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Alzheimer:  Ist eine geschädigte Leber ein Risikofaktor für eine Demenz-Erkrankung?

Was die Alzheimer-Demenz verursacht, ist noch immer nicht genau verstanden. Biologen der Universität Salzburg lenken mit ihren neuesten Entdeckungen die Alzheimer-Forschung auf eine neue Spur: die Leber-Hirn-Achse. Hubert Kerschbaum und Nikolaus Bresgen haben in Zellkultur herausgefunden, dass Fett-Nanopartikel, die aus einer geschädigten Leber freigesetzt werden, zu krankhaften Veränderungen der Immunzellen des Gehirns führen und so eine Wurzel für die Alzheimer-Erkrankung bilden können.

Die Studie wurde im renommierten Fachjournal „Communications Biology“ veröffentlicht.

Am Beginn der Entdeckungen steht Alois Alzheimer. Damals und heute. Damals vor über hundert Jahren als Nervenarzt, der als erster die neuropathologischen Merkmale der nach ihm benannten Erkrankung beschrieb. Und heute – aufgrund seiner präzisen Zeichnungen von Zellen im Gehirn verstorbener Demenzpatienten – als Impulsgeber für die neue Spur, die die Salzburger Biologen Hubert Kerschbaum und Nikolaus Bresgen verfolgen.

Alois Alzheimer hatte nicht nur die Nervenzellen und deren Verlust im Gehirn der verstorbenen Patienten beschrieben, sondern auch, was weniger bekannt ist, die sogenannten Mikroglia untersucht. Mikroglia sind die Immunzellen des Gehirns, die wie eine Art Müllabfuhr funktionieren, indem sie die Schadstoffe quasi auffressen. „Alois Alzheimer hat beobachtet, dass die Mikroglia im Gehirn verstorbener Demenz-Patienten auf eine sehr typische Art verändert sind. Sie enthalten mit Fett gefüllte Zelluntereinheiten, sogenannte Vakuolen. Alzheimer nannte sie aufgrund ihres Erscheinungsbildes Gitterzellen“, erläutert Hubert Kerschbaum. Er hat sich intensiv mit den Arbeiten Alzheimers auseinandergesetzt.

Und Kerschbaum ergänzt. „Alzheimer hat uns also mit seinen Zeichnungen einen Hinweis auf die Rolle der Fette bei der Gehirnerkrankung geliefert. Da die Leber das zentrale Organ für den Fettstoffwechsel ist, haben wir die Leber-Hirn Achse in den Fokus genommen.“

Tatsächlich bestätigte sich der Leber-Hirn Konnex in Zellkulturexperimenten. Gestresste Leberzellen gaben Fett-Nanopartikel ab, und diese wiederum führten zu den krankhaften Veränderungen in den Mikrogliazellen mit genau denselben Mustern wie sie Alois Alzheimer beschrieben hatte.

Dass gestresste Leberzellen die Quelle von Fett-Nanopartikeln sind, ging aus den Experimenten hervor, erklärt Nikolaus Bresgen. Er ist Spezialist für Leberzellen. „Wenn man Leberzellen in Zellkulturen untersuchen will, löst man sie aus dem Zellverband der Leber und kultiviert sie in einem speziellen Kulturmedium. Die Isolierung bedeutet massiven Stress für die Leberzellen, vergleichbar einer massiven Verwundung der Leber. Wenige Stunden nach der Isolierung wird das Kulturmedium entsorgt und durch frisches Medium ersetzt, um die Zellen weiterhin am Leben zu erhalten. Wir haben diesen „entsorgten“ Abfall aber unter die Lupe genommen, um zu sehen, was aus den Leberzellen abgegeben wird und festgestellt, dass enorm viele Fett-Nanopartikel drin sind. Offensichtlich begünstigen die Verwundungsprozesse die Partikelbildung.“  Um welche Fette es sich dabei handelte, hat der Wiener Chemiker Christopher Gerner analysiert.

