ORF-Journalist Tobias Pötzelsberger über Ibiza-Affäre, Studium, Salzburg und seine Band
Tobias Pötzelsberger absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft an der Universität Salzburg und ist heute Moderator und Journalist beim ORF. Sondersendungen über die Ibiza-Affäre im Mai 2019 verhalfen ihm zu einem hohen Bekanntheitsgrad. Im Café Wernbacher habe ich mich mit dem gebürtigen Oberösterreicher getroffen. Wie er die Zeit rund um den politischen Skandal wahrgenommen hat, was er im Studium für seine Karriere lernen konnte und warum er keinesfalls daran denkt abzuheben, liest du hier.
8:30 Uhr im Andräviertel in Salzburg. Das Rascheln gelb-bräunlich gefärbter Blätter am Gehweg verrät, dass es bereits Herbst ist. Der heutige Interview-Termin führt mich zum Café Wernbacher und ich merke erst jetzt, wie kalt es ist. Also schnell rein. Die Garderobe aus Altholz samt Hutablage versteckt sich hinter einem roten Samtvorhang. Das Café erinnert an ein Alt-Wiener Kaffeehaus. „Wir öffnen erst um neun“, lässt mich die Kellnerin wissen. Auch die Lampen an den Wänden und Tischen sind noch ausgeschaltet. Ich erkläre ihr den Grund, warum ich hier bin. „Der Tobi ist bei uns Stammgast“, sagt sie, während sie Vasen mit Blumen aus Plastik auf die kleinen, runden Holztische stellt. Ihre Mundwinkel bewegen sich nach oben, als würde man an einem Faden daran ziehen. „Ein ganz ein sympathischer“, fährt sie fort und lässt mich Platz nehmen. Ich schaue mich um: Eine breite Auswahl an Magazinen und Zeitungen, die auf Zeitungshaltern befestigt sind, liegen zum Lesen auf. Je weiter der Zeiger der Uhr nach oben wandert, desto mehr Gäste kommen herein. Ein alter Herr mit braunem Sakko und Halbglatze nimmt am Tisch neben mir Platz. „Einen Verlängerten, bitte“, bestellt er, während er mit seiner schwarzen Hornbrille die Zeitung von heute studiert. Es ist 9:00 Uhr, die Lichter werden aufgedreht und kurz darauf kommt Tobias Pötzelsberger mit schwarzer Sonnenbrille durch die Tür. Zur gegebenen Tageszeit bestellt auch er sich einen Kaffee, ehe wir mit dem Interview beginnen.
Die vergangenen Monate waren sehr ereignisreich und bedeutsam für Ihre Karriere. Wie haben Sie diese Zeit wahrgenommen?
„Ein bisschen im Zeitraffer. Dass meine Arbeit so geschätzt wurde, hat mir natürlich geschmeichelt. Es ist klar, dass einem sowas gut tut. Aus der Summe der Darstellungen zu meiner Person ergibt sich aber ein übertriebenes Bild. Ich bin froh, wenn den Zuseher*innen meine Arbeit gefällt. Ich bin Innenpolitikreporter und deswegen habe ich mir bei einem innenpolitischen Ereignis vergleichsweise leicht getan. Das war´s und ich bin weder ein Star, noch ein Heiliger, sondern ein normaler Journalist und Moderator, der versucht den bestmöglichen Job zu machen.“
Blicken wir etwas hinter die Kulissen. Wie kann man sich den Arbeitsalltag im Redaktionsbetrieb des ORF vorstellen?
„Das ist etwas schwierig zu beantworten, weil mein Arbeitsalltag zweigeteilt ist. Ich bin einerseits Moderator und andererseits Innenpolitikreporter. Spannender ist vielleicht letzteres. An einem „innenpolitischen Tag“ gibt es für alle um 10:00 Uhr eine große Redaktionssitzung. Da werden die Themen des Tages vorbesprochen und es wird einmal drauf los recherchiert. Der Tag wird durch weitere Redaktionssitzungen strukturiert. Um 14:00 Uhr gibt es eine, um 17:00 Uhr dann nochmal eine kleine Sitzung und nach der ZiB1 ebenfalls. So entwickelt sich der Tag ungefähr. Aufregend sind jedenfalls Tage, an denen man um 10:00 Uhr noch nicht weiß, was die Themen am Abend sind. Also Tage an denen „was passiert“. Es ist dann sehr spannend in einer der wichtigsten Redaktionen des Landes zu sein, zu sehen und zu spüren, wie sich das ganze Werk zu bewegen beginnt. Als Moderator wiederum beginnt der Tag oft sehr früh, mitunter um 05:30 Uhr, und das ist durchaus anstrengend, weil man sechs Sendungen moderiert. Es ist fordernd, aber super.“
Jahrhunderthochwasser, Finanzskandal, Ibiza-Affäre… über all das haben Sie bereits berichtet. Freuen Sie sich eigentlich schon auf die nächste Krise?
