Queere Kunst: ein Interview mit Kunsthistorikerin und PLUS-Alumna Martina Pohn


Frau steht vor Wand mit Regenbogen

Was ist queere Kunst? Und wie ist queere Kunst in unserer Gesellschaft und hier in Salzburg vertreten? Genau diese Fragen habe ich der Kunsthistorikerin Martina Pohn gestellt. Sie hat an der Paris Lodron Universität Salzburg Kunstgeschichte und Archäologie studiert und gibt uns heute einen kleinen Einblick in das komplexe Thema queere Kunst.

Nach ihrem Studium an der PLUS hat Martina Pohn ihren Weg in die Welt der Kunst mit einem Praktikum im Museum der Moderne Salzburg begonnen. Vor zweieinhalb Jahren bekam sie das Angebot die Galerie Haas & Gschwandtner in Salzburg zu leiten, in dieser Galerie hat sie bis Ende April 2022 gearbeitet.

Inwiefern haben Sie Bezug zu queerer Kunst?

Martina Pohn: „Es gibt Wissenschaftler:innen, die sich sehr intensiv mit queerer Kunst auseinandersetzen, ich bin durch meine Arbeit und meine Offenheit sehr früh dazu gekommen, weil ich Menschen generell einfach interessant finde und weil es mir egal ist, wer vor mir steht. Dadurch konnte ich in meinem Arbeitsbereich sehr früh schon Kontakte zu queeren Künstler:innen aufbauen. Ich glaube deswegen wurde ich auch für dieses Interview vorgeschlagen. An sich würde ich sagen, dass ich ein gutes fundiertes Fachwissen zu dieser Thematik habe. Jedoch denke ich, dass die Expert:innen schlussendlich immer die Leute sind, die queere Kunst selber machen.“

Galeristin Martina Pohn

Worum geht es bei queerer Kunst? Und wie grenzt sie sich von anderen Kunstformen ab?

Martina Pohn: „Sie grenzt sich definitiv von anderen Kunstformen ab, oftmals durch einen performativen Zugang und durch die Personen, die diese Kunst schaffen, also die Künstler:innen selber. Kunst greift in sehr viele Bereiche ein. Da wir uns bei diesem Interview eher auf die bildende Kunst konzentrieren, geht es um die Konstruktion und Dekonstruktion von gesellschaftlichen Normen und Werten. Und vor allem ist wichtig – die Abgrenzung besteht wirklich durch die Person, die die Kunst schafft. Queere Kunst wird oftmals, logischerweise, mit queeren Künstler:innen in Verbindung gebracht. Das bedeutet, dass kein cisgender heteronormativer Mensch, oder nur wenige, queere Kunst schaffen. Zudem geht es darum, Queerness zu einem Normalwert in unserer Gesellschaft werden zu lassen. Diese Diversität wiederzugeben und zu zeigen, dass es einfach viel mehr als das binäre Gedankengut gibt.“

Was sind die Visionen/Ziele queerer Kunstschaffender?

Martina Pohn: „Schon auch, Queerness in unserer Gesellschaft stärker zu etablieren beziehungsweise sichtbarer zu machen. Dies passiert in den letzten Jahren sehr stark durch viele engagierte Personen im Kunstbereich, Künstler:innen, aber eben auch Kurator*innen sowie Museumsdirektor:innen. Dabei würde ich sagen, dass der weibliche Anteil größer ist, der diese Themen in den öffentlichen oder auch musealen Bereich bringt.“

Kennen Sie eine Gallionsfigur in der queeren Künstlerszene in Österreich? Was macht die Person (in Ihren Augen) zu einer solchen?

Martina Pohn: „Ich würde sagen, es ist nicht eine Person, sondern es sind zwei. Zwei herausragende Kunstschaffende sind Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl. Sie hatten vor der Pandemie – 2019, ein riesengroßes Kunstwerk am Wiener Rathaus hängen, eine Fotografie einer lebendigen Installation von ihnen selbst. Zudem sind beide jetzt stark in der Planungsphase, weil sie Österreich bei der Biennale in Venedig vertreten werden. Beide sind seit vielen Jahren sehr sichtbar in der Salzburger Kulturszene. Internationale Personen, die damals vielleicht nicht als queer, sondern eher als exzentrisch betitelt wurden, waren wie eingangs erwähnt Andy Warhol oder Keith Haring. Beides Künstler, die sich um die AIDS-Bewegung gekümmert und sich in der Gay-Community in Amerika bewegt haben.“

Wo findet man in Salzburg Galerien/Ausstellungen, welche sich mit queerer Kunst beschäftigen?

