Leben in der Krise: kreative Einblicke von Schüler:innen
FULICE ist ein internationales Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und der Salzburger Bildungslabore, in dem es um die „ Futures Literacy“ von Schüler:innen geht. Das Projekt wurde von den Projektleiter:innen Wassilios Baros und Ulrike Greiner mit Schulen in Österreich, Deutschland und Griechenland durchgeführt.
Die Schüler:innen bekamen im Forschungsprojekt FULICE folgende Aufgabe: Sie mussten sich ins Jahr 2080 hineinversetzen und erstens ihren Enkeln von der Corona-Krise im Jahr 2020 berichten und zweitens sich vorstellen, dass sie am Dachboden ein Bild aus dem Jahr 2020 gefunden haben, das Bild sollten sie zeichnen.
In Kooperation mit dem Museum der Moderne Salzburg ist daraus ein Ausstellungsprojekt entstanden, das die künstlerischen Werke der Schüler:innen zeigt. Das Ausstellungsprojekt kann noch bis zum 20. November 2022 im Museum der Moderne Salzburg (Rupertinum) besucht werden.
Wir haben mit der Leiterin der Kunstvermittlung des Museum der Moderne Salzburg Mirabelle Spreckelsen-Csar über das Projekt gesprochen gesprochen. Sowie mit dem Projektleiter, Wassilos Baros.
Frau Spreckelsen-Csar im Gespräch über FULICE
Was ist das Besondere für Sie am Ausstellungsprojekt FULICE?
„Dass bei diesem Ausstellungsprojekt die Kinder selbst die Künstler:innen sind, deren Werke gezeigt werden. Normalerweise stellen wir ja zeitgenössische Künstler:innen aus und versuchen hier Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu ermöglichen. Bei FULICE haben wir eine Vielfalt an Werken und Perspektiven von jungen Menschen, da so viele Schulen und Schulstufen beteiligt waren. Das Thema Corona berührt uns ja alle und es ist schön, das alles nun durch die Augen von Kindern zu sehen. Wir sehen das Thema hier durch eine ganz bestimmte Linse.“
Welche Rolle spielen Schüler:innen in diesem Ausstellungsprojekt?
„Wir sehen die Blicke der Schüler:innen auf ein kollektives Erleben. Es war schön zu sehen, dass die Schüler:innen sehr stolz auf ihre Werke sind und es war ihnen auch sehr wichtig, dass ihre Perspektiven gesehen wurden und dass darüber gesprochen wurde. Für unser Museum hatte es auch einen Lerneffekt: Wir verfolgen wieder die Idee der Kinderausstellung, wie schon früher im Rupertinum zu sehen war.“
Das Projekt, das hier gezeigt wird, baut auf der Idee der „Futures Literacy“ auf. Wo sehen Sie die Chancen der Kunstvermittlung, um die „Future Literacy“ von Schüler:innen zu fördern?
„In der Kunstvermittlung binden wir Schüler:innen aktiv mit ein. Wir fragen sie: Was hat das Thema oder das Werk mit dir zu tun? Was siehst du im Museum, was kannst du im Museum lernen. Und wir bieten die Möglichkeit, dass Kinder selbst kreativ sein können. Hier lernen sie, nicht nur lösungsorientiert zu denken und zu handeln, sondern prozessorientiert. Es geht darum, Dinge auszuprobieren. Kunst und Kreativität können uns dann bei Schwierigkeiten helfen. Kunst ist auch Kommunikationsmittel und ein Safe Space, in dem man Dinge ausprobieren kann – ohne dass etwas als richtig oder falsch bewertet wird.“
Sie haben beim Projekt mit der Uni Salzburg zusammengearbeitet: Worin sehen Sie das große Potential in der Zusammenarbeit mit anderen Orten der Bildung wie Universitäten?
„Das Spannende an unseren Kooperationen mit den Hochschulen wie der Paris Lodron Universität Salzburg, dem Mozarteum oder der PH Salzburg ist der Austausch und dass man sieht, dass alle zwar ein ähnliches Ziel verfolgen, wie Wissen zu bewahren, aufzuarbeiten, zu erforschen und zu vermitteln, aber alle machen das auf ihre eigene Art und Weise. Und so lernt man von den verschiedenen Herangehensweisen. Das Museum zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass wir uns an eine sehr breite Zielgruppe richten, die bei uns Kunst spüren, sehen und erfahren soll.“
An wen richtet sich die Kunstvermittlung genau?