„Ich möchte natürlich niemals ein Krisengewinner sein, aber ich glaube bei einem Journalisten oder einer Journalistin gehört es dazu, dass man in der Krise und bei dramatischen Ereignissen einfach dabei ist. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn etwas Schlimmes passiert und man steht im Fernsehen im Rampenlicht, aber das ist das Wesen unseres Berufs. Ich bin natürlich gerne dabei, wenn etwas Aufregendes passiert. Ich denke, es gibt keinen Reporter, der nicht bei den großen Themen dabei sein möchte.“
Um Sie ist in den vergangenen Monaten ein regelrechter Hype entstanden, unter anderem mit dem Hashtag #pötziultras. In einem Interview haben Sie dann mal gesagt „Ich bin just another Fernseh – Moderator“ (TT 25.07.2019). Ist diese Bescheidenheit auch Ihr Credo?
„Sich etwas einzubilden oder gar abzuheben ist definitiv nicht nur kontraproduktiv, sondern auch hochgradig unsympathisch. Das allerwichtigste ist es, am Boden zu bleiben und seine Arbeit zu machen. Wir kennen außerdem die heutigen Dynamiken: Es geht rauf, aber wer hoch oben ist, hat auch eine hohe Fallhöhe. Man muss immer wieder damit rechnen, dass es auch nach unten gehen kann. Das kann wie eine Wellenbewegung sein. Das sollte man auch immer im Hinterkopf behalten. Außerdem muss man die Person im Fernsehen etwas von seiner Person trennen. Einen großen Teil dieser Wellenbewegung nach oben macht der ORF aus. Bescheidenheit ist nicht nur eine Zier, sondern wirklich mein Credo, weil ich nichts darauf gebe, arrogant zu werden. Journalismus ist meine Arbeit, mein Handwerk.“
Was macht die Faszination Fernsehen für Sie aus? Welche Veränderungen merkt man im Fernsehjournalismus? Sie sind ja doch schon länger beim ORF…
„In den nun 15 Jahren als Journalist ist jedenfalls alles viel schneller geworden. Das Smartphone oder Twitter haben den Journalismus revolutioniert. Die Tugenden sind aber dieselben geblieben. Ich bin lieber ein paar Minuten langsamer und dafür stimmt dann alles. Den Mittelweg zwischen der Schnelligkeit der modernen Medien und den klassischen journalistischen Tugenden zu finden, ist aber durchaus eine Herausforderung. Das Hauptcredo muss sein, dass es umfassend und korrekt ist. Dazu ist der ORF per Gesetz verpflichtet.“
War Ihr jetziger Beruf schon immer Ihr Traumberuf? Haben Sie schon als Kind ein Mikrofon in der Hand gehabt?
„Als Kind habe ich noch kein Mikro in der Hand gehalten, aber mit ca. 15 bis 16 Jahren hat sich bei mir der Wunsch herausgebildet. Ich habe damals im Theater etwas Bühnenluft schnuppern können. Auch beim Musizieren konnte ich erste Bühnenerfahrung sammeln. Vor anderen zu reden hat mich fasziniert und dann haben Freunde und ich von der Radiofabrik gehört, wo man das Medium ausprobieren kann und das hat viel Spaß gemacht. Dieses Feuer erlischt auch nicht. Man sieht bei erfahreneren Kolleg*innen, dass dieses Feuer weiterbrennt und das ist eine bestärkende Aussicht.“
Kommen wir zu Ihrer Studienzeit. Warum haben Sie sich als gebürtiger Oberösterreicher für ein Studium in Salzburg entschieden?
„Das waren vorwiegend geographische Gründe. Das südliche Innviertel, aus dem ich komme, ist nur 25 Minuten mit dem Auto von Salzburg entfernt. Außerdem gab es in Linz das Angebot der Politikwissenschaft nicht. Innsbruck und Wien waren mir zu weit weg, beziehungsweise war ich für Wien damals wohl auch nicht mutig genug. Ich bin durchaus sehr verbunden mit Salzburg, da waren damals auch alle meine Freund*innen und ich habe eine große Loyalität hier gespürt.“
Was aus Ihrem Studium Politikwissenschaft hilft Ihnen bis heute?
„Ich habe in in einer meiner ersten Vorlesungen mit Franz Fallend etwas gehört, was ich immer noch zitiere. „Politics is who gets what, when and how.“. Ich finde, dass diese Definition immer noch eine sehr gute Darstellung ist. Natürlich kann man sagen, dass das Studium sehr theoretisch ist, aber die Politikwissenschaft verbindet Historisches genauso mit der höheren Politik und nur wer diesen Unterbau hat, kann auch aktuelle Geschehnisse richtig verstehen und einordnen. Ich muss aber zugeben, dass ich zum Ende meiner studentischen Karriere eher Minimalstudent geworden bin, weil ich schon sehr viel gearbeitet habe.“
In welchen Lokalen fand man Sie an einem der „berüchtigten“ Studentenmittwoche?
