Potenziale der Mehrsprachigkeit
von Margareta Strasser (PLUS Sprachenzentrum)
Das menschliche Zusammenleben ist geprägt von Vielfalt. Dazu gehören insbesondere sprachliche und kulturelle Vielfalt, die im Alltag, Berufsleben und Bildungssystem allgegenwärtig sind. Gerade an der Universität trifft eine Vielzahl von Sprachen und Kulturen aufeinander. Der Umgang damit ist mitunter herausfordernd, kann aber auch ein großes Potenzial sein, wenn das Miteinander von Menschen mit vielfältigen sprachlichen und kulturellen Repertoires wertgeschätzt und entsprechend genutzt wird.
Was ist Mehrsprachigkeit?
Unter „Mehrsprachigkeit“ wird im Allgemeinen die Verwendungvon zwei oder mehreren Sprachen/Varietäten in Kommunikationssituationen verstanden, wobei sich „Mehrsprachigkeit“ auf Personen, Gesellschaften und Institutionen beziehen kann. Dabei gilt: Die Angehörigen einer mehrsprachigen Gruppe oder Institution sind nicht automatisch selbst mehrsprachig. Umgekehrt sind Institutionen, die von einem Miteinander mehrsprachiger Menschen geprägt sind, oft monolingual/einsprachig ausgerichtet. Das gilt insbesondere für ein Bildungssystem, in dem der Fokus auf der Bildungssprache Deutsch liegt.
Mehrsprachigkeit ist häufig mit Wertungen verbunden. So wird sie tendenziell als positiv angesehen, wenn es sich um Sprachen handelt, die ein hohes Prestige genießen (wie z. B. Englisch oder Spanisch) und/oder wenn die Sprachverwendenden gesellschaftlich angesehenen Gruppen angehören. Wenn das nicht der Fall ist, gilt Mehrsprachigkeit oft als Defizit oder Risiko, auch und gerade im Bildungssystem.
Wer ist mehrsprachig?
Mehrsprachige Personen sind Menschen, die im Alltag zwei oder mehr Sprachen oder auch Varietäten verwenden. Dabei können die Kompetenzen in den verschiedenen Bereichen (Lesen, Sprechen, Schreiben, Hören, Sprachmittlung) unterschiedlich ausgeprägt sein. Mehrsprachig zu sein bedeutet also nicht, zwei oder mehr Sprachen perfekt zu beherrschen. Auch Menschen, die eine Sprache verstehen und in einer anderen Sprache sprechen oder schreiben können, sind mehrsprachig. Dieses Konzept von Mehrsprachigkeit schließt auch das Beherrschen von Varietäten (also z. B. Dialekten und Fachsprachen) ein. Mehrsprachigkeit ist also der Normalfall und nicht die Ausnahme.
Die mehrsprachige PLUS: Potenziale
Viele Studierende an der PLUS (2022/23: rund 14 %) kommen aus Ländern, in denen Deutsch nicht Amtssprache ist. Die meisten davon haben eine oder mehrere andere Erstsprachen als Deutsch. Aber auch Studierende und Bediensteteder PLUS mit deutscher Erstsprache bringen ein vielfältiges mehrsprachiges Repertoire mit: durch den Fremdsprachenunterricht, weitere Erstsprachen oder Varietäten. Universitäten sind also mehrsprachige und mehrkulturelle Räume, die eine Vielzahl von Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten bieten. Sie leisten damit auch einen wichtigen Beitrag zur Internationalisierung vor Ort, denn nicht alle Studierende können oder wollen einen Auslandsaufenthalt während des Studiums absolvieren.
Gelebte Mehrsprachigkeit stellt aber auch ein großes Potenzial für die wissenschaftliche Praxis dar. Ein sprachenbewusster Umgang mit fachlichen Inhalten, der das gesamte sprachliche Repertoire der Beteiligten einbezieht, kann beispielsweise Bedeutungsnuancen von Begriffen und/oder andere Perspektiven aufzeigen und insgesamt ein differenziertes Verständnis von Konzepten und Fragestellungen bewirken. Außerdem werden dadurch wichtige Schlüsselkompetenzen und Einstellungen wie Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Offenheit und Toleranz gefördert. Universitäten bereiten so auf die Teilhabe an der mehrsprachigen Wissensgesellschaft vor.
