Melanie Holztratner 

FRÜHE KINDHEIT(EN). PRAXEOLOGISCHE ANALYSEN ZUR HERVORBRINGUNG ‚FRÜHER KINDHEIT(EN)‘ IM KONTEXT FRÜHPÄDAGOGISCHER INSTITUTIONEN (Arbeitstitel)

Im Rahmen des Promotionsprojekts wird der Versuch einer praxeologischen Annäherung an bzw. Rekonstruktion von ‚frühe(n) Kindheit(en)‘ unternommen. Dabei werden insbesondere konkret-empirische Prozesse und Praktiken in den Blick genommen, in denen (junge) Kinder ‚frühe Kindheit(en)‘ (mit-) hervorbringen, sie (mit-) gestalten und (mit-)konstruieren – unter Berücksichtigung von Prozessen des ‚generationings‘. 

Ausgehend von den Thesen, dass (auch) die Aushandlung und die Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen zur Ausbildung von je unterschiedlichen Kindheitsräumen führen, dass Institutionen früher Kindheit als ausdifferenzierte gesellschaftliche Räume der frühen Kindheit verstanden werden können, dass sich in diesen Einrichtungen permanent Prozesse der Hervorbringung von früher Kindheit und Erwachsenheit vollziehen und (junge) Kinder (sowie Erwachsene) gefordert sind, diese frühen Kindheitsräume (mit-) zu gestalten (Mierendorff, 2014), wurde für das Dissertationsprojekt eine Institution früher Kindheit (konkret: der ‚Kindergarten‘) – als ausdifferenzierter, empirischer Ort der (frühen) Kindheit, und damit auch als Ort der Forschung – festgelegt. 

Ausgehend von der Annahme, dass Kinder innerhalb einer ‚generationalen Ordnung‘ (Alanen, 2005; Kelle, 2005) bzw. ‚generationierenden Ordnung‘ (Honig, 2018) als Akteur_innen gefasst werden können, welche „in ihrem Handeln und in der Ausgestaltung von Beziehungen, an ihrer Selbst-Werdung und der Gestaltung von Welt beteiligt sind“ (Nentwig-Gesemann & Großmaß, 2017, S. 210), bedarf es auch im Rahmen der Kindheitsforschung eines angemessenen Zugangs, der sie als Akteur_innen im sozialen Feld achtet. Wie bereits angedeutet, versucht sich das Promotionsprojekt am Einnehmen einer praxeologischen (bzw. praxeologisch-wissenssoziologischen) Perspektive, welche einen Zugriff auf Praktiken der Hervorbringung (in situ) ermöglicht, respektive deren Rekonstruktion mittels Dokumentarischer Methode.

Methodische Umsetzung

Im Rahmen ethnografischer Erhebungen wurden teilnehmende Beobachtungen in drei österreichischen Kindergärten mit heterogenen Rahmenbedingungen (hinsichtlich Standort, Größe, Personalausstattung, Trägerschaft, pädagogisches Konzept) durchgeführt. Insgesamt wurden 25 Tage (ca. 70 Stunden) im Feld verbracht (10/2019-02/2020). Die teilnehmenden Beobachtungen wurden mit unterschiedlichen qualitativ-rekonstruktiven Erhebungsformen kombiniert, welche sich an sprachlichen, visuellen und körperlichen Aneignungs- und Ausdrucksformen orientieren (Nentwig-Gesemann, 2013; Schulz, 2018) und möglichst flexibel in Spielprozesse eingelagert werden sollten, um (junge) Kinder, als Akteur_innen ihrer Lebens- und Alltagswelten in den Blick nehmen zu können.  Der Datenkorpus umfasst schließlich Beobachtungsprotokolle, Interviews und Paarinterviews mit Kindern, Kinderzeichnungen sowie Fotos. 1 Nach der Erhebungsphase 2 wurde eine Auswahl für die Auswertung getroffen: So werden ausgewählte Beobachtungsprotokolle als Primärdaten zur Dokumentarischen Analyse herangezogen. Angedacht – aber noch nicht abschließend festgelegt – ist, dass eine Auswahl von Kinderzeichnungen und/oder Fotos, in Kombination mit „zugehörigen“ bzw. inhaltlich dichten Passagen aus den (Paar-)Interviews, zur Sättigung verwendet werden.

1 Ergänzung zu den visuellen Daten: Das gesamte Bildmaterial ist innerhalb der Interviews und Paarinterviews entstanden. Die (Paar-)InterviewSetting wurde so angelegt, dass Kindern möglichst hohe Partizipationsmöglichkeiten hinsichtlich der Gestaltung der Erhebungssituation (innerhalb eines vorgegebenen Rahmens) eröffnet werden sollten. So konnten sie wählen, ob sie ein Gespräch führen möchten, ob sie ein Bilderbuch ansehen und besprechen möchten, ob sie eine_mehrere Zeichnung_en anfertigen und/oder mit Lege- und Konstruktionsmaterial ‚spielen‘/‚etwas bauen‘ möchten.  

