3. Kinder, die bilingual und biliteral aufwuchsen, also über Lese- und Schreibfähigkeiten in beiden Muttersprachen verfügten, 4. sukzessiv zweisprachige Kinder, d.h. Kinder mit Migrationshintergrund. Jeweils die Hälfte der Schüler jeder Gruppe waren Frühenglischlernende, mit Englischunterricht ab 8 Jahren, 1-2 Stunden die Woche.
Zu Beginn und am Ende der Gymnasialzeit wurden dann Tests durchgeführt, die verschiedene Fähigkeiten maßen wie das Hörverständnis, den Wortschatz, die mündlichen und schriftlichen Kenntnisse etc. Außerdem wurden die Lernmotivation, Lernstrategien, soziale und sprachlicher Hintergrund, Lernumfeld und elterliche Unterstützung erhoben.
Hauptresultate der Studie:
1. Nur eine der vier Lerngruppen profitiert langfristig vom frühen Fremdsprachenunterricht: Kinder, die zweisprachig aufwachsen, bilingual UND biliteral sind und substantielle Unterstützung der Eltern und der Umgebung erfahren.
2. In den anderen Gruppen gilt: Bereits nach sechs Monaten haben die Lernenden, die fünf Jahre später einstiegen, die Frühlernenden eingeholt und teilweise sogar übertroffen.
3. Allerdings verfügten die Frühlernenden bei der ersten Datenerhebung über einen größeren Wortschatz.
4. Am Ende der Gymnasialzeit waren keine Unterschiede mehr bezüglich des frühen oder späten Einstiegs in den Fremdsprachenunterricht erkennbar.
Das Alter zu Lernbeginn einer Fremdsprache ist also offenkundig ein relativ schwacher Prädiktor des Lernerfolgs. Andere Faktoren wie die Art des Unterrichts, die Lernmotivation, die Lese-und Schreibfähigkeiten in der Erstsprache, die Unterstützung der Eltern oder die außerschulische Expositionsdauer fallen stärker ins Gewicht.
„Es ist wichtig zu betonen, dass sich die Forschung nicht per se gegen den frühen Fremdsprachenunterricht ausspricht, aber die Erwartungen sollten realistisch sein bezüglich der erwünschten Zwei- und Mehrsprachigkeit“, so das Resümee der Anglistin und Zweitsprachenerwerbsforscherin Prof. Dr. habil. Simone Pfenninger vom Fachbereich Anglistik und Amerikanistik der Universität Salzburg.
Die Schweizer Resultate seien kein Einzelphänomen, betont Pfenninger. Die Forschung zeichne diesbezüglich ein sehr einheitliches Bild und zeige, dass es kaum Vorteile eines frühen Fremdsprachunterrichts im Schulkontext gibt. Wichtig wäre daher, dass Wissenschaftler, Bildungspolitiker und Lehrpersonen einen sachlichen Dialog führen, was man mit frühem Sprachunterricht erreichen will und welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen.
Studie:
Simone E. Pfenninger, David Singleton: Beyond Age Effects in Instrumental L2 Learning: Revisiting the Age Factor (2008-2017). Publisher: Multilingual Matters, 2017
Zum Preis:
Die 1937 gegründete Conrad-Ferdinand-Meyer-Stiftung fördert mit ihren Preisen jüngere Personen mit Zürcher Lebensbezug, die sich durch besondere Leistungen in den Wissenschaften oder im Bereich der Bild-, Wort- und Tonkunst hervorgetan haben. Neben Simone Pfenninger werden die Schriftstellerin Dorothee Elmiger und der Architekt Tom Emerson prämiert. Die Ehrung der Ausgezeichneten, die je eine Preissumme von 20 000 Franken (17.100 Euro) erhalten, findet am 19. Januar in Zürich statt.
Fotonachweis: Kolarik
Kontakt
Prof. Dr. habil. Simone E. Pfenninger
Associate Professor of Second Language Acquisition and Psycholinguistics Department of English and American Studies University of Salzburg
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