Kriminal- und Rechtspsychologie – Im Kopf des Täters
Abends vor dem Fernseher mit einer Packung Chips oder Popcorn führen wir uns gerne Krimiserien zu Gemüte. Egal ob jung oder alt – die Faszination für Gewaltverbrechen und deren Aufklärung ist seit jeher ein beliebtes Thema in Literatur und Film. An der Universität Salzburg kann man in den Lehrveranstaltungen des Interfakultären Fachbereichs Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie ein Stückchen reales „Krimi-Gefühl“ erleben. Besonders interessant zeigt sich dahingehend das Thema Kriminalpsychologie.
Neben eher medizinischen Kursen wie Gerichtsmedizin und -chemie, in denen es unter anderem um die Ermittlung der Todesursache und des Todeszeitpunktes geht, gibt es auch Lehrveranstaltungen, die die psychologischen und rechtlichen Aspekte von Täter*innen behandeln. Die Kriminalpsychologie beschäftigt sich mit der Gedankenwelt und dem Verhalten von Menschen, die strafbare Handlungen begehen.
Justizanstalten, Kriminalpsychologie und Strafrecht – wie Lehrveranstaltungen der Universität Salzburg aufklären
Ass.-Prof. Mag. Dr. Eleonora Hübner vom Fachbereich Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Salzburg leitet mit Passion die Lehrveranstaltungen „UE (mit Exkursion) zur Kriminal- und Rechtspsychologie“, „VO Verfahrenspsychologie – Allgemeiner Teil und Besonderer Teil“ (Forensische Psychologie)“ sowie „VO Berufsrecht für Psychologinnen und Psychologen“. Hierbei sind die Exkursionen zu diversen Justizanstalten, zu verschiedenen Einrichtungen der Polizei, zu der Division Forensische Psychiatrie in der CDK (für geistig abnorme Rechtsbrecher), zu Strafverhandlungen am Landesgericht Salzburg sowie die zahlreichen Gastvorträge besondere Highlights.
In einem persönlichen Gespräch mit Frau Prof. Hübner hatte ich die Gelegenheit, mehr über Hintergründe und Inhalte ihrer Lehrveranstaltung zu erfahren.
An der Universität sind Sie bekannt für die LV „UE zur Kriminal- und Rechtspsychologie“, „VO Verfahrenspsychologie“ und „VO Berufsrecht für Psycholog*innen“. Wie kamen Sie zu dem Feld Kriminalpsychologie?
Als ich 1994 als Vertragsassistentin an der seinerzeitigen Interfakultären Forschungsstelle für Rechtspsychologie anfing, hat mein damaliger unmittelbarer Dienstvorgesetzter die Kriminalpsychologie in seinen Vorlesungen vertreten. Ich selbst habe mit Tutorien im Bereich Kriminal- und Rechtspsychologie, auch mit kleineren Exkursionen, gestartet. Ab 1996 habe ich begonnen diese in die Übung mit Tagesexkursionen auszubauen.
In der Lehrveranstaltung legen Sie einen Fokus auf (jegliche) Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Wieso diese Fokusgruppe? Welche Opferschutzeinrichtungen können Sie empfehlen?
Den Fokus auf diese Personengruppe lege ich aus mehreren Gründen: Erstens sind Kinder und Jugendliche noch sehr lernfähig und auch deshalb besonders schützenswert. Die Kindheit ist für jeden Menschen prägend. Eine stabile Familie und geordnete Verhältnisse sind entscheidend für ein gesundes Aufwachsen. Zuwendung, Zeit und Zärtlichkeit sind in der Erziehung von großer Bedeutung. Zweitens ist ein geordnetes Elternhaus eine der besten Präventionen gegen Gewalt in der Familie, sowohl was die körperliche, als auch psychische Gewalt betrifft. Liebe und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche sind hier die Schlüssel. Bei einem Versagen des Elternhauses kann es mitunter vorkommen, dass manche Jugendliche früh eine kriminelle Laufbahn einschlagen. In diesen Fällen sind nach einer entsprechenden Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe die Justizanstalten gewissermaßen gezwungen, erzieherische Aufgaben zu übernehmen.
Anlaufstellen für Opfer sind beispielsweise die Interventionsstellen (im Rahmen des polizeilichen Betretungs- und Rückkehrverbotes), die Gewaltschutzzentren, für Kinder die Telefonhotline Rat auf Draht, die Frauenhäuser und auch der Weiße Ring.
Während des Semesters gibt es einige Exkursionen, unter anderem auch zu diversen Justizanstalten. Neben einer Führung durch die Gebäude gab es oftmals auch ein Gespräch mit Insass*innen, Justizwachebeamt*innen und Psycholog*innen. Welche Eindrücke erwarten Studierende hierbei? Haben Sie ein besonderes Erlebnis von diesen Exkursionen in Erinnerung?
