Psychologische Beratung für Studierende: Was beschäftigt uns?
Was beschäftigt uns Studierende gerade? Haben sich unsere Anliegen durch die aktuellen Krisen verändert und wie sollen wir damit umgehen? Im Interview mit Frau Dr. Freunberger-Rendl, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin und Leiterin der psychologischen Studierendenberatung Salzburg, habe ich genau diese Fragen gestellt.
Die psychologische Studierendenberatung Salzburg unterstützt kostenlos Studierende und Studieninteressierte mit psychologischen und psychotherapeutischen Methoden. Der Fokus dieser Beratungsstelle liegt auf der Verbesserung der Kompetenzen zur Bewältigung des Studiums, der Studienwahl und der studentischen Lebenssituation durch Hilfe zur Selbsthilfe.
Wie viele Studierende beraten Sie zurzeit circa? Sind es in den letzten Jahren (durch Covid, Klimakrise etc.) mehr geworden? Gibt es Peaks?
„Über ein Jahr (2021- 2022) gesehen sind es ca. 2.300 Studierende. Mit diesen 2.300 Studierenden haben wir ungefähr 6.000 Kontakte gehabt. Unter Kontakte verstehen wir die Einheiten, die wir durchgeführt haben. Phasenweise haben wir auch mehr Anfragen, aber wirklich mehr betreuen können wir nicht, weil wir keine Kapazitäten dafür haben. Aber es zeigt sich schon, dass die Anfragen gerade in Krisenzeiten mehr werden. Zu Beginn der Corona-Pandemie war es erst ein bisschen ruhiger, weil sich jeder zurückgezogen hat, dann ist es aber deutlich mehr geworden. Ob sich durch den Ukraine-Krieg mehr Leute gemeldet haben, kann ich nicht sagen, aber die Gesprächsthemen waren mehr auf den Krieg bezogen als zuvor. Die absolute Hochphase ist definitiv der November. Weniger los ist in der vorlesungsfreien Zeit, also im Sommer und Februar. Ansonsten ist es immer intensiv, aber am stärksten ist ganz klar der November. Grund für diesen Peak ist oft die Kombination aus: Studienbeginn und nahendem Winter, Stichwort ‚Winterdepression‘.“
Mit welchen Anliegen kommen Studierende aktuell zu Ihnen? Und wie gehen Sie bzw. Ihr Beratungsteam damit um?
„Zu Semesterbeginn kommen Studierende ganz speziell mit Stress und Unsicherheiten bezüglich des Studiums zu uns. Über das Semester hinweg beschäftigen wir uns meistens mit zu hohen Leistungsansprüchen an sich selbst und zu hohen Leistungsanforderungen im Studium. So entsteht oft Druck und Stress und das führt zu verschiedenen Arten von Symptomen. Zudem reden Studierende oft über starke Selbstzweifel, die höchstwahrscheinlich auf die hohen Leistungsanforderungen zurückzuführen sind. Ein großes Thema sind auch Anschlussschwierigkeiten, also wie lerne ich andere Studierende kennen. In der letzten Zeit gab es speziell das Problem: Ich war längere Zeit im Distance-Learning, wie lerne ich jetzt jemanden kennen, wenn ich zum ersten Mal an die Uni komme? Da treten häufig Ängste auf. Aber es kommen auch Studierende mit anderen Arten von psychischen Symptomen zu uns, wie zum Beispiel depressive Verstimmtheit mit Symptomen wie Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit.“
Wie kann man sich eine klassische „Beratung“ vorstellen?
