Der Fachbereich Altertumswissenschaften: Europa von seinen Wurzeln aus verstehen
Wenn wir nun von uralten Kulturschätzen, entfernten Entdeckungsreisen, Ausgrabungsstätten und Hutbedeckungen sprechen, woran denkt ihr dann? Indiana Jones vermutlich, oder? Nicht ganz. Wir sprechen von Altertumswissenschaften. Genauer gesagt vom Fachbereich Altertumswissenschaften an der Paris Lodron Universität Salzburg.
Von der archäologischen Untersuchung bronzezeitlicher, antiker oder auch mittelalterlicher Fundplätze über die Analyse lateinischer und griechischer Texte aus mehr als zwei Jahrtausenden bis zur Geschichte des Altertums gibt es am Fachbereich Altertumswissenschaften eine Fülle an Möglichkeiten, um den Wissensdurst der Studierenden zu stillen, wenn es um die Wurzeln der europäischen Kulturen geht. Welche Angebote euch in der alten Residenz von Salzburg, wo der Fachbereich angesiedelt ist, erwarten und wohin euch ein Studium an diesem Fachbereich führt, das haben wir im Interview mit Fachbereichsleiterin Univ.-Prof. Dr. Monika Frass (Alte Geschichte, Altertumskunde und Mykenologie), Univ.-Prof. Dr. Alexander Sokolicek (Klassische und Frühägäische Archäologie) und Assoz.-Prof. Mag. Dr. Gottfried Kreuz (Klassische Philologie) für euch herausgefunden.
Univ.-Prof. Dr. Monika Frass (Alte Geschichte), Univ.-Prof. Dr. Alexander Sokolicek (Klassische und Frühägäische Archäologie) und Assoz.-Prof. Mag. Dr. Gottfried Kreuz (Klassische Philologie)
Wie ist der Fachbereich Altertumswissenschaften aufgebaut?
Der Fachbereich gliedert sich in die Unterbereiche Klassische und frühägäische Archäologie, Alte Geschichte, Altertumskunde und Mykenologie, die Klassische Philologie mit ihren Zweigen Gräzistik und Latinistik, sowie die Jüdische Kulturgeschichte. Der Gräzistik ist außerdem die Klassische Rhetorik angegliedert, der Latinistik die Forschungseinrichtung CSEL. (Kreuz)
Das BA-Studium Altertumswissenschaften umfasst alle drei Unterbereiche, zwei davon schwerpunktmäßig; das Masterstudium sieht vor, Schwerpunkte zu setzen und aus einem der drei Unterbereiche eine Qualifikationsarbeit zu verfassen. (Sokolicek)
Was ist elementar für den Fachbereich? (wichtige Themenschwerpunkte)
Eine Art innerster Kern ist das Sammeln, Zugänglichmachen und Auswerten von Quellen zur materiellen und immateriellen Kultur der klassischen Antike mit dem Ziel, diese Kultur zu verstehen und ihr Weiterwirken zu beobachten. Der zeitliche Rahmen des Interesses erstreckt sich dabei aber weiter und bezieht sowohl die bronzezeitlichen Ursprünge der klassischen Mittelmeerkulturen ein als auch z.B. die mittelalterliche Archäologie und die lateinische Tradition bis in die lateinische Literatur der Neuzeit. Schwerpunkte sind dabei z.B. die Grabungsarchäologie, die in Ägina Kolonna eine Siedlung von der Bronzezeit bis in die byzantinische Zeit verfolgt; die antike Rhetorik als grundlegendes System menschlicher Kommunikation und sprachlicher Formung der menschlichen Existenz; ein länderübergeifendes Projekt zum Donaulimes als einem paradigmatischen Fall der Grenzziehung durch Europa; schließlich die Herausgabe der lateinischen christlichen Texte der Spätantike, also der Grundlagen des westlichen Christentums, im Rahmen des CSEL (Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum), das als internationaler ‚Goldstandard‘ für kritische Editionstechnik gilt. Gerade hier ergeben sich auch fast von selbst Brückenschläge zur Jüdischen Kulturgeschichte, etwa zu Fragen des interreligiösen theologischen Diskurses der Spätantike. (Kreuz)
Wie viele Studien bietet der Fachbereich an und für wen sind diese geeignet?
