Auf der Suche nach einem alternativen Ansatz zur Bekämpfung des Magenbakteriums H. pylori (Presseinfo)
Presseaussendung der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) vom 8. März 2021
Das weit verbreitete Magenbakterium Helicobacter pylori (H. pylori) ist eine oft unterschätzte Gefahr. Salzburger Forscherinnen wollen herausfinden, wie es dem Keim gelingt, das menschliche Immunsystem auszutricksen. Ein Schlüsselmolekül für diesen Mechanismus haben sie nun gefunden. Ziel der Wissenschaftlerinnen ist ein neuer -immunlogischer – Therapieansatz: Das Immunsystem soll wieder scharf gemacht werden gegen den gefährlichen Keim, auf den 75 Prozent aller Magenkrebsfälle weltweit zurückzuführen sind. Gerade vor dem Hintergrund ständig steigender Resistenzen gegen Antibiotika erscheint ein alternativer Zugang zur Bekämpfung des Magenbakteriums wichtig, so die Wissenschaftlerinnen.
Weltweit ist ungefähr die Hälfte der Bevölkerung mit dem Magenbakterium H. pylori infiziert. Wobei die Infektionsrate in den Entwicklungsländern sehr viel höher ist als in den Industrienationen, wo sie bei ungefähr 20 Prozent liegt. Eine kürzlich in Salzburg erhobene Stichprobe bestätigt in etwa diese Zahl. H. pylori Infektionen zählen zu den häufigsten chronischen Infektionen. Da sie aber niederschwellig sind und in der Regel lange Zeit keine Beschwerden verursachen, bleiben sie oft unbemerkt.
Fakt ist jedoch: Eine chronische Infektion mit H. pylori ist der größte Risikofaktor für die Entstehung von Magenkrebs. Drei von vier Magenkrebserkrankungen haben ihre Ursache in einer H. pylori Infektion. Für die Erforschung dieses Zusammenhangs erhielten 2005 zwei australische Forscher den Medizin-Nobelpreis. Von jährlich 780.000 Todesfällen aufgrund von Magenkrebs wären bei einer effektiven H. pylori Bekämpfung 580.000 möglicherweise vermeidbar. Die WHO ordnet H. pylori daher in die Gruppe I der krebserregenden Substanzen ein.
Das Fatale am Magenbakterium: Hat H. pylori einmal den Weg in den Körper gefunden, bleibt es als blinder Passagier im Magen. Anders als andere Bakterien wird es nicht entsprechend vom Immunsystem bekämpft. Wie H. pylori es bewerkstelligt, dass es vom Immunsystem toleriert wird, das erforschen an der Universität Salzburg die Immunologinnen Jutta Horejs-Höck, Theresa Neuper und Muamera Sarajlic. Sie kooperieren dabei eng mit der Salzburger Mikrobiologin Silja Weßler, einer international ausgewiesenen Expertin in der Erforschung des Magenbakteriums.
Genau diese Verbindung zwischen einer profunden mikrobiologischen und immunologischen Expertise zeichne das Projekt besonders aus, sagt Projektleiterin Jutta Horejs-Höck. „Das Ziel unserer Arbeit ist eine alternative Denkweise. Wir versuchen zu verstehen, ob es möglich wäre, das Immunsystem soweit zu reaktiveren, dass es H. pylori erkennt und abtötet. Dazu müssen wir aber erst einmal verstehen, welche Mechanismen das Magenbakterium verwendet, um die Immunantwort zu unterdrücken. Die meisten Wissenschaftler beschäftigen sich bisher mit der Interaktion zwischen dem Bakterium und der Magenschleimhaut, also wie das Bakterium die Magenschleimhaut überwinden und sich dort einnisten kann. Das ist zweifellos absolut relevant, aber wahrscheinlich genauso wichtig ist die Rolle des Immunsystems. Denken Sie an die Erfolge der Krebs-Immuntherapie; vielleicht ließe sich gegen das Magenbakterium ein vergleichbarer Ansatz finden“, so Horejs-Höck.