Studierende sollen in den Exkursionen lernen, wie die sogenannte Resozialisierung in der Praxis funktioniert. Die Wiedereingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft ist das oberste Ziel im Strafvollzug. In den Justizanstalten geht es daher um die Besserung der Täter*innen. Die Interessen der Opfer können dabei zwangsläufig nicht berücksichtigt werden. Der Großteil der Studierenden ist von den Gesprächen mit Insass*innen beeindruckt bis hin zu emotional sehr berührt. Die Studierenden merken, dass Strafgefangene auch nur Menschen sind, die einen Fehler begangen haben. Hier ist Haft als Chance zu sehen, denn man darf nicht vergessen, dass hinter jeder kriminellen Handlung ein Schicksal steckt. Der stellvertretende Leiter der Justizanstalt Salzburg hat dies bei einer Exkursion auf den Punkt gebracht: „Ächte die Tat, aber achte den Täter.“
Ein besonderes Erlebnis war es, als ich mit einer größeren Anzahl von Studierenden in die Justizanstalt Garsten in Oberösterreich fuhr. Wir hatten die Gelegenheit mit vier Mördern im Raum Gespräche zu führen. Mir fiel auf, dass die Studierenden nach dem Besuch sehr angeregte und emotionale Diskussionen führten. Ein anderes Mal wurde unmittelbar vor unserem Besuch der Justizanstalt Stein in Niederösterreich der Verurteilte Fritzl in der dortigen Abteilung § 21 Abs 2 StGB, der Abteilung für zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher, untergebracht. Ein Gespräch mit ihm hatten wir jedoch nicht.
Strafvollzug in der Praxis: In den Medien hört man immer wieder, dass Insass*innen früher aus der Justizanstalt entlassen wurden. Werden in der Praxis bedingte und unbedingte Haftstrafen* oft abgeändert bzw. ist das überhaupt möglich? Welche Möglichkeiten gibt es trotz Haftstrafe die Justizanstalt als Insass*in verlassen zu können?
Eine bedingte Entlassung eines Strafgefangenen oder einer Strafgefangenen kann entweder auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen. Nach § 152 Abs 1 StVG kann der Strafgefangene selbst, ein Angehöriger, die Anstaltsleitung oder die Staatsanwaltschaft den Antrag auf bedingte Entlassung stellen.
Von Amts wegen hat ein Richter (Einzelrichter am Vollzugsgericht, d.h. ein einzelner Richter am für Strafsachen zuständigen Landesgericht) über eine bedingte Entlassung zu entscheiden, wenn innerhalb der nächsten drei Monate der Strafgefangene entweder die Hälfte der zeitlichen Freiheitsstrafe oder zwei Drittel der zeitlichen Freiheitsstrafe verbüßt haben wird.
Weiters gibt es beispielsweise den Strafvollzug in gelockerter Form (Freigang gemäß § 126 StVG), in der die Justizanstalt zum Zweck der Berufsaus- und -fortbildung, der Inanspruchnahme ambulanter Behandlungsmaßnahmen oder für ein bis zwei Ausgänge im Monat im Sinne des §99a verlassen werden darf. Zuletzt kann unter bestimmten Voraussetzungen ein elektronisch überwachter Hausarrest nach §156b StVG beantragt werden. Es ist verbreiteter Irrglaube, dass der Überwachte bzw. die Überwachte „frei herumlaufen“ kann (z.B. ins Theater oder eine Bar gehen).
*Erklärung: Bei einer bedingten Freiheitsstrafe wird die Strafe nicht vollstreckt, sondern eine Probezeit bestimmt (umgangssprachlich „auf Bewährung“). Eine unbedingte Freiheitsstrafe muss sofort abgesessen werden.
Wie würden Sie den Strafvollzug in Österreich beschreiben? Sehen Sie Reformbedarf, wenn ja, wo?
Zunächst möchte ich – nicht zuletzt auf Grund meiner zahlreichen und langjährigen Besichtigungen – meine große Anerkennung und meinen aufrichtigen Dank für ihre tagtägliche wichtige wie verantwortungsvolle, aber auch herausfordernde Arbeit aussprechen.
Der Strafvollzug in Österreich ist sehr human, menschenwürdig und muss bestimmte Standards erfüllen. Man spricht hier auch von einem „progressiven System“. Soziales Lernen und die erzieherische Beeinflussung der Strafgefangenen sind Teil dieses Betreuungsvollzugs. Mit Hilfe von Erziehung, Beschäftigung und sinnvoller Freizeitgestaltung werden wichtige Strukturen für die spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft für die Strafgefangenen geschaffen. Wie bereits erwähnt: Haft als Chance! Hier fällt mir das Zitat eines 14-Jährigen ein, der zahlreiche strafbare Handlungen begangen hatte. Er habe zu einer Richterin gesagt, dass er froh war, dass er in Haft war. Hier habe sich zum ersten Mal in seinem Leben jemand um ihn gekümmert.