„Zu Beginn macht man sich bei uns einen Termin für ein Erstgespräch aus. Je nach Andrang bekommt man innerhalb von 2-3 Wochen einen Termin. Dann wird man einer Psychologin zugeteilt, welche mit einem das erste Gespräch führt. In diesem ersten Gespräch, das 50 Minuten dauert, spricht man über seine Anliegen. Es wird evaluiert, warum komme ich zu einer Psychologin und was brauche ich? Manchmal werden dann bereits fünf weiter Termine angeboten, um die Anliegen ein bisschen klarer zu besprechen. Nach diesen Sitzungen wird von der jeweiligen Psychologin eine Einschätzung gemacht, ist das hier behandelbar oder müssen wir die Person woanders hinschicken. Wenn die Thematik einer längeren psychotherapeutischen Behandlung bedarf, übersteigt dies meistens unsere Kapazitäten. Denn wird eine große Anzahl an Studierenden psychotherapeutisch über Jahre begleitet, haben wir nicht mehr die Kapazitäten für neue Leute, das heißt es würden nur gezielt ein paar wenige Studierende eine Therapie bekommen und die anderen gar keine. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, dass wir alle Fälle annehmen, welche im Rahmen von maximal 20 Stunden behandelbar sind. Nach circa fünf Einheiten wird entschieden ob wir den Fall hier behandeln können oder ob er nach außen vermittelt wird. Bei dieser Kontaktvermittlung geben wir eine interne Liste aus, damit kann sich die Studentin oder der Student einen Psychotherapieplatz suchen. Hier informieren wir auch über die dabei entstehenden Kosten und vermitteln vorrangig an Psychotherapeut:innen, die den Studierenden mit dem Honorar entgegen kommen können.
Speziell bei unseren Beratungen schauen wir genau, was sind die Ziele für die jeweilige Studentin bzw. den Studenten, was möchten sie erreichen, was möchten sie verändern. Und dann versucht man gemeinsam an diesen Zielen zu arbeiten, mit psychologischer und psychotherapeutischer Unterstützung. Es handelt sich immer um ein gemeinsames Erarbeiten, das unterscheidet uns vielleicht ein bisschen von niedergelassenen Psychotherapeut:innen, die in dieser Hinsicht weniger Informationen geben.“
Haben sich die Ängste und Probleme der Studierenden durch die Covid-Pandemie, Klimakrise und Ukraine-Krieg verändert?
„Was ich wahrnehme ist, dass sich eine allgemeine Verunsicherung gebildet hat, sicherlich nicht nur bei Studierenden, sondern bei vielen jungen Menschen. Es kommt eine Krise nach der anderen und immer, wenn eine Krise sehr aktuell ist, beschäftigt das die Studierenden und somit verändern sich auch die Anliegen. Als der Ukraine-Krieg begonnen hat, gab es oft Fragen wie: Wie sicher ist mein Leben? Kommt es jetzt zu einem Krieg? Natürlich löst das gewisse Ängste aus, die in einem schlummern. Über die Zeit hinweg gelingt es den meisten sich immer wieder von diesen Themen zu distanzieren. Aber dadurch, dass sich die Krisen in letzter Zeit so häufen, muss es einem immer wieder gelingen sich zu distanzieren. Zudem geht das eigene Leben weiter und viele fühlen sich deswegen hilflos und grundsätzlich niedergeschlagen, weil in der Welt vieles so schiefläuft.“
Welche Tipps/Ratschläge geben Sie den Studierenden in solch ungewissen Zeiten?
