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Der Umzug beginnt im Vogelkopf

Was Vögel antreibt, im Winter gen Süden zu fliegen und wieder zurück, fanden Salzburger Forscher heraus

Wenn das Wetter zunehmend unwirtlich wird, ziehen wir uns warm an bzw. heizen unsere Wohnungen. Diese Möglichkeiten haben Vögel nicht. Dafür können sie fliegen und die Kälte ganz einfach hinter sich lassen. Viele tun das auch und legen im Zuge dieser alljährlichen Wanderung oft tausende Kilometer zurück. Andere bleiben hier und trotzen dem Winter. An der Universität Salzburg vergleicht man die Gehirne von Zug- und Standvögeln und kommt dabei auf Unterschiede, die überlebensentscheidend sein können.

Der Unterschied kann zehn bis 20 Prozent ausmachen, beruht aber auf einer unterschiedlichen Entwicklung bestimmter Teile des Vorderhirns. Ausgeprägte Zugvögel weisen ein stark vergrößertes Hyperpallium auf, einer im Durchschnitt relativ kleinen Region, die für die Verarbeitung von Sinneseindrücken zuständig ist. Hier liegt auch eine „Sondereinrichtung“ für den nächtlichen Flug: ein „Cluster N“ genanntes Neuronengebilde, das es den Vögeln erlaubt, Ablenkungen des Erdmagnetfeldes wahrzunehmen – eine Art Magnetkompass.

„Der Vogelzug ist ein von der Natur vorgegebener Versuch, der sich zweimal im Jahr abspielt, ohne dass wir etwas dazu tun müssen“, erklärt Gustav Bernroider vom Fachbereich Organismische Biologie der Universität Salzburg. „Wir können dabei das Verhalten, die Wahrnehmung, die Lernleistung und das Gehirn untersuchen.“ Das tut er als Leiter der Arbeitsgruppe Neurosignaling und Neurodynamics mit seinen Mitarbeitern, wobei er sich neben Computersimulationen vor allem der Gehirnallometrie bedient, also dem Messen und Vergleichen des Verhältnisses zwischen Körper- und Gehirnmasse.

Wie sich dabei herausgestellt hat, haben sogenannte Langstreckenzieher – Vögel, die tausende Kilometer zurücklegen – ein kleineres Gehirn als Kurzstreckenzieher, die schlechten Lebensbedingungen nur ein relativ kleines Stück ausweichen, und Standvögel, die ihren Lebensraum das ganze Jahr über beibehalten.

Der Unterschied kann zehn bis 20 Prozent ausmachen, beruht aber auf einer unterschiedlichen Entwicklung bestimmter Teile des Vorderhirns. Ausgeprägte Zugvögel weisen ein stark vergrößertes Hyperpallium auf, einer im Durchschnitt relativ kleinen Region, die für die Verarbeitung von Sinneseindrücken zuständig ist. Hier liegt auch eine „Sondereinrichtung“ für den nächtlichen Flug: ein „Cluster N“ genanntes Neuronengebilde, das es den Vögeln erlaubt, Ablenkungen des Erdmagnetfeldes wahrzunehmen – eine Art Magnetkompass.

Mehr oder weniger beharrliche Vögel dagegen zeichnen sich durch die Vergrößerung zweier anderer Gehirnareale aus, nämlich des gemeinsam recht großen Nido- und Mesopalliums. „Das ist das assoziative Gehirn, das verantwortlich ist für Flexibilität, das Lernen von Neuem, kognitive Entscheidungen usw.“, führt Bernroider aus. Und: „Es entspricht dem präfrontalen Neokortex des Menschen, der bei uns für dieselben Dinge zuständig ist. Dabei haben Vögel gar keinen Neokortex. Wie es aussieht, sind intelligente Vorderhirnstrukturen bei Vögeln und Säugern unabhängig voneinander entstanden.“

Sind also Vogelarten, die daheim bleiben, klüger als solche, die wegziehen? „So einfach ist es nicht“, bedauert Bernroider. „Die stammesgeschichtlichen Verhältnisse liegen kreuz und quer.“ Das heißt, auch ganz nah verwandte Arten können diesbezüglich völlig unterschiedliches Verhalten zeigen. Auch innerhalb derselben Art gibt es Variationen, je nachdem, wo die Vögel zu Hause sind: Die Mönchsgrasmücke etwa ist in Schweden ein Zugvogel, in Spanien dagegen ein Standvogel. Wie überhaupt die jeweilige Gegend, in der ein Tier aufwächst, eine große Rolle auch bei der Hirnentwicklung spielt: „Ein Zugvogel, der in Sibirien aufwächst, hat nur 100 Tage Zeit, sich zu entwickeln, bevor ihn die Zugunruhe befällt, wohingegen ein Vogel derselben Art im Mittelmeerraum für dieselbe Entwicklung die doppelte Zeit haben kann“, erläutert Bernroider. Auch zwischen Nesthockern – also Vögeln, die relativ lange von den Eltern abhängig sind – und Nestflüchtern, die selbstständig auf die Welt kommen, gibt es Hirn-Unterschiede. „Es gibt eine Regel in der Entwicklungsbiologie: Was sich spät entwickelt, wird groß. Das ist auch bei der Großhirnrinde des Menschen so. Das bedeutet, dass Arten mit längerer Kindheit mehr Zeit für die Gehirnentwicklung haben.“

Das wiederum bedeutet erhöhte Flexibilität – eine Eigenschaft, die sich vor allem in Zeiten des Klimawandels bezahlt machen dürfte: „Es ist wahrscheinlich, dass Lebewesen diese Hirnteile brauchen, um mit Umweltänderungen zurechtzukommen. Das hat also Folgen für die Überlebensfähigkeit von Populationen“, sagt Bernroider. So hat etwa der ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatete Girlitz, der seit 100 Jahren auch in Zentraleuropa anzutreffen ist, ein „großes assoziatives Gehirn, das kurzfristige Anpassungen erlaubt“.

Fazit: Je besser ausgebildet das assoziative Gehirn, desto besser kommt man mit kurzfristigen Änderungen zurecht. Im Zuge des Klimawandels dürfte jedoch mit massiven Veränderungen zu rechnen sein, für die es mehr Hirnschmalz braucht. Bernroider: „In Zukunft werden wir uns mit unserem präfrontalen Neokortex etwas mehr anstrengen müssen.“ (Susanne Strnadl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. November 2010)