„Auf jeden Fall im Schnaitl, weil dort mein bester Freund lange Zeit Kellner war und weil wir uns sonst durch seine Arbeit oft nicht treffen konnten. Da musste sozusagen der Berg zum Propheten kommen. Die belgische Bierbar hat dann auch gegen Ende meines Studiums aufgesperrt, aber ich glaube, ich war gar nicht so viel fort. Wenn, dann bin ich in Bars gegangen, in Clubs war ich in Salzburg nie. Das hat mich nie wirklich gereizt. In Kaffeehäuser ging ich und geh ich nach wie vor gerne.“
Was war das verrückteste bzw. außergewöhnlichste Erlebnis Ihrer Studienzeit?
„Ich kann mich an ein paar durchaus interessante Feste der Kommunikationswissenschaft erinnern. Besonders habe ich ein bis zwei Partys im Gebäude am Rudolfskai im Gedächtnis, wo wirklich überall geraucht worden ist. Das Kellergeschoß war dann meistens völlig vernebelt und ich habe mich immer gefragt, warum das erlaubt ist. Auf jeden Fall waren das etwas wildere Feiern nach dem Motto „Wir brechen jetzt die Regeln“. Der Boden hat geklebt und es war wirklich grauslich. Danach hatte ich immer etwas Mitleid mit dem Putzpersonal.“
Kommen wir jetzt noch zu Ihren musikalischen Ambitionen. Gibt es Ihre Band „The More or the Less“ noch und wie ist sie damals entstanden?
„Ich war davor in einer anderen Band gemeinsam mit der nun relativ bekannten Sängerin Lylit. Das hat sich dann aber leider nach ein paar Jahren aufgehört. Ich wollte aber weiter Musik machen und schrieb eigene Lieder. Ich habe mir diesen etwas komischen Namen ausgedacht, weil ich im Wörterbuch nachgeschaut habe und bewusst eine Redewendung verunstalten wollte. Dann habe ich „more or less“ hergenommen und zwei „the“ eingefügt. War im Nachhinein vielleicht nicht die beste Idee, aber egal. Die Band gibt es noch und ich habe wieder zehn bis zwölf Lieder geschrieben. Aktuell bin ich am ausarrangieren und aufnehmen und plane für Herbst 2020 Konzerte.“
Was können Sie Leser*innen des CommUNIty-Blogs, die eine Laufbahn als Journalist*in anstreben, mit auf den Weg geben?
„Große Neugier und große Hartnäckigkeit ist eine Grundvoraussetzung. Es muss einem aber auch bewusst sein, dass das ein Beruf ist, der Begriffe, wie work-life-balance mitunter ausschließt. Journalismus ist nicht nur Beruf, sondern auch Berufung und hört nie auf. Wenn man nach der Arbeit nach Hause geht, muss man trotzdem abends die ZiB schauen oder das Abendjournal hören und in der Früh das Morgenjournal. Als zum Beispiel die Geschichte mit Ibiza öffentlich geworden ist, war meine Kollegin Simone Stribl gerade im Kaffeehaus und ich habe mir im Gasthaus ein Bier bestellt. Da sind wir dann ausgerückt. Das zeigt, dass man auch eine höhere Grundbereitschaft haben muss, in die Arbeit zu gehen. Es ist aber auch ein sehr schöner Beruf. Man sollte die deutsche Sprache perfekt beherrschen und vielleicht auch mal etwas von Wolf Schneider lesen, der ein paar sehr gute Bücher zur Anwendung der Sprache geschrieben hat. Ich predige immer, dass man möglichst einfach und klar schreiben und nicht so viele Nebensätze produzieren sollte.“
Jetzt wollen wir, angelehnt an Ihre Minifragen bei den Sommergesprächen, noch einen kurzen Wordrap mit Ihnen durchführen.
Bier oder Wein?
„Bier.“
In Salzburg: Entspannen am See oder chillen an der Salzach?
„Am See. Am Mattsee, genauer gesagt.“
Auf der Uni: Prüfung oder Seminararbeit?
„Seminararbeit.“
Rockhouse oder Rupertikirtag?
„Unbedingt Rockhouse.“
Salzburg oder Wien?
„Schwierige Frage. Da kann ich mich nicht festlegen, da ich derzeit das Privileg habe in beiden Städten zu wohnen.“
Zeitung oder Social Media?
„Zeitung.“
„The More or the Less“: less or more of it?
„More of it, ich weiß aber nicht, wie das die Zuhörer sehen.“
Schnitzel oder Buddhabowl?
„Im Zweifel Schnitzel.“
Euer Christian