Unterrichtssprache Deutsch bzw. Englisch
An der PLUS studieren mehr als 6.000 Studierende, die nicht aus Österreich stammen. Darunter sind mehr als 2.700, in denen Deutsch nicht Amtssprache ist. Sehr viele Studierende studieren also in ihrer Zweit- oder Drittsprache an der PLUS; die meisten davon in deutschsprachigen Studiengängen. Aber auch für Studierende in englischsprachigen Studiengängen spielt die Umgebungssprache Deutsch im (Studien-)Alltag eine wichtige Rolle.
Die PLUS bietet diesen Personen eine Reihe von Angeboten, die es ihnen ermöglichen, ihre allgemeinen und akademischen Sprachkompetenzen in den Sprachen Englisch und Deutsch auszubauen. Viele verfügen aber (noch) nicht über umfassende sprachliche Kompetenzen in der Umgebungssprache Deutsch bzw. in den Unterrichtssprachen Deutsch und Englisch. Dennoch müssen diese Personen von Beginn an komplexe Aufgaben auf Deutsch und/oder Englisch bewältigen.
Mehrsprachige Kommunikation
Eine gelingende mehrsprachige Kommunikation basiert zu einem großen Teil auf dem Prinzip der gegenseitigen Anpassung an die jeweilige Kommunikationssituation und an die Repertoires der Beteiligten. Wie diese Anpassungen aussehen, ist von vielen Faktoren abhängig: von den beteiligten Personen, dem sprachlichen und nichtsprachlichen Repertoire der Beteiligten, den Themen, davon, ob die Kommunikation schriftlich oder mündlich, in einem formellen oder informellen Kontext erfolgt. Sie sollte daher flexibel je nach Situation und Rahmenbedingungen gestaltet und gegebenenfalls adaptiert werden. Je nach sprachlichen Kompetenzen variieren die Strategien: Viele Menschen, die Deutsch nicht als Erstsprache haben, verstehen ab einem fortgeschrittenen Niveau sehr gut Deutsch und oft auch Umgangssprache oder Dialekt.
Dabei gilt: Eine gelingende Kommunikation basiert auf dem wechselseitigen Aushandeln von Bedeutung. Nichtverstehen oder Nichtverstandenwerden ist normal – auch Gespräche in der Erstsprache sind oft geprägt von Missverständnissen.
BEISPIELE AUS DER PRAXIS
Die mehrsprachige PLUS: Potenziale in der Lehre /Forschung
Für Studierende mit anderen Erstsprachen gilt: Die Erstsprachen spielen eine wichtige Rolle, wenn es um tiefergehende Verstehens- oder Bearbeitungsprozesse geht. Auch beim Entwickeln und Strukturieren von Ideen greifen Studierende auf ihre Erstsprache(n) zurück. Studierende mit anderen Erstsprachen sollen daher bewusst zum Verwenden ihrer Erstsprachen ermutigt werden.
- Mehrsprachige Praxen können gefördert werden, indem die Wahl der Sprachen in bestimmten Unterrichtsphasenfreigestellt wird. Lehrende könnenStudierende auch explizit dazu ermutigen, andere Sprachen als Deutsch oder Englisch zu verwenden und ihr gesamtes sprachliches Repertoire zu verwenden („Translanguaging“). Dabei kann zwischen Sprachen gewechselt werden, Sprachen können gemischt werden etc.
- In Lehrveranstaltungen können bewusst Phasen eingebaut werden, in denen die Studierenden die Inhalte für sich in ihrer bevorzugten Sprache zusammenfassen oder sich mit Mitstudierenden in (einer) gemeinsam beherrschten Sprache(n) austauschen.
- Studierende können Texte in anderen Sprachen bearbeiten und die Inhalte den anderen zur Verfügung stellen.
- Studierende wie Mitarbeitende können ihr mehrsprachiges Repertoire einbringen, um z. B. unterschiedliche Bedeutungen oder Bedeutungsnuancen von Konzepten aufzuzeigen (insbesondere auch in Nicht-Sprachenfächern).
