Textilwirtschaften und Technokomplexe im prähistorischen Ägäisraum von der Mitte des dritten bis zur Mitte des zweiten Jahrtausends v. u. Z.

19. Jänner 2023 | 18.30 Uhr | Abgusssammlung | Residenzplatz 1 | Salzburg

In archäologischen Narrativen zwischen moyenne und longue durée prähistorischer Wirtschaftskreisläufe existiert verständlicherweise die Tendenz, „unsichtbare“ Technologien zu übersehen und ihren Einfluss in kulturhistorischen Rekonstruktionen zu unterschätzen. Die Erforschung des prähistorischen Textilhandwerks wurde aber lange nicht nur aufgrund der vergänglichen Materialien und ihres Fehlens in archäologischen Befunden vernachlässigt, sondern auch von einer gewissen Gender Bias geprägt: Spinnen und Weben als „Heimwerk“, das größtenteils von Frauen und Kindern ausgeübt wurde, galt oftmals nicht als ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor. Neue Forschungen in der Ägäis haben maßgeblich dazu beigetragen, derartige Annahmen zu hinterfragen und zu korrigieren.

Vor diesem Hintergrund präsentiert der Vortrag Traditionen, Innovationen und Adaptionen von Textiltechniken im Ägäisraum von der Mitte des dritten bis zur Mitte des zweiten Jahrtausends v. u. Z. Anfangs wird kurz erläutert, wie sich methodisch anhand archäologischer Textilgeräte (Spinnwirtel und Webgewichte) Textiltechniken sowie grobe Parameter der Garn- und Stoffherstellung rekonstruieren lassen. Ein knapper diachroner Abriss der früh- und mittelbronzezeitlichen Technokomplexe sowie der Textilherstellung auf dem griechischen Festland und an der kleinasiatischen Küste liefert die Grundlagen für eine Neubewertung: Die Analysen der Textilgeräte aus Ägina Kolonna im Westen und Çeşme Bağlararası im Osten dienen als Fallstudien, deren Ergebnisse im Spannungsfeld transägäischer Netzwerke kontextualisiert werden. Zugleich eröffnen sie neue Interpretationsansätze zu Phänomenen wie dem Einsetzen der Segelschifffahrt Ende des dritten, Anfang des zweiten Jahrtausends und zu sogenannten Minoisierungsprozessen in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends.