Lange Nacht der Forschung: smarte Materialien der Zukunft
Am 20. Mai 2022 findet die Lange Nacht der Forschung wieder in Präsenz statt, von 17.00 bis 23.00 Uhr können Besucher*innen an über 280 Ausstellungsorten in ganz Österreich bei freiem Eintritt Mitmach-Stationen entdecken, Vorträgen lauschen und bei Experimenten zuschauen. Auch die Paris Lodron Universität ist mit einem spannenden Programm bei der LNF vertreten, diesmal in der Großen Aula sowie der Katholisch-Theologischen Fakultät. Dazu gehören auch die beiden Stationen „Was sind die smarten Materialien der Zukunft“ sowie „Wie inspiriert die Natur die Materialforschung“. Wir haben mit den Standbetreuer*innen Dr. Caroline Ehgartner, Dr. Richard Kohns und Dipl.-Ing. Daniela Söllinger vom Fachbereich Chemie und Physik der Materialien gesprochen, um schon vorab mehr über dieses spannende und hochaktuelle Thema zu erfahren!
Knappe Ressourcen haben bei der Suche nach alternativen Hightech-Materialien eine Trendwende eingeläutet. Die Verwendung nachhaltiger Nanobausteine ist dabei besonders interessant. Entdeckt bei der langen Nacht der Forschung, wie Materialforscher*innen sich von der Natur inspirieren lassen: Wie sind Knochen aufgebaut? Wie kann man aus Sand Dämmstoffe oder aus Himbeersaft Solarzellen herstellen? Bei der LNF am 20. Mai erfahrt ihr es. Eine exklusive sneak preview in das Thema bekommt ihr aber schon jetzt.
Was versteht man unter dem Begriff „smart Materials“ bzw. von wo entspringt er und seit wann beschäftigt man sich damit?
„Unter smarten Materialien versteht man solche, welche kontrolliert und meist reversibel auf ihre Umgebung reagieren, indem sie ihre Eigenschaften durch äußere Einflüsse (z.B. mechanische Belastung, Temperatur, pH-Wert) verändern oder verstärken. Eine sehr eindeutige Abgrenzung, ab wann ein Material ,smart‘ ist, gibt es so aber nicht, wodurch viele Materialien als solche gelten können. Dadurch ist auch die zeitliche Einordnung eher schwierig, aber es kann definitiv behauptet werden, dass das Interesse an diesen Materialien mit dem 21. Jh. deutlich gestiegen ist.“
Welche Materialien haben das Potential, die Wirtschaft/die Bauindustrie/unser Leben in den kommenden Jahren grundlegend zu verändern und warum?
„Hier wäre eine Vielzahl an Materialien oder Stoffen zu nennen, wobei ,grundlegende Änderung‘ sehr subjektiv ist. Zum Beispiel wird umfangreich an smarten Kleidungsstücken geforscht. Kleidung, die sich selbst der Temperatur und Umgebung anpasst (wenn man anfängt zu schwitzen wird sie atmungsaktiv, wenn es regnet ist das Gegenteil der Fall). In der Bauindustrie wird versucht im Rahmen der Energiewende neue Wärmedämmmaterialien zu entwickeln. Diese würden viel effizienter, leichter und umweltverträglicher sein, als die bisherigen Standards.“
Smarte Materialien könnten künftig in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens einziehen, welche Bereiche sind das und gibt es da auch (forschungstechnische, lebensweltliche, soziale…) Grenzen?
„Bei smarten Materialien geht es maßgeblich darum unser Leben zu vereinfachen. Deswegen sollen sie natürlich allgegenwärtig sein, wie zum Beispiel die smarte Kleidung oder smarte Sensoren im Auto. Im Bereich Forschung und Entwicklung kommen sie sowieso zum Tragen, da sie dort viel erleichtern sollen. Selbstverständlich gibt es momentan Grenzen (z.B. besteht seit Jahren das Problem, dass große Mengen an Energie, die mittels Windräder oder Solarmodule erzeugt werden, nicht effizient gespeichert werden können und direkt verwendet werden müssen. Dadurch sind wir doch noch oft auf die ,alten‘ Energiequellen (Kohle, Öl, Nuklear) angewiesen). Aber da die Forschung ein stetiger Prozess ist, werden diese Grenzen angegangen und beseitigt oder verschoben.“
Warum sind diese Materialien ressourcenschonender und inwiefern sind sie nachhaltiger (überhaupt wenn sie dann wieder in Massen eingesetzt werden würden)?
„Es geht in der aktuellen Wissenschaft viel darum bereits vorhandene Materialien und Techniken, welche aus Umweltsicht nicht verträglich sind, durch eben umweltfreundlichere zu ersetzen oder vielleicht sogar welche zu verwenden, die es bereits in der Natur in einer ähnlichen Form gibt. Zum Beispiel wird (auch von uns) an der Wiedergewinnung von Metallen aus Lösungen geforscht. Unsere Materialien basieren dabei auf natürlichen Ressourcen, wodurch keine aus der Ölindustrie hergestellten synthetischen Stoffe verwendet werden bzw. diese so minimal wie nötig gehalten werden.“
Zusätzlich geht es auch darum Rohstoffe zu sparen oder solche heranzuziehen, welche vorher recycelt wurden, um die Nutzungsdauer des eigentlichen Stoffs zu verlängern. Recycling bzw. Upcycling ist ein riesiger Aspekt in diesem Forschungsgebiet. Können wir Materialien wiedergewinnen, müssen sie logischerweise nicht abgebaut werden, was der Umwelt sehr zu Gute kommt. Das wäre dann auch in der Massenproduktion denkbar, denn was am Ende alles eingespart wird, überwiegt dem Input an ,Umweltschädigung‘ bei Weitem.
Könnten mit den neuen Materialien auch potenzielle (irreversible) Gefahren/Risiken für den Menschen oder die Umwelt kommen, von denen man bis dato vielleicht noch nichts weiß?
„Natürlich wäre das denkbar. Neue Materialien besitzen neue Eigenschaften und diese ziehen auch neue Konsequenzen nach sich. Nichtsdestotrotz versucht die Wissenschaft das zu bedenken, denn aus früheren Fehlern lernt man doch noch am besten und genau das ist es was smarte Materialien in der Wissenschaft erbringen sollen – weniger Fehler. Deswegen ist die Forschung darum bemüht diese soweit es geht auszuschließen und im weiteren Sinn zu vermeiden, dass es zu Spätfolgen kommt, indem giftige/umweltschädliche Stoffe soweit es geht aus den Herstellungsverfahren verbannt werden.“
Könnten smarte Materialien nach derzeitigem Stand z.B. die „altbewährten“ Rohstoffe/Materialien wie Stahl, Energie jeder Art, Metalle, etc. irgendwann ersetzen oder dienen sie nur als Ergänzung?
„Aktuell wäre unser Standpunkt sicherlich, dass sie die ,Altbewährten‘ erstmal nur ergänzen. Aber auf lange Sicht wäre das durchaus denkbar, dass manche Materialien aufgrund ihrer Gefahr für Umwelt und Mensch oder aufgrund der Rohstoffknappheit vollumfänglich ersetzt werden können. Am Beispiel der Wärmedämmstoffe wäre es sicher denkbar, dass die neuen Materialien die alten, wie z.B. die Glaswolle, Steinwolle und ihre Ableger in ,Rente‘ schicken. Je nach Einsatzort und der Art der neuen Alternative wird es ein Mix aus Ergänzung und Ersetzen sein. In manchen Bereichen kann es auch sein, dass über Jahre keine umweltfreundliche Alternative eine gewisse Marktreife erreicht und diese alten Materialien deswegen Vorreiter bleiben. Es geht in der Forschung ja auch nicht nur darum neue, smarte Materialien zu erfinden/entwickeln, sondern diese auch wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen. Meistens verläuft es so, dass zuerst etwas Neues entwickelt wird und das dann über Jahre mit anderen und umweltfreundlicheren Ressourcen weiterentwickelt wird, bis es letztendlich wirklich in unserem Alltag einen Platz findet.“
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
PS: Alle, die noch nicht genug von smarten Materialien haben und mehr über die Materialwissenschaften wissen wollen, sollten den Blogartikel vom Fachbereich Chemie und Physik der Materialien an der Fakultät wir digitale und analytische Wissenschaften abchecken.
Photo Credits:
Titelbild: Kay Müller
LNF22: Lange Nacht der Forschung