- Unterlagen/Handouts können mehrsprachig gestaltet werden: Z. B. können Präsentationen oder Handouts in einer anderen Sprache gestaltet werden als der Vortrag – wie das auch auf vielen internationalen Konferenzen häufig praktiziert wird.
- Auch Publikationen können mehrsprachig gestaltet werden: Z. B. werden vielfach Abstracts in anderen/mehreren Sprachen verlangt. Auch Sammelbände mit Artikeln in mehreren Sprachen sind übliche Praxis.
- Definitionen und Konzepte können in mehreren Sprachen analysiert und Bedeutungsunterschiede herausgearbeitet werden.
- In Besprechungen kann/können die Arbeitssprache/n vorweg festgelegt werden.
Beispiele für Strategien der mehrsprachigen Kommunikation:
- Verwenden einer gemeinsamen Sprache/von gemeinsamen Sprachen, die vorher festgelegt wurde/n (Linguafranca)
- Sprachen verwenden, in denen die andere(n) Person(en) über rezeptive Kompetenzen verfügt/verfügen. Z. B. ist die Kommunikation innerhalb von Sprachgruppen (romanische, slawische, germanische Sprachgruppe) vielfach möglich, wenn die Beteiligten über entsprechende Kompetenzen verfügen und ihre Kommunikation anpassen.
- Wechseln in eine andere Sprache/in andere Sprachen
- Generell können Sprachen flexibel verwendet und gemischt werden. In der schriftlichen Kommunikation, bei der es eingrößeres Zeitfenster für die Reaktion gibt und auch entsprechende Hilfsmittel für Übersetzungen zur Verfügung stehen, können sich die Beteiligten darauf einigen, dass die Kommunikation mehrsprachig erfolgt, indem z. B. eine Person in einer Sprache, eine andere in einer anderen Sprache schreibt.
- Wichtige Informationen und Dokumente können, möglichst verständlich und strukturiert aufbereitet, in anderen Sprachen zur Verfügung gestellt werden.
- Andere Personen können übersetzen bzw. die Inhaltevermitteln (Sprachmittlung).
- Digitale Hilfsmittel (Übersetzungstools) verwenden
- Bei elementaren Sprachkenntnissen (falls keine gemeinsame Sprache zur Verfügung steht und es keine Möglichkeiten zur Vermittlung gibt) sollte die Produktionentsprechend angepasst werden:
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- Sprechtempo reduzieren, deutlich sprechen, Standardsprache verwenden
- Internationale Wörter bzw. möglichst konkrete Ausdrücke verwenden
- Einfachere Strukturen verwenden (z. B. keineverschachtelten Nebensätze)
- Wichtige Inhalte hervorheben, wiederholen, paraphrasieren
- Nonverbale Strategien verwenden (Gestik, wichtige Informationen aufschreiben, zeigen, …)
- Verstehen durch Nachfragen absichern bzw. auf Signale des Nichtverstehens achten
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Es gilt:
- Lauter sprechen ist in den wenigsten Fällen hilfreich; im Gegenteil, sehr leicht kann hier der Eindruck einer Abwertung entstehen.
- Auch eine ungrammatische Sprechweise (z. B. das Verwenden von Infinitiven) ist nicht verständnisfördernd, sondern kann als Ausdruck hierarchischer Überlegenheit interpretiert werden.
- In dieselbe Kategorie fällt das spontane Duzen des Gegenübers im Deutschen
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Literaturnachweise
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Weitere Sprachleitfäden
› Lange, U. (o. J.). Mehrsprachigkeit in der Fachlehre als Ressource nutzen. Lehre laden – Downloadcenter für inspirierte Lehre. Abgerufen 20. Jänner 2023, von dbs-lin.ruhr-uni-bochum.de/lehreladen/lehrformate-methoden/mehrsprachigkeit-in-derfachlehre-als-ressource-nutzen
› unei-Nheitlich, Mucke, M., Adlwarth, A., & Hauke, M. (2021). Wie wir über uns und andere sprechen: Geschlechter- und diversitätssensibles Sprachhandeln. Tipps & Tricks für Universität, Alltag und Beruf (Universitätszentrum für Frauen– und Geschlechterstudien & der Universität Klagenfurt, Hrsg.). www.aau.at/wp-content/uploads/2021/04/Sprachhandeln_Broschuere_uzfg_2021.pdf