Für die Zeichnungen wurden unterschiedliche Papiere (weißes Tonpapier in den Formaten A3, A4 und A5) und verschiedene Malutensilien (Filzstifte, Farbstifte, wasservermalbare Farbstifte, Pinsel) zur Verfügung gestellt. Die Kinder wählten frei aus, mit welchen Materialien sie auf welche Art und Weise und ggf. in welcher Anzahl und Reihenfolge sie arbeiten wollten. Es gab keine Vorgaben oder Hinweise hinsichtlich der Motive oder Themen. 

Die Fotos bilden Bauwerke (großteils elementarpädagogische Einrichtungen) ab, die von den Kindern konstruiert wurden. Auch hier wurden Materialien zur Verfügung gestellt (Holzfiguren in unterschiedlichen Größen, Glassteine, Holzblöcke und –platten, Tücher in verschiedenen 

Farben und Materialien, Holzringe). Die Kinder wurden hier gebeten, einen ‚Kindergarten‘ zu bauen. Angedacht war dieses Konstruktionsangebot als Erzählanreiz bzw. auch als Möglichkeit, den ‚spielerischen Charakter‘ der (Paar-) Interviewsituation zu erreichen/aufrechtzuerhalten. Die Fotos wurden während und/oder nach dem Konstruktionsprozess angefertigt, zum Teil von den Kindern selbst, zum Teil von mir. Einige Bauwerke sind mehrmals, nämlich aus unterschiedlichen Perspektiven, abgebildet.

2 Aufgrund der aktuellen pandemischen Situation ist – entgegen dem Postulat zirkulären Vorgehens mit möglichst wechselnden Erhebungs- und Auswertungsphasen innerhalb des qualitativ-rekonstruktiven Paradigmas – davon auszugehen, dass im Rahmen des Dissertationsprojekts keine weiteren ethnografischen Erhebungen in frühpädagogischen Einrichtungen mehr durchgeführt werden können.

Literatur

Alanen, L. (2005). Kindheit als generationales Konzept. In H. Hengst & H. Zeiher (Hrsg.), Kindheit soziologisch (S. 65-82). Wiesbaden: VS.

Bohnsack, R., Hoffmann, N. F. & Nentwig-Gesemann, I. (Hrsg.). (2018). Typenbildung und Dokumentarische Methode. Forschungspraxis und methodologische Grundlagen. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich.  

Honig, M. (2018). Kindheit als praxeologisches Konzept. Von der generationalen Ordnung zu generationierenden Praktiken. In J. Budde, M. Bittner, A. Bossen & G. Rißler (Hrsg.), Konturen praxistheoretischer Erziehungswissenschaft (S. 193-209). Weinheim, Basel: Beltz Juventa. 

Kelle, H. (2005). Kinder und Erwachsene. Die Differenzierung von Generationen als kulturelle Praxis. In H. Hengst & H. Zeiher (Hrsg.), Kindheit soziologisch (S. 83-108). Wiesbaden: VS.

Mierendorff, J. (2014). Annäherungen von Kindergarten und Schule. Wandel früher Kindheit? In P. Cloos, K. Hauenschild, I. Pieper & M. Baader (Hrsg.), Elementar- und Primarpädagogik. Internationale Diskurse im Spannungsfeld von Institutionen und Ausbildungskonzepten (S. 23-37). Wiesbaden: Springer VS. 

Nentwig-Gesemann, I. (2013). Qualitative Methoden der Kindheitsforschung. In M. Stamm & D. Edelmann (Hrsg.), Handbuch frühkindliche Bildungsforschung (S. 759-770). Wiesbaden: Springer VS. 

Nentwig-Gesemann, I. & Großmaß, R. (2017). Kinder als Forschungssubjekte – von den rechtlichen und forschungsethischen Grundlagen zur forschungspraktischen Realisierung. In I. Nentwig-Gesemann & K. Fröhlich-Gildhoff (Hrsg.), Forschung in der Frühpädagogik X. Zehn Jahre frühpädagogische Forschung – Bilanzierungen und Reflexionen (S. 209-227). Freiburg: FEL. 

Schulz, M. (2018). Qualitative Forschung. In T. Schmidt & W. Smidt (Hrsg.), Empirische Forschung in der Pädagogik der frühen Kindheit (S. 23-40). Münster, New York: Waxmann.