„Unser Mission Statement ist: Kunst für alle, Museum für alle. Das bedeutet auch, dass wir auch barrierefreie Angebote haben. Wir arbeiten z.B. mit Menschen aus der Jugendpsychiatrie, aber auch mit Menschen mit Demenz. Und natürlich sind bei uns auch Touristen und ein sehr kunstaffines Publikum. Unsere Besucher:innen sind ganz unterschiedlich. In der Kunstvermittlung starten wir mit dem Kindergartenalter, wo wir sehr praktisch arbeiten und die Kinder Dinge ausprobieren können, später bieten wir dann auch klassische Führungen an, die auch dialogisch gestaltet sind.“
Welche Angebote haben Sie für Lehrer:innen oder auch für Student:innen?
„Wir bieten viele verschiedene Arten von Schulworkshops, sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, an. Für Lehrer:innen haben wir zurzeit auch eine Fortbildung in Black History zur Ausstellung des afrikanischen Fotografen Samuel Fosso. Für uns ist Kunst ein Impulsgeber und sollte so helfen, zusammenzukommen. Dafür haben wir ein regelmäßiges Meet and Greet, wo Lehrer:innen aus unterschiedlichen Fächern bei uns im Museum zusammenkommen. Student:innen kommen oft mit Lehrveranstaltungen zu uns, für sie können aber auch unsere praktischen Formate wie z.B. „Abendma(h)l“ besonders spannend sein.“
Herr Wassilos Baros im Gespräch über FULICE
Was war die Ausgangsidee für das Projekt FULICE?
„Die Idee dieses Projektes, welches Kollegin Ulrike Greiner und ich im März 2020 entworfen und gemeinsam mit unseren Mitarbeiter:innen realisiert haben, wurde ausgelöst durch eine Aufgabenstellung für eine Hausübung aus dem Bereich produktive Textkompetenzen des Deutschunterrichts einer vierten Klasse Grundschule in Salzburg. – Zu der Zeit als die Corona-Pandemie begann. Schüler:innen sollten sich in das Jahr 2080 versetzen und ihren fiktiven Enkelkindern über das Leben in der Zeit der Corona-Krise berichten. Die Schüler:innen wurden auch aufgefordert ein Bild zu malen. Daraus entstand ein Korpus von ca 800 Texten und über 100 Bildern – Bilder die von kollektiven Erinnerungen und Erfahrungen zeugen und uns Einsichten über bisher kaum bekannte Innenperspektiven der von der Corona-Krise massiv betroffenen Schüler:innen bieten. Wir haben Schulen von der Grundstufe und Sekundarstufe I aus vier europäischen Ländern eingeladen, mitzumachen.“
Welche Erkenntnisse nehmen Sie Ihre weitere Forschung aus dem Projekt mit?
„Durch innovative methodische Zugänge ist es uns gelungen, die subjektiven Erfahrungen von Schule und Lernen im Zusammenhang mit Aspekten des Lebensalltags der Kinder, der Familie, der Einschätzung der gesellschaftlichen Folgen der Krise sowie auch mit den von den Kindern selbst gesehenen Zukunftsperspektiven, zu betrachten und zu analysieren. Es war beeindruckend zu sehen, wie die Schüler:innen mittels der fiktiven Darstellung der Vergangenheit auch „Bilder“ der Zukunft entworfen haben – Bilder, die sowohl Utopien des gesellschaftlichen Zusammenlebens, aber auch Dystopien enthalten. Aus der gemeinsamen Reflexion dieser künstlerischen Werke der Kinder erhoffen wir, dass Prozesse einer kollektiven Bildung in Gang gesetzt werden und die Bedeutung des Miteinanders und der Solidarität eine neue Qualität erfährt. Daraus entsteht derzeit ein neues Projekt mit dem Titel „Kollektive Bildungsprozesse von SchülerInnen“ (KOBIS)“
Gibt es Momente, die Ihnen im Kooperationsprojekt mit den Schulen und Museum besonders in Erinnerung geblieben sind?
„Ja, das große Interesse von Eltern und Schüler:innen in Orten der Kunst, wie im Museum der Moderne Salzburg, wo gerade und bis zum 20.11 die Ausstellung stattfindet, ins Gespräch zu kommen, nachzudenken, Erfahrungen zu verarbeiten, sich zu sehen und sich gemeinsam zu erinnern und vielleicht weiter, sich Zukunft zu vorzustellen.“
Weitere Infos
Neben dem Ausstellungsprojekt sind zurzeit im Rupertinum noch die Ausstellungen „Cameron Jamie. Shaking Traces“ und „Medieninterventionen“ zu sehen. Für Erwachsene kostet das Ticket € 13,00, für Kinder und Jugendliche (6-19 Jahre) € 8,00. Studierende bis 26 zahlen € 10,00.
Weitere Infos findet ihr hier: https://www.museumdermoderne.at/
Photo Credits:
Portrait Spreckelsen-Csar: Museum der Moderne Salzburg
Gruppenfoto: Wassilios Baros