Im nächsten Schritt ließen die Salzburger Biologen die Fett-Nanopartikel aus den Leberkulturexperimenten auf Mikroglia-Zellen des Gehirns wirken, mit – wie schon erwähnt – einem verblüffenden Ergebnis. „Wir konnten mit Videomikroskopie filmen, wie sich die Mikroglia veränderten und wie die immer größer werdenden Vakuolen die Fett-Nanopartikel solange verschlungen haben bis sie aus Überlastung nichts mehr schlucken konnten. Unsere Aufnahmen waren den vom Alois Alzheimer als Gitterzellen bezeichneten Mustern frappant ähnlich“, resümieren die Forscher und ergänzen „Wichtig war die Nanopartikelform. Fette in gelöster Form waren in unseren Versuchen wirkungslos.“

Das Missing Link zwischen einer entzündeter Leber und der Gehirnerkrankung scheinen also die Fett-Nanopartikel zu sein. Diese werden ins Blut abgegeben, von wo aus sie über die Blut-Hirn-Schranke in das Gehirn gelangen können.

„Man muss bedenken, dass die Alzheimer Erkrankung eine Vorlaufzeit von bis zu 40 Jahren hat. Wenn eine chronische Leberschädigung vorhanden ist, zirkulieren die Fett-Nanopartikel lange Zeit im Körper und reichern sich im Gehirn an, wo die Mikroglia sie ständig bekämpfen bis sie schlussendlich mit dem Abbau überfordert sind und dann wird die „Krankheit des Vergessens“ manifest,“  erklären die Salzburger Biologen.

Sie plädieren dafür, in der Alzheimer-Forschung den Fokus künftig vermehrt auch auf die Rolle der Leber zu richten. Sie weisen in dem Zusammenhang darauf hin, dass neue medizinische Daten den Lebensstil als einen wichtigen Faktor für die Alzheimer Entstehung belegen. Ein ungesunder Lebensstil begünstigt Entzündungsprozesse in der Leber und somit eben möglicherweise Alzheimer.

Und wie ordnen Hubert Kerschbaum und Nikolaus Bresgen die Tatsache ein, dass die Alzheimer-Forschung in den letzten Jahrzehnten auf die Eiweißablagerungen im Gehirn fokussiert, auf die Amyloid-Plaques und die Tau-Fibrillen? Dass diese Plaques bei der Alzheimer-Erkrankung eine wichtige Rolle spielen, sei unbestritten, aber: „Diese Eiweißablagerungen sind unserer Überzeugung nach ein Sekundäreffekt. Die primäre Ursache ist unserer Meinung nach der Zusammenbruch der Müllabfuhr im Gehirn aufgrund der Überlastung der Mikrogliazellen durch Fett-Nanopartikel.“

Und die Forscher ergänzen „Wenn die Leber-Hirn-Achse auch für den Transport toxischer Faktoren, wie Fett-Nanopartikel genutzt wird, dann könnten Medikamente, die die Leberfunktion verbessern, auch bei neurodegenerativen Erkrankungen positive Wirkungen haben. Dies könnte eine Alternative oder eine Ergänzung sein zu den monoklonalen Antikörper gegen das beta-Amyloid die kürzlich zur Behandlung von Alzheimer-Patienten freigegeben wurden. Solange die Fett-Nanopartikel im Blut zirkulieren, werden sie Entzündungen im Gehirn befeuern.“

Publikation:

Hubert Kerschbaum, Christopher Gerner, Karin Oberascher, Philip Steiner, Melanie Schürz, Nikolaus Bresgen: Lipid-nanoparticle-induced vacuolization in microglia in:  https://www.nature.com/articles/s42003-024-07271-6

Kontakt:

Nikolaus Bresgen, Mag. Dr. | Fachbereich Biowissenschaften und Medizinische Biologe | Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)

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HR Mag. Gabriele Pfeifer

Leitung Kommunikation und Fundraising

Universität Salzburg | Abteilung Kommunikation und Fundraising

Kapitelgasse 4-6 | A-5020 Salzburg

Tel: +43 662 8044 2024

E-Mail an HR Mag. Gabriele Pfeifer

Foto: v.l.n.r.: Die Professoren Nikolaus Bresgen und Hubert Kerschbaum | © Kay Müller