Martina Pohn: „Von Anfang an war es immer der Salzburger Kunstverein, der auch Ausstellungen dazu gezeigt hat. Dann findet man verstreut und vereinzelt auch queere Künstler:innen in den einzelnen Galerien oder in Offspaces und in der Museumslandschaft. Zum Beispiel gab es im Museum der Moderne Salzburg unter der Leitung von Direktorin Sabine Breitwieser Gruppenausstellungen. Bei diesen Ausstellungen waren internationale Künstler:innen vertreten, wie zum Beispiel Felix Gonzales-Torres oder auch die Fotografin Nan Goldin, die schon viel in New York in den früheren Jahren fotografiert und fotodokumentarische Arbeiten geliefert hat. Sie hat auch den Aktivismus und die Aids-Bewegung dokumentiert.

Zudem gibt es die Sammlung Generali Foundation, die nun dem Museum der Moderne Salzburg angehört. Dort sind auch ganz viele Arbeiten von Künstler:innen ausgestellt, die diese Zeit der Aids-Bewegung dokumentiert haben.

Ach ja, es gibt auch ein queeres Museum in Wien, welches kurz vor der Pandemie eröffnet wurde.“

Warum glauben Sie, findet man so wenig zu queerer Kunst in der Geschichte?

Martina Pohn: „Ich würde sagen, queere Kunst gab es schon immer, aber das Wort „Queer“ ist erst seit den 90er Jahren in die Kunstszene mitaufgenommen worden. Außerdem glaube ich, dass die Community das Wort „Queer“ für sich eingenommen hat, weil queer eigentlich seltsam bedeutet, vielleicht vorher negativ bewertet war und jetzt zum Glück umgedeutet worden ist.

An sich gibt es im 21. Jahrhundert und in unserer jüngeren Vergangenheit in großen Metropolen queere Kunst schon sehr lange. Da hinkt Österreich oder möglicherweise Salzburg generell etwas nach. Ich würde sagen, in Salzburg ist die queere Szene eher mehr verstärkt politisch tätig als im Kunstbereich.

Wobei es hier auch genug queere Kunstschaffende gibt. Man muss das ganze Thema anders betrachten, ich glaube der Blickwinkel ist heute schlichtweg anders. Wenn man zurückschaut in die Kunstgeschichte, war queere Kunst und Queerness immer vertreten. Das heißt, wenn man sich die Literatur und die Kunstgeschichte ansieht, findet man immer Anhaltspunkte.

Die griechischen Mythen sind voll mit Göttern, die zweigeschlechtlich waren. Man findet in der Kunstgeschichte bei den Griechen und Römern die klassische Figur Apollo, der sowohl in Frauenkleidung als auch in männlicher oder androgyner Gestalt dargestellt wurde.

Zudem gab es in der Renaissance und auch in vielen anderen Epochen Zeiten, in denen die Menschen viel toleranter gegenüber anderen Geschlechtern waren, als sie es heute sind.

Und wenn man jetzt durch die Stadt geht, sieht man überall in Salzburg Plakate zu dem Theaterstück „Lili the Danish Girl“. Dabei geht es auch um eine queere Künstlerin – Lili Elbe – eine Dänin, die in den 1920er Jahren gelebt hat.

Aber auch hier in Österreich gibt es noch ein prominentes Beispiel, nämlich Conchita Wurst im musikalischen Bereich. Da kam es vielleicht schneller eher an die Öffentlichkeit.

Ich freue mich auf jeden Fall sehr für Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl, dass sie bald auf der Biennale sein werden, denn durch diese Veranstaltung dringt Queerness auch an die breitere Öffentlichkeit durch.“

Wo denken Sie, geht die Reise für queere Kunst hin? Wird es in der Zukunft mehr davon geben?

Martina Pohn: „Wenn man sich auf Österreich konzentriert, wird queere Kunst immer sichtbarer, besonders durch engagierte Kolleg:innen, die diesem Thema Aufmerksamkeit schenken, durch Kurator:innen, Direktor:innen, die ganz viele Kontakte knüpfen und ein großes Netzwerk haben und auch durch queere Künstler:innen, die an Universitäten und Akademien unterrichten. Und auf jeden Fall auch durch die junge Generation, die darüber spricht.“

Ich hoffe, euch hat das Interview gefallen und ihr konntet dadurch einen kleinen Einblick in das Thema queere Kunst gewinnen!

Eure Alica

 

 

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Titelbild:  Isi Parente auf Unsplash
Porträt Martina Pohn: wildbild