Abenteuer Altertumswissenschaften
Vom Kampf um Grünland im antiken Rom, neuesten Grabungsfunden in Griechenland bis zur Entdeckung von Augustinus-Texten. Beim 50-Jahr- Jubiläum der Altertumswissenschaften gaben Forscher einen Überblick über ihre Arbeiten
Sie gehörten zu den ersten Kindern der 1962 neu gegründeten Paris Lodron Universität: Die altertumswissenschaftlichen Fächer wurden in den ersten Jahren nach Wiedererrichtung der Universität konstituiert. Jetzt sind sie ein halbes Jahrhundert in Salzburg beheimatet. Im Dezember 2016 wurde dieses Jubiläum mit einem prominent besetzten Symposion gefeiert. Alle Teilbereiche der Altertumswissenschaften – das sind Archäologie, Alte Geschichte und Klassische Philologie – waren mit exzellenten Experten vertreten.
Altertumswissenschaften – wen interessieren die? Viele. Zumindest ist das für die Archäologie bestätigt. 85 Prozent der Österreicher/innen halten sie für wichtig oder sehr wichtig. Das hat eine Studie des Archäologieprofessors Raimund Karl von der Universität Bangor in Wales ergeben. Zwei Drittel würden bei archäologischen Forschungen gern mitmachen. Wer will nicht erforschen, wie alte Kulturen und Zivilisationen entstanden? Unter glühender Sonne ebenso wie bei Wind und Wetter antike Überreste aus dem Boden holen, mysteriöse Grabkammern entdecken? Die verwegene Film-Figur des Indiana Jones hat wie keine andere das Image des abenteuerlustigen Archäologen geprägt.
Wenn auch nicht nach spektakulärer Indiana-Jones-Manier – viel Feldarbeit leisteten und leisten die Salzburger zum Beispiel auf der griechischen Insel Ägina. Seit der Errichtung der Professur für Klassische Archäologie ist die Erforschung des antiken Siedlungshügels dieser Insel ein Forschungsschwerpunkt der Universität Salzburg. Das Kap Kolonna – nordwestlich des Hauptortes Ägina der gleichnamigen Insel gelegen – zählt zu den wichtigsten archäologisch erfassten Siedlungsstätten in Griechenland und zu den Plätzen mit der längsten Nutzungsdauer – von der neolithischen bis zur byzantinischen Zeit. Im vorgeschichtlichen Griechenland war es einer der bedeutendsten Handelsplätze.
Heute noch weithin sichtbar sind die Reste eines Apollon-Tempels. Die einzige noch aufrechte Säule dieses Tempels bot in der frühen Neuzeit den venezianischen Seefahrern ein markantes Orientierungszeichen (italienisch colonna) und hat der Ausgrabungsstätte ihren Namen gegeben.
„Was Ägina-Kolonna auszeichnet, ist die einzigartige Mannigfaltigkeit der Siedlungsstrukturen. Hier wurden mehrere befestigte Stadtanlagen der Bronzezeit übereinander errichtet. Hier sind meterhohe Schichten von Gebäuden der archaischen bis zur hellenistischen Periode erhalten. Unsere Grabungen geben Aufschluss über die Anfänge der städtischen Entwicklung und fördern nicht nur Artefakte, sondern aufschlussreiche Befunde aus Materialbeprobungen zutage“, sagt Archäologie-Bereichsleiter Universitätsprofessor Wolfgang Wohlmayr.
Mit den Grabungen in Ägina-Kolonna verfüge Salzburg über ein archäologisches Alleinstellungsmerkmal, betonte Dr. Sabine Ladstätter beim Festvortrag zum Salzburger Jubiläum. Ladstätter ist Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts in Wien und als Leiterin der österreichischen Ausgrabungen in Ephesos eine der renommiertesten Archäologinnen Europas. „Ägina steht ebenbürtig neben Ephesos“, so Ladstätter. Ephesos kam Ende August 2016 in die weltpolitischen Schlagzeilen, als das türkische Außenministerium die Grabungen dort aufgrund der diplomatischen Spannungen mit Österreich einstellen ließ. Ephesos war im Altertum eine der bedeutendsten Städte Kleinasiens und beherbergte mit dem Tempel der Artemis eines der Sieben Weltwunder. Im Jahr 2015 wurde Ephesos von der UNESCO in die Liste des Kulturwelterbes aufgenommen.
Nicht nur im Boden, sondern auch in alten Büchern entdecken Salzburger Altertumswissenschaftler immer wieder Neues aus der Antike. „Eine Sensation war im Jahr 2012 die Auffindung des ältesten lateinischen Evangelienkommentars aus dem 4. Jahrhundert durch Lukas Dorfbauer“, sagt Dorothea Weber, Universitätsprofessorin für Latinistik und Leiterin des Fachbereichs Altertumswissenschaften. Damit nicht genug, gelang es 2016 Clemens Weidmann, neue Augustinus-Predigten zu identifizieren und zu publizieren.
Die Genannten gehören einer Arbeitsgruppe der Salzburger Altphilologen (Bereich Latinistik) an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Schriften der lateinischen christlichen Autoren der Spätantike in wissenschaftlich gesicherten Editionen zugänglich zu machen. Das geschieht im Rahmen einer der ältesten Forschungsinstitutionen Österreichs, des CSEL (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum). Es hat 2012 an die Universität Salzburg angedockt und bereichert hier eine höchst lebendige Klassische Philologie, die die Bedeutung der alten Sprachen und deren Literaturen im wissenschaftlichen Gespräch mit Mittelalter-Disziplinen, Judaistik, Philosophie und Theater erforscht.
Gut nach außen hin sichtbar ist die Salzburger Altphilologie mit dem neuen Schwerpunkt Rhetorik. „In politischen Reden zum Beispiel ist der Aspekt der Herrschaft durch Sprache sehr interessant“, sagt Universitätsprofessor Thomas Schirren, Bereichsleiter Gräzistik. „Salzburg ist mit der Rhetorik in einer sehr guten Position“, bestätigt der frühere Wissenschaftsminister und Klassische Philologe Karlheinz Töchterle.
Eine deutliche Neuorientierung hat in den letzten Jahren auch der Bereich Alte Geschichte erfahren. Weg von der Ereignisgeschichte, hin zur antiken Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Mit welchen kriminellen Machenschaften haben etwa habgierige römische Immobilienspekulanten und Herrscher/innen wie Marc Anton oder Messalina Mitkonkurrenten ausgeschaltet? Man scheute nicht vor Mord und Totschlag zurück. Besonders begehrt waren die prächtigen Gärten Roms, ein Thema mit dem sich Universitätsprofessorin Monika Frass, die neue Bereichsleiterin für Alte Geschichte (Nachfolge von Herbert Graßl), intensiv beschäftigt. „Schon im antiken Rom kämpften Kritiker gegen die Verbauung alter traditioneller Grünflächen“, sieht Frass Parallelen zur Gegenwart. „Das traditionelle Grünland, ursprünglich agrarisch genutzte Flächen, wurde von Ziergärten und Parks mit großartigen Villenanlagen immer mehr verdrängt. Reiche kauften alles auf und verbauten es, sogar antike sakrale Flächen, ehemalige Begräbnisstätten Armer, fielen dem Prestigestreben und Repräsentationsbedürfnis der Mächtigen zum Opfer.“
Foto v.l.n.r.: Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Wohlmayr, Univ.-Prof. Dr. Dorothea Weber, Univ.-Prof. Dr. Monika Frass und Univ.-Prof. Dr. Thomas Schirren | © PLUS.