Generell sehe ich keinen großen Reformbedarf im Strafvollzug. Ich habe eine enorme Hochachtung vor den Teams der Justizanstalten, die sich der verantwortungsvollen Aufgabe der Wiedereingliederung der Insass*innen stellen. Eine enorme Herausforderung für die Justizanstalten stellt die Drogenproblematik dar. Hier wäre vor allem die Politik gefordert, die Arbeit der Justizanstalten dadurch zu erleichtern, indem missbrauchssicherere und kostengünstigere Medikamente als das z.B. verwendete Substitol zur Entwöhnung verwendet werden.
In der Strafpraxis bei Jugendlichen finde ich es wichtig, den Fokus verstärkt auf Konsequenz statt auf Härte zu setzen (z.B. durch gemeinnützige Leistungen). Den Jugendlichen müssen ihre Fehler und Grenzen aufgezeigt werden.
Was sollen die Studierenden aus Ihrer Lehrveranstaltung mitnehmen? Welches Feedback bekommen Sie am Ende des Kurses?
Die Lehrveranstaltungen sollten den Studierenden Denkanstöße geben und sie animieren, die behandelten Themen „mit offenen Augen“ zu betrachten. Auf jeden Fall möchte ich das Interesse bei den Studierenden an den vielfältigen Themenbereichen wecken. Einige ehemalige Besucher*innen meiner Lehrveranstaltungen haben durch diese Kurse zu ihrer beruflichen Passion gefunden: beispielsweise in der Anstaltspsychologie, im Richteramt oder in der Leitung der therapeutischen Abteilung in der Justizvollzugsanstalt. Für mich ist das schönste und herausragendste Gefühl, wenn meine Studierenden durch das vermittelte Wissen über den Kurs hinaus bereichert werden. Ebenso freue ich mich auch immer wieder über das positive Feedback. Hier ein Auszug aus meinen – selbstverständlich anonym durchgeführten – Lehrveranstaltungsevaluationen vom Sommersemester 2019
„Die Exkursionen und Gastvorträge sollten unbedingt so bleiben, weil diese ein einzigartiges Angebot darstellen, dass man so leicht ohne diese Lehrveranstaltung nicht bekommt.“
„[…] inhaltlich habe ich sehr viel gelernt und zusammen mit den Exkursionen war die Lehrveranstaltung die Interessanteste, die ich in meinem Studium besuchen durfte. […]“
„Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich für diese Übungsgruppe, die tollen Erfahrungen, die ich machen durfte und die sehr hilfreichen Inputs bedanken! Sie sind wirklich eine überaus engagierte Frau und haben das toll gemacht! Ich werde die Lehrveranstaltung auf jeden Fall weiterempfehlen!“
„Sg. Frau Prof. Dr. Hübner! Ich möchte mich nochmal herzlichst für Ihre tollen Exkursionen + LVs bedanken. Es hat mir für meinen zukünftigen Werdegang extrem viel gebracht. Ich habe mit meinen Chefs (Kanzlei) sowie meiner Familie (Mama, Lehrerin) jeden Donnerstag + nach jeder Einheit detailliert berichtet + zu Hause noch darüber diskutiert! Sie sind eine Bereicherung für die Uni + die Studenten, die im späteren Beruf als Richter/Rechtsanwalt/Staatsanwalt arbeiten. Danke!!!!“
Was würden Sie Studierenden raten, die im Bereich Kriminalpsychologie arbeiten möchten?
Sowohl für Jurist*innen als auch für Psycholog*innen gibt es eine Vielzahl von Betätigungsfeldern. Für Psychologie Studierende im Masterstudium gibt es die Möglichkeit beim verpflichtenden Praktikum in den Strafvollzug hineinzuschnuppern. Hier wäre ein Praktikum beispielsweise in der Sozialtherapeutischen Abteilung (SOTHA) der Justizvollzugsanstalt VA Laufen-Lebenau (jugendliche Straftäter) interessant. Für Absolvent*innen der Rechtswissenschaften wäre das Richteramt eine Möglichkeit. In der Richterausbildung sind psychologische Kenntnisse sogar gesetzlich vorgesehen, da diese für die Beurteilung von Zeugenaussagen wichtig sind.
Auch wenn eine berufliche Karriere in einem Bereich der Kriminalpsychologie nicht genau „deins“ ist, kann ich euch die Kurse am IFFB Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie nur empfehlen. Zumindest bei mir hat sich die Sichtweise auf „Strafe“ und Strafgefangene stark verändert, da ich bewusster über diese Themen nachdenken musste. Seid ihr nun neugierig geworden? Dann schaut euch das Lehrveranstaltungsangebot für das Studienjahr 2019/2020 in PLUSonline an! Und wenn euch beispielsweise der Fachbereich Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie interessiert, könnt ihr hier mehr dazu nachlesen.
Eure Fabia