Erdbeobachtung für humanitäre Hilfe
Die Paris Lodron Universität Salzburg eröffnet in Kooperation mit Ärzte ohne Grenzen ein Christian Doppler Labor für raumbezogene und erdbeobachtungs-basierte humanitäre Technologien (gEOhum). Die Eröffnung findet virtuell am 8. Juli 2020 statt.
Der Interfakultäre Fachbereich Geoinformatik – Z_GIS der Paris Lodron Universität Salzburg arbeitet im neu geschaffenen Christian Doppler Labor am Einsatz und der Analyse von Satellitenbildern für humanitäre Zwecke. Ziel ist es den Kooperationspartner Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) in technischen, methodischen und ethisch-rechtlichen Fragen bei humanitären Katastrophen zu unterstützen. Das Christian Doppler Labor wird vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) sowie von Ärzte ohne Grenzen finanziert.
Humanitäre Hilfe vor Ort durch Beobachtung aus dem All
Sie fliegen in bis zu mehreren hundert Kilometern Abstand zur Erde und können doch detaillierte Informationen liefern, die den Helferinnen und Helfern am Boden ihre Arbeit erleichtern: die Erdbeobachtungssatelliten, deren Technologie auch für humanitäre Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen im Einsatz ist. „Es ist der Blick aus dem All, der großräumig die Zusammenhänge erkennen lässt“, sagt Professor Stefan Lang, Leiter des neuen CD-Labors und langjähriger Kooperationspartner von Ärzte ohne Grenzen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dem Projektteam können anhand der Satellitenaufnahmen beispielsweise die Anzahl der Menschen in einem Flüchtlingslager abschätzen – eine Aufgabe, die von den Helfern vor Ort nur mühsam und zeitaufwendig übernommen werden könnte.
Wirtschaftsministerium fördert Christian Doppler Labors
In Christian Doppler Labors wird anwendungsorientierte Grundlagenforschung auf hohem Niveau betrieben, hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kooperieren dazu mit innovativen Unternehmen bzw. Projektpartnern. Das Christian Doppler Labor wird vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) sowie von Ärzte ohne Grenzen als Projektpartner finanziert.
Bundesministerin Margarete Schramböck ist es ein wichtiges Anliegen, dass Forschung den Menschen zugutekommt. „Dieses Christian Doppler Labor leistet durch seine Forschungsarbeit einen wichtigen Beitrag für Menschen in humanitären Krisensituationen. Vielen Dank an alle Forscherinnen und Forscher für Ihr Engagement sowie unserem Partner Ärzte ohne Grenzen“, so Schramböck.
NGOs benötigen Informationen für Katastropheneinsätze
Für die Planung ihrer Einsätze in Katastrophengebieten benötigen NGOs (non-governmental organisations) zahlreiche Informationen. Technologien der Erdbeobachtung (Earth observation, EO) und der Geoinformatik (GI) können diese Informationen wesentlich verlässlicher machen. Viele Flüchtlingslager entstehen sehr schnell und wachsen teilweise rasch zur Größe von Städten an. Die Informationen, die mit der Auswertung von Satellitenbildern gewonnen werden, werden nach den Anforderungen der Helferinnen und Helfer vor Ort zusammengestellt: Wie viele Menschen haben sich insgesamt in einem Lager angesiedelt und benötigen Lebensmittel, Wasser und medizinische Hilfe? Wo und in welcher Anzahl macht es Sinn, Brunnen zu bauen? Welche Auswirkungen hat das Flüchtlingslager auf die Umwelt und Ressourcen der direkten Umgebung? Könnte es vielleicht sogar dazu kommen, dass dadurch Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung entstehen? Mit jedem Überflug eines Satelliten können diese Informationen aktualisiert werden. „Im neuen Christian Doppler Labor wollen wir den gesamten technischen Prozess, von der Analyse der Satellitendaten bis zur Bereitstellung aller Informationen an NGOs weitgehend automatisieren“, erläutert Stefan Lang seine Vorhaben.
Neutrale und zeitnahe Informationen aus dem Weltraum – NGOs im Einsatz
Mit Ärzte ohne Grenzen ist erstmals eine Hilfsorganisation an einem Christian Doppler Labor beteiligt. „In Krisensituationen sind zuverlässige Informationen entscheidend für effektive Hilfe unserer Einsatzteams. Die gezielte Auswertung von Satellitendaten und ihre Verknüpfung mit anderen Datenquellen spielen deshalb eine immer wichtigere Rolle für uns. Von der Zusammenarbeit in diesem Christian Doppler Labor erhoffen wir uns, dass wir die Arbeit mit diesen Informationen auf ein nächstes Level heben können und letztlich Menschen in Not noch rascher und effizienter helfen können“, sagt Edith Rogenhofer, Referentin für satellitengestützte Geoinformation bei Ärzte ohne Grenzen Österreich.