Die Salzburger Forscherinnen arbeiten mit primären Immunzellen, die sie direkt aus menschlichem Blut isolieren. „Wir infizieren diese Zellen mit dem Magenbakterium und analysieren dann die Botenstoffe, die für die Entzündung wichtig sind. Wir haben verschiedene Signalwege analysiert, um zu sehen, welches Molekül dafür verantwortlich sein könnte, dass H. pylori vom Immunsystem toleriert anstatt eliminiert wird. Ein Kandidat, war ein Oberflächenrezeptor namens TLR10, der auf Wächterzellen sitzt. Wir haben gesehen, dass die Blockade dieses TLR10 Rezeptors zu einer Erhöhung der Immunantwort auf das Magenbakterium im Labor führt. Was umgekehrt bedeutet, dass das Magenbakterium diesen Rezeptor nutzt, um die Immunantwort zu unterdrücken“, so Muamera Sarajlic. Sie wurde für ihre Arbeit, die sie im Rahmen ihre Dissertation durchgeführt hat, nun mit dem Young Investigator Award der Universität Salzburg ausgezeichnet.
Wächterzellen, auch Dendritische Zellen genannt, sind wie eine Armada überall im Körper stationiert. Ihre Aufgabe ist es, das Immunsystem über krankmachende Angreifer zu informieren. Das tun sie, indem sie die Erreger fressen und Bruchstücke davon anderen Zellen des Immunsystems (T-Helferzellen) präsentieren und damit eine Art Immunkaskade initiieren. Wenn dendritische Zellen ein Bakterium entdecken aktivieren sie also eigentlich eine Immunantwort, die darauf abzielt, das Bakterium zu beseitigen . Warum sie plötzlich ins Gegenteil kippen und tolerabel bzw. immunsupprimierend werden, hat Theresa Neuper vor einigen Jahren in ihrer Dissertation erforscht. „Die dort gewonnenen Erkenntnisse haben wir dann konkret im Kontext einer H. pylori Infektion untersucht und genau die vorher beschriebenen Änderungen gesehen“, fasst Neuper zusammen.
Von den Erkenntnissen im Labor bis zu potentiellen neuen Therapien gegen H. pylori Infektionen ist allerdings ein sehr weiter Weg, räumt Jutta Horejs-Höck ein. „Indem man besagten Rezeptor blockiert, kann man zwar im Labor die Immunantwort auf das Magenbakterium eindeutig erhöhen. Aber die Frage ist, ob das auch im Menschen funktioniert und was es für Nebeneffekte hat, denn dieser Rezeptor wird nicht nur vom Magenbakterium benützt. Über TLR10 weiß man auch noch sehr wenig. Es sind also noch sehr viele Vorarbeiten für eine eventuelle Immuntherapie nötig, aber es ist eine interessante Zukunftsperspektive. Vor allem angesichts der ständig steigenden Antibiotika-Resistenzen. Aktuell werden H. pylori Infektionen in erster Linie mit einem Antibiotika-Cocktail behandelt.“
In einem nächsten Schritt wollen die Forscherinnen in „Mini-Mägen“ die Interaktion zwischen dem Magenbakterium und den Immunzellen untersuchen. Die Mikrobiologin Silja Wessler entwickelt zusammen mit Gernot Posselt aus biopsiertem Magengewebe von Krebspatienten sogenannte Organoide. „Wir haben unsere bisherigen Untersuchungen im Reagenzglas durchgeführt. Als nächstes wären Tiermodelle dran. Beim Magenbakterium funktionieren Mausmodelle aber nicht, weil das Maus-Immunsystem H. pylori sehr wohl eliminieren kann. Deswegen wollen wir in Zukunft mit Organoiden arbeiten, oder genauer gesagt mit Gastroiden, also magenähnlichen Mikrostrukturen. Das ist technologisch eine Herausforderung, aber sehr zukunftsträchtig“, sagt Horejs-Höck.
Die Forschungen zum Magenbakterium H. pylori werden vom Wissenschaftsfonds FWF und dem Cancer Cluster Salzburg (CCS) finanziert.
Weitere Infos: https://www.uni-salzburg.at/horejs-hoeck