Am FB Altertumswissenschaften können erstens die Fachrichtungen Archäologie, Alte Geschichte und Latinistik bzw. Gräzistik studiert werden, gebündelt zunächst in einem fächerübergreifenden Bachelorstudium „Altertumswissenschaften“, dann vertieft und spezialisiert im MA „Antike Kulturen und Archäologien“, zu dem es für Latinistik und Gräzistik noch eine Parallele im Rahmen des MA „Literatur- und Kulturwissenschaften“ gibt. Zweitens gibt es das MA-Studium „Jüdische Kulturgeschichte“, das über das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte (ZJK) auch mit anderen Fachbereichen verknüpft ist. Drittens ist der Fachbereich auch am Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit (IZMF) beteiligt und leistet Beiträge zur Lehre der Studienergänzung „Mittelalterstudien“. Viertens ist die stark nachgefragte Studienergänzung „Klassische Rhetorik“ zu nennen, die vollständig am Fachbereich angesiedelt ist. Und schließlich betreibt der Fachbereich auch als einziger Anbieter im Lehramtscluster „Mitte“ die Lehramtsstudien Griechisch und Latein.
Gibt es Voraussetzungen für die Studienangebote?
Die Voraussetzungen sind die in der UBVO festgelegten Ergänzungsprüfungen in den Bachelorstudien, im Lehramt außerdem die Aufnahmeprüfung, und für die Masterstudien, wie überall, ein fachlich einigermaßen nahestehendes Bakkalaureat – wobei hier die Hürden absichtlich niedrig gehalten werden. Für Grabungsarchäologen ist natürlich außerdem eine gewisse körperliche Kondition von Bedeutung. (Kreuz)
Was ist das Besondere am Fachbereich Altertumswissenschaften? (in erster Linie aus Studierendensicht)
Ein Blick auf den Fachbereich aus Studierendensicht – StV-Mitglied Andreas Baldauf über die Studienatmosphäre
Es ist das Lernklima, welches an der Universität Salzburg womöglich einzigartig ist. Vorlesungen sind häufig immersive Dialoge und die gängigen Prüfungsformen sind Fachgespräche oder Essays. Diese besonders individuelle Art der Lehre ergibt sich aus der überschaubaren Anzahl Studierender.
Über den Hörsaal hinaus existiert ein familiäres Netzwerk. Es gibt am Fachbereich kaum bis gar keine namenlosen Gesichter. Erstsemestrige und Quereinsteiger werden aktiv integriert, sodass die Grenzen zwischen den zwischen Jahrgängen verschwimmen und man auch auf zwischenmenschlicher Ebene von einem Fachbereich sprechen kann.
Das sagen die Lehrenden
An ein und demselben Fachbereich die Gesamtheit der Antikenwissenschaften (Archäologie, Geschichte, Gräzistik, Latinistik, Judaistik) vorzufinden, mit organischen Erweiterungen zurück in die Bronzezeit und vorwärts in die Spätantike, das Mittelalter und die Neuzeit, ist keineswegs selbstverständlich und fördert einen ungewöhnlich ganzheitlichen Zugang auf die Antike auch im Studium. Dass man im Studium schon in Kontakt mit renommierten Forschungsprojekten wie den Grabungen in Griechenland oder dem CSEL kommen kann, erleichtert es, Zugang zur Welt der Wissenschaft zu finden. (Kreuz)
Für wen eignen sich die Studienangebote?
Grundsätzlich für jede Person, die Interesse für die klassische Antike bzw. die aus ihr gespeiste Geistesgeschichte mitbringt. (Kreuz, Sokolicek und Frass)
Abgusssammlung | Fachbereich Altertumswissenschaften
Welche zusätzlichen Angebote (Stichwort Exkursionen) oder Services gibt es für Studierende?
Natürlich gibt es jedes Jahr Exkursionen – für Archäolog*innen und Althistoriker*innen mit entsprechenden Schwerpunkten, für Lehramtsstudierende auch mit einem Fokus auf Museums- und (falls man das so sagen kann) Exkursionsdidaktik. Schließlich sollen ja auch die künftigen Lehrer*innen Exkursionen mit Schülern und Schülerinnen unternehmen können. Für die Archäolog*innen gibt es die Grabungen im Inland (provinzialrömische Archäologie) und im Ausland (derzeit in erster Linie Ägina Kolonna). Ein weiteres Service in Form eines studienbegleitenden Tutorensystems befindet sich gerade im Aufbau: Damit wollen wir jüngeren Studierenden den Weg durch das Studium erleichtern und erfahreneren die Möglichkeit geben, sich in der Vermittlung ihres Faches zu üben. (Kreuz)
Welche Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche erschließen sich durch einen Studienabschluss an diesem Fachbereich?