Ob im Flüchtlingslager oder beim Einsatz gegen Epidemien: Bei der Planung der Nothilfe in Krisengebieten ist die Hilfsorganisation oft auf die unterschiedlichen und nicht immer zuverlässigen Angaben der Bevölkerung und der lokalen Behörden angewiesen, deren Auswertung und Einordnung zeitraubend ist und nicht immer zum gewünschten Ziel führt. Neutrale und zeitnahe Informationen aus dem All sind da hilfreich. „Bei Krankheitsausbrüchen wie Masern oder COVID-19 etwa müssen Epidemiologinnen und Epidemiologen möglichst exakt wissen, wo und wie viele Menschen in einem bestimmten Gebiet leben. Dadurch kann gemeinsam mit dem medizinischen Personal vor Ort eine Eindämmungsstrategie entwickelt werden, und wir können planen, wie viele Impfstoffe, Medikamente und Personalressourcen in das betroffene Gebiet geschickt werden müssen. Danach muss überprüft werden, ob die Maßnahmen tatsächlich greifen“, erläutert Rogenhofer, und fügt hinzu: „Wir gehen davon aus, dass die Lösungen, die wir im Christian Doppler Labor entwickeln, uns bei dieser Arbeit einen großen Schritt weiterbringen werden.“
Interpretation von Satellitenbildern
Die Aufgabe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es, die in den Satellitenaufnahmen enthaltenen Informationen zum Beispiel in einer Kartendarstellung sichtbar zu machen. „Ein Satellitenbild kann nicht jeder interpretieren – die relevante Information muss zunächst herausgefiltert werden, die speziellen Farbtöne verstanden werden.“ Verwendet wird ein breites Spektrum von zivilen Erdbeobachtungs-Satelliten, u.a. auch von dem europäischen Copernicus-Programm, um die Vorteile der jeweiligen Technik zu verbinden: Aufnahmen im sichtbaren und Infrarotbereich des Spektrums werden durch Radaraufnahmen ergänzt, die auch ohne Tageslicht und bei Bewölkung aufgenommen werden können. „Das Gesamtbild ergibt sich dann aus der Kombination von Aufnahmen mit großer räumlicher Abdeckung und Aufnahmen mit sehr detaillierter Auflösung.“
Für den Rektor der Paris Lodron Universität, Hendrik Lehnert, bietet der Standort Itzling ein inspirierendes, interdisziplinäres Setting: „Insbesondere durch die Digitalisierungsoffensive des Landes, der Vision einer Science City und der Schwerpunktbildung der Universität im Bereich digitaler Technologien können wir am Standort viele Synergien nutzen“, so Lehnert. Und dies sei nicht nur aus Sicht der Forschung, sondern in möglichen Kooperationen mit Firmen wie Start-ups, aber auch unter Einbeziehung von Schulen und der allgemeinen Öffentlichkeit möglich“, so Lehnert weiter.
„Am Standort Itzling arbeiten viele wissenschaftliche Disziplinen zusammen, im Falle des Christian Doppler Labors etwa die Geoinformatik mit den Computerwissenschaften und dem WISS IDA Lab (Intelligent Data Analytics), sowie indirekt auch mit Salzburg Research und dem RSA iSpace (Research Studios Austria)“, betont die Vizerektorin für Forschung Nicola Hüsing. Die Interdisziplinarität zeige sich auch am Beispiel der Zusammenarbeit von Geoinformatik mit dem Institut für Völkerrecht. Letzteres berät in ethischen und rechtlichen Fragen beim Einsatz der Satellitenfernerkundung im humanitären Kontext“, erläutert Hüsing.
Finanzierung und Laufzeit des Christian Doppler Labors
Das Christian Doppler Labor wird von der Christian Doppler Gesellschaft und einer Partnerorganisation, in diesem Fall von Ärzte ohne Grenzen gemeinsam finanziert. Das Budget für 7 Forschungsjahre liegt bei rund 1 Mio. Euro. Davon kommen rund 600.000 von der öffentlichen Hand. Nach einer ersten Pilotphase von zwei Jahren wird das Projekt erstmals evaluiert, eine zweite Überprüfung findet nach weiteren drei Jahren statt. Insgesamt arbeiten 10 Personen an dem Projekt.
Kontakt:
www.zgis.at/research
Foto: Der Leiter des CD-Labors Professor Stefan LangFotonachweis: Kolarik