Robert Hummer (Pädagogische Hochschule Salzburg)
Dissertationsprojekt am Fachbereich für Geschichte der Universität Salzburg unter wiss. Betreuung von Univ.-Prof. Dr. Christoph Kühberger (Erstbetreuer) und Univ.-Ass. Priv.-Doz. MMag. Dr. Heinrich Ammerer (Zweitbetreuer) mit dem Arbeitstitel
Wie kontrovers soll Politische Bildung sein? Fachspezifische teachers’ beliefs von Politiklehrkräften in Österreich am Beispiel des Umgangs mit Kontroversität in der Politischen Bildung
Fachspezifischen teachers’ beliefs kommt im Kontext der Lehrer*innen-Professionalitätsforschung seit einigen Jahren erhöhte Aufmerksamkeit zu (z.B. Baumert & Kunter, 2006; Nitsche, 2019; Oberle, Weschenfelder & Weißeno, 2014; Weißeno, 2021). Beliefs können sowohl den Umgang mit dem eigenen Fach als auch die Gestaltung von Fachunterricht maßgeblich beeinflussen. Nach Nitsche (2019) handelt es sich bei ihnen um individuelle Konstrukte, die sich auf mehrere Aspekte beziehen können, subjektiv als wahr betrachtet werden und nicht zwingend bewusst sein müssen. In ihnen reichern sich z.B. Vorstellungen darüber an, wie fachspezifische Erkenntnis entsteht, was Lernen und Lehren im Fach ausmacht und wie beides im Klassenzimmer realisierbar ist.
Ziel des Projekts ist es, evidenzbasierte Einsichten in fachspezifische teachers’ beliefs von Politiklehrkräften in Österreich zum unterrichtlichen Umgang mit politischer Kontroversität zu gewinnen. Damit bettet sich das Projekt in den internationalen Diskurs zu Fragen des angemessenen Umgangs mit kontroversen Inhalten im Politik- bzw. Civic-Education-Unterricht ein (z.B. Ferreira & Bombardelli, 2016; Hess, 2009; Hess & McAvoy, 2015; Strandbrink, 2017).
Das Projekt setzt in demokratietheoretischer Hinsicht Kontroversität als zentrales Strukturmerkmal von Politik voraus (Pelinka & Varwick, 2010) und orientiert sich an politikdidaktischen Theoriekonzepten, die dem kontroversen politischen Denken eine zentrale Rolle einräumen (z.B. Autorengruppe, 2017; Petrik, 2013; Reinhardt, 2018). Als theoretischer Bezugsrahmen für die Erforschung fachspezifischer beliefs wird das PKP-Modell (Oberle, Weißeno & Weschenfelder, 2012) herangezogen, das Wissen, beliefs und motivationale Orientierungen als interdependente Teilaspekte von Politiklehrer*innen-Kompetenz erfasst.
Weitere theoretische Bezugspunkte sind jene politikdidaktischen Prozess- und Professionsstandards, die in Hinblick auf den unterrichtlichen Umgang mit Kontroversität als relevant zu erachten sind, allen voran das Kontroversitätsprinzip (z.B. Reinhardt, 2018) sowie der „Beutelsbacher Konsens“ (ursprünglich Wehling, 1977). Diese stecken im gegebenen Kontext den groben Bezugsrahmen für professionelles Unterrichtshandeln ab, sind aber keineswegs in allen Belangen eindeutig (May, 2016) und tragen zu Praxisproblemen bei (Weißeno, 2017). Befunde aus Deutschland deuten darauf hin, dass hinsichtlich der praktischen Implikationen des „Beutelsbacher Konsens“ innerhalb der Lehrerschaft erhebliche Missverständnisse bestehen (Oberle, Ivens & Leunig, 2018). Deren spezifische Erforschung stellt allerdings ein Desiderat dar.
An dieser Problematik möchte das Projekt ansetzen. Die Datenerhebung erfolgt im Rahmen von qualitativen Interviews mit praktizierenden Politiklehrkräften, die es dann inhaltsanalytisch auszuwerten gilt. Die Interviews sind als semistrukturierte Einzelinterviews ausgelegt und zielen auf episodische Erzählungen aus der eigenen Unterrichtspraxis ab, die idealtypisch mit generalisierenden beliefs angereichert werden – etwa zum spezifischen Charakter des Faches und daraus abgeleiteter Erfordernisse, zum Verlauf der Grenzen des Kontroversitätsprinzips in Hinblick auf extremistische Positionen oder zum angemessenen Umgang mit der eigenen politischen Haltung in der pädagogischen Situation.
Ziel ist es, eine Typologie an fachspezifischen beliefs zu entwickeln, die erste grundlegende Einsichten in den Überzeugungsbestand von Politiklehrkräften zur kontroversen Gegenstandsstruktur und damit verbundener fachdidaktischer Herausforderungen ermöglicht und gleichsam weiterführenden Forschungen zugrunde gelegt werden kann. In Anbetracht der „verspäteten“ Professionalisierung der Politischen Bildung in Österreich (Sander, 2017) soll damit ein evidenzbasierten Beitrag zu ihrer Weiterentwicklung geleistet werden.
Bisherige Dissemination von Projektergebnissen (Stand: 12/2021):
- Hummer, R. & Mörwald, S. (2020). Wer soll politisch mitbestimmen dürfen? Teilhaberechte als Gegenstand politischen Lernens. In Forum Politische Bildung (Hrsg.), Informationen zur Politischen Bildung 46/2020, S. 52–63.
- Buchberger, W., Hummer, R., Langeder-Höll, K. & Summerer, D. (2020, Mai). Wertevermittlung am Beispiel Frieden: Reflexion oder Überwältigung? Audio-Podcast im Rahmen der eAktionstage Politische Bildung 2020.
- Hummer, R. (2021). Jenseits des Kontroversitätsgebots? Zum Umgang mit klimawandelskeptischen und –leugnenden Positionen in der schulischen Politischen Bildung in Österreich. In K. Stainer-Hämmerle (Hrsg.), Glaube – Klima – Hoffnung. Religion und Klimawandel als Herausforderungen für die politische Bildung (S. 60–72). Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag.
- Hummer, R. (2021, Oktober): Kontroversität und Rationalität – Prinzipien für einen angemessenen Umgang mit Verschwörungslegenden in der Politischen Bildung. Vortrag gehalten im Rahmen der 12. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Politische Bildung (IGPB), Arbeiterkammer Wien.