Im Lehramt (Latein und Griechisch) ist das natürlich primär der österreichische Schuldienst, derzeit mit guten Anstellungsaussichten. Der MA „Antike Kulturen und Archäologien“ mit archäologischem Schwerpunkt berechtigt offiziell zum selbständigen Graben, auch im Rahmen von Grabungsfirmen. Jedes unserer Masterstudien bzw. das weiterführende Doktoratsstudium befähigt zur wissenschaftlichen Tätigkeit auf dem fraglichen Gebiet, auch im Rahmen scheinbar fremder Disziplinen: Man denke nur daran, dass die meisten Forschungsprojekte, die sich mit irgendeinem Aspekt europäischer Kultur bis herauf in die Neuzeit befassen, mit lateinischen Quellen arbeiten müssen, d.h. die sprachliche Expertise in diesem Bereich benötigen – auch Isaac Newton und Johannes Kepler schrieben eben Latein. Und natürlich gibt es das weite Feld der Bibliotheken, der Museen und Ausstellungen, der Kulturvermittlung im Allgemeinen, das Bedarf nach Altertumswissenschaftler(inne)n hat. Wir sollten uns aber auch nicht darauf beschränken lassen, eine berufsbildende höhere Schule zu sein: Jedes Studium an einer Universität ist primär ein Studium eines hoffentlich interessanten Faches, und danach erst eine Berufsausbildung. (Kreuz)
Bibliothek | Fachbereich Altertumswissenschaften
Die Altertumswissenschaften sind eine dynamische Disziplin, d.h. dass ständig neue Betätigungsfelder erschlossen werden. Dies ist vor allem für disziplinenübergreifende Themenfelder relevant, die etwa Naturwissenschaften, Soziologie oder Bildwissenschaften miteinbeziehen kann. (Sokolicek)
Welche Forschungsgebiete gibt es am Fachbereich?
In der Klassischen Philologie: Die christliche Spätantike (CSEL), Dichtung der Flavischen Zeit, Geschichte der Fachdidaktik des österreichischen altsprachlichen Unterrichts (dazu läuft gerade ein Habilitationsprojekt), Literatur des 16. Jhdts. in Deutschland, klassische Rhetorik und Bildrhetorik, griechische Philosophie und antikes Theater. Griechische Philosophie und antikes Theater. (Sokolicek und Kreuz)
In der Archäologie: Die ägäische Bronzezeit (Ägina Kolonna); Textilproduktion; provinzialrömische Forschungen (v.a. im österreichischen Raum); Naturwissenschaftliche cross-studies zu Technologie, Wirtschaft/Handel, Archäobiologie und -zoologie; antike Architektur (v.a. Befestigungen, Wasserbauanlagen; römische Villen); Antike Stadt- und Landkultur im Mittelmeeraum und in den römischen Provinzen Raetien und Noricum. (Sokolicek)
Aegina Kolonna-Ausgrabungsstätte
Alte Geschichte: Mensch und Gesellschaft stehen im Mittelpunkt althistorischer Forschungsfragen, die sich auch in der breitgefächerten Lehre spiegeln. Mentalität und Verhaltensweisen sind dabei ebenso von Interesse, wie wirtschafts- und sozialgeschichtliche Themen. Der Zeithorizont reicht von der ägäischen Vor- und Frühgeschichte bis in die Spätantike. Zu den althistorischen Kernthemen zählen u.a. Untersuchungen zu historischen Persönlichkeiten und Identitäten in den diversen antiken Quellenkategorien, Genderstudien, sowie Arbeits- Lebenswelten in all ihren historischen Facetten und Ausdrucksformen. Darüber hinaus betrifft dies auch das bereits genannte länderübergeifende Projekt zum Donaulimes, bei welchem es um einen paradigmatischen Fall der Grenzziehung durch Europa geht. (Frass)
Inwiefern nutzt der Fachbereich die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung, welche Vorteile erschließen sich dadurch?
Abgesehen von der ganz banalen und extrem hilfreichen Nutzung von Datenbanken zu allen möglichen Recherchen: Das CSEL benützt z.B. standardmäßig eine in seinem unmittelbaren Umfeld entwickelte, für die Bedürfnisse kritischer Editionen maßgeschneiderte und extrem leistungsfähige Software (Classical Text Editor: CTE), ein Projekt zur digitalen Repräsentation des Flavierzeitlichen Roms (des aktualen und des textimmanenten) ist in Vorbereitung begriffen und wird vielleicht Bestandteil des CoE Virtual Materialities (VIRMA).
