Die Derra de Moroda Dance Archives

Geschichte und Gegenwart

Die Derra de Moroda Dance Archives im Unipark der Universität Salzburg

Als die Tänzerin, Choreografin, Tanzhistorikerin und Sammlerin  Friderica Derra de Moroda (1897–1978) ihr Tanzarchiv 1975 der Universität Salzburg überschrieb, legte sie den Grundstein für ein international profiliertes akademisches Zentrum für Tanzforschung, -dokumentation und -vermittlung an der Universität Salzburg – ein dauerhafter Ort der Bewahrung und Vermittlung von Tanzwissen in einem integrativen, breitgefassten Verständnis, der die materielle und ideelle Basis der Tanzwissenschaft in Forschung und Lehre an der PLUS bildet.

Geboren 1897 im heutigen Bratislava, führte Derra de Morodas Lebensweg – oszillierend zwischen verschiedenen nationalen und kulturellen Sphären – über München, Wien, das Baltikum, Russland und Berlin 1913 nach London, das in den folgenden Jahrzehnten ihr Lebensmittelpunkt wurde. Parallel zur aktiven Laufbahn als Tänzerin betätigte sie sich als Choreografin, Tanzpädagogin und Tanzkritikerin und knüpfte durch ihre Korrespondenz ein weitverzweigtes Netz an Kontakten zu damals führenden Exponent*innen der Tanzszene. Aufgrund familiärer Bindungen reiste sie regelmäßig nach Salzburg, wo ihre Schwester Minka mit ihrem Ehemann Ludwig Schmederer lebte. Nach dem Krieg ließ sie sich in Salzburg nieder, eröffnete dort eine Ballettschule in der  Villa Schmederer und widmete sich verstärkt der Tanzforschung und dem Ausbau ihrer Tanzbibliothek.

Als 1966 in Salzburg nach der Neugründung der Universität auch eine Lehrkanzel für Musikwissenschaft eingerichtet wurde, knüpfte Derra de Moroda Kontakte zum Ordinarius  Gerhard Croll. Mit ihm verband sie das gemeinsame Interesse an Tanz und Oper des 18. Jahrhunderts – und die Überzeugung, dass Salzburg der geeignete Ort für die Etablierung eines Zentrums für akademisch institutionalisierte Tanzforschung war, die auf ihrer Tanzsammlung aufbauen sollte. 1975 überschrieb Derra de Moroda ihr Tanzarchiv dem damaligen Institut für Musikwissenschaft der Universität Salzburg. Am 15. Juni 1977 verlieh ihr die Universität Salzburg in Anerkennung ihrer Leistungen des Ehrendoktorat. 1978 starb sie in Salzburg.

Louis-Guillaume Pécour: Recueil de dances […]. Paris: Feuillet, 1704. DERRA DE MORODA DANCE ARCHIVES, DdM 312

Sammlungskonzept und -schwerpunkte

Das Tanzarchiv Derra de Morodas, hervorgegangen aus einer ebenso akribischen wie leidenschaftlichen und konstanten Sammlungstätigkeit, bildet persönliche Neigungen und Schwerpunkte seiner Gründerin ebenso ab wie ihren individueller Blick auf Tanz. Dieser war auf Bewegung und Körperlichkeit gerichtet – im Tanzen, Sammeln und Forschen, in der Beschäftigung mit Tanzgeschichte wie mit aktuellen Strömungen im Tanz ihrer Zeit. Heute besteht die Sammlung, die nach der Überschreibung an die Universität kontinuierlich ausgebaut wurde, aus Tausenden von Medien, Objekten und Artefakten zum Tanz, aber auch zu verwandten Bereichen wie Musik, Theater, Kostüm, Szenographie, Mode, Volkskunde und Kulturgeschichte. Thematische Schwerpunkte bilden das Ballett des 19. Jahrhunderts und seine Ballerinen – darunter die österreichische Tänzerin Fanny Elßler (1810–1884) –, die Ballets Russes, der mitteleuropäische Ausdruckstanz, Tanztechnik und Tanznotation, Nationaltanz und die „Ballettreform“ des 18. Jahrhunderts mit ihren Exponenten Gasparo Angiolini (1731–1803) und Jean-Georges Noverre (1727–1810).

Pécour_Entrée d'Apollon_DdM 312_Foto Manfredi

Tipp:  HIER geht’s zur Sammlung.

Reenacting Derra de Moroda

JULIA MO2

Projekte, Herausforderungen, Visionen

Aufgaben und Herausforderungen für die Derra de Moroda Dance Archives waren von Anfang an vielfältig. Stand zunächst die archivarische Aufarbeitung der Bestände im Fokus, gewann später die Arbeit an wissenschaftlichen, künstlerischen und Vermittlungsprojekten zunehmend an Bedeutung. Dabei richtet sich der Blick auch und besonders auf die Biografie der Archivgründerin, deren Aktivitäten während der NS-Zeit als Leiterin eines Ballettensembles für „Kraft durch Freude“ trotz einzelner Studien noch einer umfassende Aufarbeitung und kritischen Evaluierung bedürfen. In Verbindung mit den Derra de Moroda Dance Archives entstanden Ausstellungen (zuletzt „ Kunst-Musik-Tanz: Staging the Derra de Moroda Dance Archives“, 2016, Museum der Moderne Salzburg), Forschungsprojekte und  Publikationen, aber auch wissenschaftlich-künstlerische Projekte mit Künstler*innen aus Tanz, Performance und Bildender Kunst, wie das zeitgenössische Kunstprojekt Reenacting Derra de Moroda, das aus der Zusammenarbeit von Nicole Haitzinger und  Anja Manfredi hervorging und auf Tanzfotografien Derra de Morodas aus dem Bestand der Derra de Moroda Dance Archives rekurriert. Auch für das künstlerische Re-Staging-Projekt IdomeneoChaconne, entstanden im Mozartjahr 2006 zur Eröffnung des Haus für Mozart, wurden Bildmaterialien aus den Derra de Moroda Dance Archives verwendet.

Impressionen aus den Derra de Moroda Dance Archives

„My Dance Archives“

Derra de Moroda hat ihre Tanzsammlung absichtsvoll als „Archiv“ bzw. als „my dance archives“ bezeichnet, wobei diese Pluralbildung sowohl auf die Existenz verschiedener Einzelsammlungen im Gesamtkorpus der Sammlung verweist als auch auf eine spezifische Deutung des Archivbegriffs. Über die eigenen künstlerischen und forscherischen Interessen hinaus steht ihr Sammlungskonzept für die Vision eines umfassenden Archivs für den Tanz: einer Gedächtnisinstitution für die Dokumentation, Konservierung und dauerhafte Tradierung von Tanz, durch die mit Blick auf die Zukunft ein Beitrag zum Erhalt des Kulturellen Erbes im Tanz geleistet werden sollte. Diese Vision schließt ein spezifisches Verständnis dessen ein, was ein Tanzarchiv sein sollte: nämlich auch ein physischer wie ideeller Ort der weltoffenen Begegnung, des kreativen Austausches zwischen an Tanz interessierten und mit Tanz befassten Menschen im weitesten Sinne. Die Verbindung von Tanzhistorie und aktueller Tanzforschung, die Verortung quellengestützter, historischer Forschung im zeitgenössischen Diskurs, der Theorie-Praxisbezug, der Vermittlungs- und Informationsgedanke profilierten und profilieren das Archiv – von seinen ersten Anfängen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart.

Impressionen_DdMDA

Text: Irene Brandenburg
Fotos: © Hubert Auer (1) | ©  Anja Manfredi (2, 3) | © Derra de Moroda Dance Archives (4)