„Ein Schlagwort ist sicherlich ‚Distanz‘. Auf der einen Seite geht es aber auch darum sich auf die stabilen Faktoren im eigenen Leben zu konzentrieren, darauf was einem Halt und Sicherheit gibt. Das kann die Familie sein oder der Freundeskreis, das kann aber auch eine Ausbildung sein. Auf der anderen Seite tut es manchmal gut sich für Hilfsprojekte zu engagieren, im Rahmen vom Ukraine-Krieg gab es anfangs zum Beispiel am Anfang ganz viele Angebote. Wer mithilft hat das Gefühl etwas tun zu können und fühlt sich nicht so machtlos. Wichtig ist aber, dass man nicht die Anspruchshaltung haben sollte, dass sich jede*r engagieren muss. Vielmehr geht es darum herauszufinden, wie finde ich einen Umgang damit der für mich richtig ist. Jedoch ist es trotzdem auch immer wichtig sich zu distanzieren. Nicht zu sagen, dass mich das alles nichts angeht, aber zu sagen: Ich kann nicht immer darüber nachdenken, das hilft mir nicht und den anderen auch nicht. Wichtig dabei ist, bewusst zu selektieren, welche Nachrichten ich mir anschaue und welche Informationen ich an mich heranlasse.“
Auf unsere mentale Gesundheit zu achten, entwickelt sich in letzter Zeit zu einem Social Media Trend. Was halten Sie von Tipps wie (viel Wasser trinken, spazieren gehen, Bücher lesen)? Hilft das wirklich? Und welche Tipps geben Sie bzw. Ihr Beratungsteam?
„Die mentale Gesundheit in den Fokus zu rücken ist sicher positiv. Bisher war sie immer der körperlichen Gesundheit untergeordnet, aber die beiden wirken zusammen, das ist schon lange bekannt. Sich mit seiner mentalen Gesundheit zu beschäftigen ist definitiv gut, so wie es wichtig ist, auf den eigenen Körper zu achten. Ich mache Sport, aber nur in einem Ausmaß, das mir guttut. Genauso sollte es auch bei der mentalen Gesundheit sein. Wenn es mir guttut, spazieren zu gehen oder Tee zu trinken, dann ist es eine gute Idee, solche Aktivitäten in den Alltag zu integrieren. Ein Zwang sollte daraus aber nicht werden. Sprich, dass man das Gefühl hat jeden Tag spazieren gehen oder Sport machen zu müssen und sich erst dann gut fühlen darf. Diese Art damit umzugehen, finde ich sehr kontraproduktiv. Spaziergänge sind schön und gut, aber sie helfen nicht bei allen Problemen. Wenn es Studierenden psychisch nicht gut geht, ist Tee trinken oder Tagebuch führen wahrscheinlich nicht ausreichend und dann braucht es manchmal eben Gespräche mit Freunden oder auch professionelle Hilfe um diese Themen wirklich zu behandeln und aufzulösen. Gespräche helfen oft dabei zu hinterfragen, woher das Problem kommt und wie sich so meine Verhaltensmuster erklären lassen.
Zudem merke ich in den Sozialen Medien den starken Drang nach Selbstoptimierung und dem Wunsch der perfekten Struktur. Aber ich denke wir müssen uns nicht ständig optimieren, denn wir sind gut so wie wir sind. Bei Mental Health Tipps kommt es oft so rüber, dass man dieses und jenes machen muss und nur dann darf es einem gut gehen, nur dann darf man zufrieden mit sich selbst sein, Stichwort ‚Optimierungswahn‘. Im Moment gibt es auch diesen ‚Clean life‘ Trend, wo man in der Früh schon den ersten Smoothie trinkt, den Arbeitsplatz immer komplett aufgeräumt hat, täglich Sport macht, früh ins Bett geht… Diesen Lifestyle hält niemand durch. Und dann ist man man enttäuscht, weil diese Struktur nicht funktioniert und es stellt sich auch die Frage, ob es einem mit so einem durchgeplanten Lebensstil wirklich gut geht. Es gehört so viel mehr zu einem erfüllten Leben, zum Beispiel soziale Kontakte zu pflegen. Es ist in Ordnung mal weniger zu schlafen, wenn man einen netten Abend hatte. Und ja, den Arbeitsplatz sollte man aufräumen, damit man besser lernen kann, aber man sollte nicht verzweifeln, wenn es mal nicht geklappt hat. Das Wichtigste ist die Balance zu finden, zwischen einer guten Struktur und Spontanität, damit auch Platz ist für Dinge, die nicht geplant wurden.“
Danke Frau Freunberger-Rendl, für das freundliche und informative Gespräch!
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Eure Alica
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