Aber es sei betont, dass Buchwissenschaften nie ohne Bücher arbeiten können: Das gilt für großformatige Tafelwerke und Pläne in der Archäologie, die auf einem Bildschirm gar nicht darstellbar wären, genauso wie für Texteditionen – niemand liest die zwölftausend Verse der Metamorphosen am PC, geschweige denn dass man fünf verschiedene kritische Ausgaben der Metamorphosen am Bildschirm nebeneinanderlegen und vergleichen (und evt. auch mit Bleistift annotieren) würde – dazu eignen sich andere Medien wie das sog. Buch (ein quaderförmiges Objekt aus Papier) besser. Auch die Dauerhaftigkeit der Datenspeicherung ist zu bedenken: Als klassischer Philolog greift man ohne weiteres einmal zu Sekundärliteratur z.B. aus dem siebzehnten Jahrhundert. Mindestens die gleiche Haltbarkeit und Weiterhin-Lesbarkeit muss aber auch für die Ergebnisse unserer eigenen Forschungen gewährleistet sein, sonst sind wir mit einem gravierenden Rückschritt konfrontiert. (Kreuz)
Im Bereich der Archäologien spielen digitale Technologien eine vielfältige Rolle, vor allem was die Digitalisierung analoger Archive (v.a. mittels scans, Datenbanken etc.) und Rekonstruktionen betrifft. Die ständige Weiterentwicklung fotografischer Techniken erleichtert auch die Aufnahme von Fundobjekten sowie von Architektur (v.a. für Orthofotos, 3D-Modelle aus structure-from-motion). Die Archäologie kooperiert also auch eng mit dem Fachbereich Z_GIS und anderen Forschungseinrichtungen der PLUS zur digitalen Erfassung der Grabungsräume (Fernerkundung; GIS; Geophysik). (Sokolicek)
Welche Pläne gibt es für den Fachbereich?
Die Vielfalt der verschiedenen Fächer, Ihre unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden zu bewahren und sichtbar zu machen, aber auch nach Möglichkeiten Interdisziplinarität und Kooperation im FB zu fördern. (Frass)
Im Bereich der Archäologien wird durch Kooperationen mit in- und ausländischen Universitäten und Forschungseinrichtungen die Vertiefung der vorhandenen Interessengebiete angestrebt, vor allem, was die Einbindung naturwissenschaftlicher Disziplinen betrifft. Dazu zählen die transdisziplinäre Erforschung von Gräbern im provinzialrömischen Raum oder die feingeologische Untersuchung der Stratigraphie (Abfolge von Sediment- und Kulturschichten) in Ägina Kolonna. Ferner wird die Erforschung des spätrömischen und byzantinischen Ägina Kolonna eine größere Rolle spielen. (Sokolicek)
Die klassische Rhetorik kooperiert zudem schon seit Jahren mit der Universität Tübingen und veranstaltet regelmäßig Gespräche zu diesem Thema (SaTüR). Regelmäßige gemeinsame Veranstaltungen (Tagungen) gibt es mit den Universitäten Graz und Innsbruck im Rahmen des Disstertanten- und Diplomandenkollegs AKMe. Die Philologie kooperiert außerdem mit den bayerischen Universitäten im Zuge der Volturnia, und mit den ungarischen Universitäten. (Kreuz)
Im Bereich der Archäologie findet eine Zusammenarbeit mit der Vet-Med. Wien (Archäozoologie) und der Universität von Thessaloniki (Archäobiologie) statt. Im Rahmen von Erasmusprogrammen sind es zahlreiche Universitäten in Italien, Griechenland, Türkei, Israel, Deutschland. (Sokolicek)
Neue Studienfächer sind derzeit keine geplant, wohl aber Adaptationen und Neujustierungen bestehender Curricula. (Kreuz)
Wie würden Sie den Fachbereich in einem Satz beschreiben?
Verstehen Europas von seinen Wurzeln her. (Kreuz)
Was gibt es noch?
Weitere Informationen zum Fachbereich, den dortigen Studienangeboten sowie Veranstaltungen und News rund um Altertumswissenschaften findet ihr jederzeit online. Darüber hinaus möchten wir euch auch noch auf weitere Blog-Artikel aufmerksam machen, die sich mit einzelnen Fachbereichen befassen: Materials matter – der Fachbereich Chemie und Physik der Materialien, Die Maschine kontrollieren: der Fachbereich Computerwissenschaften, Next Level Media Skills: der Fachbereich Kommunikationswissenschaft
Euer commUNIty-Redaktionsteam
Photo Credits:
Titelbild, Abgusssammlung, Fachbereichsbibliothek und Gottfried Kreuz: Kay Müller
Monika Frass: Privat
Alexander Sokolicek: Privat
Ausgrabungsstätte: Alexander Sokolicek