Big-Data-Analyse für humanitäre Hilfe
Clemens Havas vom Fachbereich Geoinformatik der Paris Lodron Universität Salzburg wertet georeferenzierte Social Media-Daten aus, um Organisationen bei humanitärer Hilfe zu unterstützen. Aktuell bei der COVID-19-Pandemie, aber auch bei Naturkatastrophen oder beim Flüchtlingsmanagement. Die Ergebnisse seiner Analysen dienen als wichtige Entscheidungsgrundlage.
Auswertung von Twitter-Daten
Mittlerweile tummeln sich weltweit rund 3,8 Mrd. Menschen in den Sozialen Medien, das sind 50% der Bevölkerung rund um den Globus. „Diese Menschen produzieren eine unglaubliche Datenmenge, die wir sinnvoll nutzen wollen um Menschen in kritischen Situationen aller Art so schnell wie möglich zu helfen“, sagt Doktorand Clemens Havas. Der Jungwissenschaftler beschäftigt sich in seiner Doktorarbeit vorwiegend mit der Analyse von Twitter-Daten. Aus Milliarden von Daten werden von ihm mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wichtige Informationen herausgefiltert. „Meine Aufgabe ist es, aus den vielen Daten die relevanten herauszufinden, entsprechende Algorithmen zu erstellen und diese in einem Computerprogramm umzusetzen.“ Dazu benutzt Havas offizielle Schnittstellen, die Twitter bereitstellt. „Wir haben die Möglichkeit Daten von Twitter zu sammeln und können diese jederzeit für einen Anwendungsfall analysieren.“ Der Datenschutz wird beachtet, da ausschließlich aggregierte Daten publiziert werden.
Hilfe bei COVID-19 Pandemie
Wozu analysiert ein Doktorand Twitter-Daten? Ein wichtiges Anwendungsfeld ist aktuell die Analyse von Raum- und Zeit-bezogenen Daten zu COVID-19 Fällen beispielsweise in Deutschland, Österreich, der Schweiz und auch in den USA. „Wir legen dabei unser Hauptaugenmerk auf jene Gebiete, wo besonders viel Aktivität stattfindet, d.h. wo im Moment die Menschen besonders viel zu COVID-19 posten.“ Denn die Wissenschaftler gehen von der Annahme aus, dass Personen in betroffenen Gebieten mehr posten als Personen in nicht betroffenen Gebieten. Im Ergebnis haben die Salzburger Geoinformatiker räumliche Cluster in Form von Landkarten erstellt, die aufzeigten, wo die Aktivität besonders hoch und niedrig war. „Mit Hilfe von vergleichbaren Analysen haben wir herausgefunden, dass wir richtig lagen, denn unsere Resultate stimmten in vielen Fällen mit der tatsächlichen Ausbreitung der Pandemie überein.“ Besonders eng arbeitet das Team mit der Harvard Medical School zusammen. Mit dem amerikanischen Partner haben die Salzburger Wissenschaftler unterschiedliche Datenquellen untersucht und herausgefunden, dass Twitter-Daten zur Früherkennung für den Anstieg von COVID-19 Fällen verwendet werden können.
Hilfe bei Naturkatastrophen
Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für die Auswertung von Twitter-Daten sind Naturkatastrophen, die in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen haben. Auch hier werden Monitoring-Programme immer wichtiger, um Schäden durch Naturkatastrophen entgegenzuwirken. Durch die Geodatenanalyse kann eine räumliche Ansicht der Katastrophe den Zivilbehörden bereitgestellt werden. „Aufgrund unserer Hot-Spot-Analysen können wir von Katastrophen besonders stark betroffene Gebiete herausfiltern und diese Informationen schnell an Behörden weitergeben“, so Havas. Beispielsweise wurde beim Hurrikan Florence im Jahr 2018 auf die Expertise des Salzburger Forschungsteams zurückgegriffen. Während Hurrikan Florence am 14. September schwere Verwüstungen anrichtete, gelang es den Wissenschaftlern bereits einen Tag später, am 15. September, die erste Hot-Spot-Karte zu generieren und im Tagesrhythmus aktualisierte Hot-Spot-Karten aufgrund der Twitter-Meldungen bereitzustellen. Insgesamt wurden mehr als zwei Millionen georeferenzierte Tweets im Zielgebiet gesammelt. Die vom Hurrikan betroffenen Gebiete waren also mit Hilfe dieser Analysen bereits am nächsten Tag den Verantwortlichen bekannt.
Forschungsprojekte als Serviceleistung
Die Kombination aus grundlagen- und anwendungsorientierten Forschungsprojekten führte zu stetiger Weiterentwicklung des Datensatzes und der Analysemethoden. Daraus resultierten nachhaltige Kooperationen der Salzburger Geoinformatik mit Hilfsorganisationen. Aufgrund der zahlreichen Geschehnisse wie Flüchtlingsbewegungen, die COVID-19 Pandemie oder die verheerende Explosion in Beirut wurde das Forschungsteam am Fachbereich Geoinformatik der Paris Lodron Universität Salzburg mehrmals von NGOs kontaktiert, um Analysen zu diesen Themen durchzuführen. Seit Februar dieses Jahres werden mehrmals wöchentlich Zusammenfassungen des Twitter Streams an NGOs geschickt, die diese dann direkt in Lagemeldungen umwandeln konnten und in ihre Stabsarbeit einfließen ließen. Dadurch konnten Forschungsergebnisse der letzten Jahre umgehend zu einem Service umgewandelt werden.
Zur Person:
Clemens Havas (29) ist Doktorand am Fachbereich Geoinformatik Z_GIS der Paris Lodron Universität Salzburg. Seine Sammeldissertation, bestehend aus mehreren Fachpublikationen, soll bis Februar abgeschlossen werden. Die Dissertation beinhaltet sechs Publikationen, die in internationalen Fachzeitschriften mit vorheriger Begutachtung publiziert wurden. Betreut wird die Arbeit von Professor Bernd Resch. Havas ist Projektmitarbeiter in verschiedenen nationalen und internationalen Drittmittelprojekten und hat gute Aussicht auch nach Abschluss seiner Dissertation weiter über Drittmittelprojekte angestellt zu werden. Havas ist Salzburger, ging im BG Nonntal zur Schule, studierte an der Fachhochschule Informationstechnik & System-Management und verfasst nun seine Dissertation an der PLUS. Weitere Stationen waren Forschungsaufenthalte an der City University of New York, der Harvard University (beide USA) und der Universität Passau (Deutschland).
Bild: Clemens Havas. Foto: Kolarik Andreas.
Übersicht Medienberichte:
Auswertungen für die Wissenschaft, orf.at vom 28.12.2020, Seite 2
Twitter-Auswertungen für die Wissenschaft, orf.at vom 28.12.2020, Seite 3
Twitter-Daten, die im Kampf gegen Corona helfen, meinbezirk.at vom 27.12.2020, Seite 4
Daten, die im Kampf gegen Corona helfen, Bezirksblätter Salzburg vom 22.12.2020 (Seite 25), Seite 5
Big-Data-Analyse für humanitäre Hilfe, science.apa.at vom 30.11.2020, Seite 6